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„Südtiiol 2000” will Vollautonomie
„Es gibt keine historische Alternative zur europäischen Einigung, wohl aber die Möglichkeit die europäische Zentralmacht durch eine regionale Ordnung auszubalancieren.” Das würde im konkreten für Südtirol bedeuten: ein autonomes Land (innerhalb des italienischen Gesamtstaates) mit unabhängiger Gesetzgebung und Verwaltung.
Lediglich Außenpolitik, Währung und Verteidigung (und wohl auch Bahn und Post) blieben dem Zentralstaat vorbehalten.
Zwei Südtiroler Spitzenpolitiker, Senator Hans Benedikter und Kultur-Landesrat Bruno Hosp, sind federführend für ein Dokument „Südtirol 2000”, das der Landesversammlung im April vorgelegt werden soll.
Wie Hosp in einem Gespräch mit der FURCHE erläuterte, kann das auf dem Gruber-Degasperi-Ab-kommen aufbauende, seit Jahrzehnten verhandelte und immer noch nicht vollkommen erfüllte „Paket” zur Südtirolfrage nicht mehr dem Blick in die Zukunft, auf ein geeintes Europa ohne Ost-West-Konflikt, genügen. Der Blick über die Jahrhundertwende hinaus muß daher in Richtung Vollautonomie gehen - ein Ziel, das auch anderswo in Italien und in Europa angepeilt wird.
Deswegen soll das „vollautonome Land Südtirol” - wie es im Papier heißt - „die geistig-kulturelle Einheit Tirols ... konkret zu erfüllen versuchen”. Engere wirtschaftliche Zusammenarbeit über den Brenner hinweg läge nach einem EG-Beitritt Österreichs in Reichweite. „Diese Konzeption der Tiroler Einheit trotz Staatsgrenze hebt die bisherigen Hindernissee auf, macht die .Entfremdung' rückgängig und nimmt im Gegenzug die italienische Volksgruppe mit allen für sie notwendigen Garantien in die neue Tiroler Einheit auf.” Eine europäische Region könnte alpenübergreifend alle früheren Landesteile Tirols - also auch Welschtirol, das heutige Trentino - zusammenfassen.
Hierin liegt auch der neue, zukunftsweisende Aspekt des Papiers: das Bekenntnis zum Zusammenwirken aller drei Volksgruppen in Südtirol - der Deutschen, Italiener und Ladiner - zu gemeinsamen Anliegen und Aufgaben, ohne den jeweiligen kulturellen Freiraum der Volksgruppen zu beeinträchtigen. „Der Dialog mit der italienischen Volksgruppe ist auch deshalb eine primäre Aufgabe, um sie für das neue Südtirolmodell zu gewinnen.”
Die Landesversammlung soll sich mit einer Resolution hinter das Papier stellen. In der Endphase der Verwirklichung müßte eine Volksabstimmung unter allen drei Volksgruppen dem Südtirolvertrag die „europäische Legitimation” geben.
Ein „Freundschaftsvertrag” zwischen Österreich und Italien sollte die Rolle Italiens im autonomen Südtirol wie die Schutzfunktion Österreichs im neuen Rahmen der KSZE festschreiben und damit zum Teil einer neuen europäischen Friedensordnung werden.
Benedikter und Hosp haben bewußt nicht als erste eine Zurückdrängung des Zentralstaates durch eine Stärkung der Regionen gefordert. Ringsum in Europa sind ähnliche Tendenzen festzustellen, gewaltsam mitunter blutig dort, wo bisher Diktaturen das Eigenleben der Völker und Volksgruppen beschränken: im Baltikum, im Kaukasus, in Slowenien und Kroatien.
Aber auch im demokratischen Westen gehen die Diskussionen um mehr Recht für die Regionen mitunter hoch. Spanien hat für Katalonien und das Baskenland autonome Lösungen gefunden. In Frankreich wird erstmals vom „korsischen Volk” gesprochen. Im wiedervereinigten Deutschland bekannten sich die 16 Ministerpräsidenten der Länder im Dezember 1990 ausdrücklich zum Föderalismus als unabdingbarem Strukturmerkmal beim Aufbau eines geeinigten Europa. Selbst in Italien gibt es bereits ähnliche Bestrebungen außerhalb Südtirols: Die norditalienischen „Leghe” - die „Lega Lombarda” und die „Lega Veneta” - wie die „Reti” des früheren DC-Bürgermeisters von Palermo, Leo-luca Orlando, zielen unabhängig von einander auf eine neue Staatskonzeption ab, führt das Papier als Beispiele an.
Südtirol als Vorreiter
Ländern und Regionen müßten Klage- und Mitwirkungsrechte im europäischen Ministerrat und in einem eigenständigen Regionalorgan eingeräumt werden, gehen die Vorstellungen der Südtiroler schon über das eigene Land hinaus. Einem mit europäischer Gesetzgebungsbefugnis ausgestattetem EG-Parlament könnte einst eine Regionenkammer, vergleichbar dem deutschen oder österreichischen Bundesrat, gegenüberstehen.
Eine europäische Volksgruppencharta müßte mit EG-Gesetz einen Rahmen festlegen, der durch regionale Maßnahmen auszugestalten wäre. Südtirol wäre berufen, vorrangig mit anderen Volksgruppen initiativ zu werden.
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