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Sind wir praktizierenden Katholiken auch religiöse Menschen? Werden wir in einer tieferen Schicht unserer Persönlichkeit überhaupt vom Glauben betroffen? Ist unsere Liturgie, zwar erneuert und verständlicher, nicht doch eine unüberschaubare Fülle von Worten, die nur die Oberfläche unseres Bewußtseins streifen?

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Sind wir praktizierenden Katholiken auch religiöse Menschen? Werden wir in einer tieferen Schicht unserer Persönlichkeit überhaupt vom Glauben betroffen? Ist unsere Liturgie, zwar erneuert und verständlicher, nicht doch eine unüberschaubare Fülle von Worten, die nur die Oberfläche unseres Bewußtseins streifen?

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Solche und ähnliche Fragen stellen sich heute viele, die durchaus guten Willens sind. Dazu kommen noch manche, die sich bereits weit von der Kirche entfernt haben, wenngleich eine Sehnsucht nach dem Göttlichen in ihnen nicht erloschen ist.

Dieses Unbefriedigtsein einerseits und das Bedürfnis nach mehr Spiritualität anderseits scheinen mir die wesentlichen Ursachen dafür zu sein, daß verschiedenste „spirituelle Gruppen" entstehen.

Wenn ich hier kurz diese Form der Meditation vorstellen darf, so ist das unglaublich einfach gesagt: Man sitzt ganz aufrecht und atmet natürlich, sonst nichts - im Idealfall sonst gar nichts!

Freilich dauert es seine Zeit, dahin zu gelangen, zu sehr ist man abgelenkt, durch Äußeres oder Inneres gestört, und bis erst die eigenen Gedanken zum Schweigen kommen ... Die Sitzhaltung ist sehr wichtig und beruht auf Erfahrungen von Jahrtausenden.

Nur so kommt der ganze Mensch zur Kontemplation. Auch da gibt es verschiedene Möglichkeiten, daß jeder eine seiner Konstitution entsprechende Lösung findet.

An dieser Stelle möchte ich festhalten, daß das Abendland den menschlichen Körper sehr unterbewertet hat und das sogenannte „Geistige" als einzig wichtig ansah. Heute belehrt uns die Wissenschaft, wie sehr der Mensch eine untrennbare Einheit als körperlich-geistiges Wesen darstellt.

Weiters mag es vielleicht eigenartig vorkommen, daß es bei dieser Form der Meditation um keine Inhalte geht; jeder bewußte Gedanke an irgend etwas - und sei es auch etwas sehr Frommes und Gutes - muß fallengelassen werden. Dennoch ist es nicht ein Hindösen, sondern ein Zustand höchster Wachheit. - Einfach leer sein, ganz da sein, nur sitzen -sonst nichts.

So unwahrscheinlich es klingt, haben viele Mystiker im Christentum genau diesen Weg beschritten, um zu einer tiefen Erfahrung Gottes zu kommen. Leider hat ja die Mystik im Abendland immer einen schlechten Stand gehabt, und mit der Aufklärung wurde sie völlig verschüttet. Der Ratio wurde der erste Platz eingeräumt, und bis heute hat sich da nicht viel geändert. „Gläubiger Christ" sein ist vornehmlich eine Frage der theologischen Bildung.

Natürlich kommt das Zen aus dem Mahajana-Buddhismus und wurde stark vom Taoismus geprägt. Heute, wo es von vielen Christen - Ordensleuten, Priestern und Laien - geübt wird, meinen namhafte Zen-Meister, daß es neuerlich einer sehr starken Kraft ausgesetzt ist, die nicht spurlos an ihm vorübergeht.

Die Übung selbst ist ja von jeder Ideologie frei, weil sie nur die unmittelbare Erfahrung des einzelnen gelten läßt. Daher kann sie jeder mitmachen, egal wozu er sich bekennt. Anderseits läßt sie eine gemeinsame Basis erfahren und ebnet so die Möglichkeiten des Dialogs.

Die Menschen, die zu meinen Kursen kommen, sind ganz verschiedenen Alters, unterschiedlicher Bildung, sind großteils Christen beider Konfessionen in ganz verschiedenem Nahverhältnis zu ihren Kirchen, aber auch Andersgläubige. Allen gemeinsam ist eine gewisse Sehnsucht, ein Suchen ... Nicht selten kommt es vor, daß über diesen Weg Menschen ihren eigenen Glauben wieder neu entdecken oder den schon vorhandenen in einer neuen Tiefe erfahren.

Warum gerade Zen und nicht ein anderer Weg, könnte jemand fragen. Es gibt sicher viele Wege, und je näher sie dem Ziel kommen, um so stärker sieht man die Ähnlichkeiten. Mich spricht Zen an, weil es ein so einfacher und klarer Weg ist, weil ich auch als Christ ihn ohne Schwierigkeiten gehen kann und weil ich bisher die wohltuenden Wirkungen in meinem Leben erfahren konnte.

Es gibt viele Versuche, das Zen dem Europäer anzupassen, es mit anderen Elementen zu vermischen oder zu „verchristlichen", indem man zwar die Form des Sitzens übernimmt, aber dann Inhalte zur Betrachtung anbietet.'All diese Dinge sind natürlich legitim und haben ihr Gutes, aber das eigentliche Wesentliche des Zen-Weges geht damit verloren.

Es erscheint mir nicht sinnvoll, viel mehr über Zen zu sagen, es ist auch nicht aus Büchern und Vorträgen, sondern nur in der eigenen Übung erfahrbar. Dazu bieten sich immer wieder Gelegenheiten, wenn Sie den Bildungsanzeiger der Erzdiözese Wien oder das Programm der anderen Bildungshäuser durchsehen.

Nach einem Einführungskurs kann jeder für sich üben - möglichst täglich - und sollte auch von Zeit zu Zeit in einer Gruppe sitzen, da die Gemeinschaft eine große Hilfe ist und auch der erfahrene Leiter Korrekturen anbringt oder zur Aussprache zur Verfügung steht. Vielleicht sollte ich noch darauf hinweisen, daß keine Verpflichtungen entstehen, keine eigene Organisation aufgebaut wird und man keinem Verein beitritt.

Abschließend möchte ich noch bemerken, daß für manche das Vorurteil einer östlichen Praxis gegenüber ein starkes Hindernis darstellt. Unser Stolz will es oft nicht wahrhaben, daß der Orient uns in dieser Hinsicht manches voraus hat. Schließlich sind alle großen Religionen im Orient entstanden - auch das Christentum.

(Dechant Karl Obermayer ist Pfarrer in Wien-Matzleinsdorf.)

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