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Südtirol ist kein „Indianerreservat“

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Das Paket ist tot - Südtirol in Not: mit dieser Parole legten die rebellierenden Schützen beim SVP-Par-teitag den Finger auf die mangelnde Dialogbereitschaft in Rom.

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Das Paket ist tot - Südtirol in Not: mit dieser Parole legten die rebellierenden Schützen beim SVP-Par-teitag den Finger auf die mangelnde Dialogbereitschaft in Rom.

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Die Schutzmachtfunktion der Republik Österreich gegenüber Südtirol beruht auf einem Abkommen, das 1946 zwischen Österreich und Italien geschlossen wurde (das sogenannte Pariser Abkommen, nach den beiden Unterzeichnern, den Außenministern, auch (Karl) Gruber-(Alci-de) De Gaspari-Abkommen genannt).

Dieses Abkommen sieht Maßnahmen vor, die die volkliche Eigenart sowie die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der deutschen (und ladinischen) Sprachgruppe in Südtirol sicherstellen sollten.

Da Italien solche Maßnahmen nur in unzureichendem Maße und sehr zögernd erließ, brachte Österreich die Südtirol-Frage in den Jahren 1959 und 1960 vor die Vereinten Nationen. Die UNO bekräftigte Österreichs Berechtigung zur Bef assung mit Südtirol— was Italien immer bestritten hatte - und forderte die Vertragspartner auf, Maßnahmen zur Verwirklichung des Abkommens zu setzen.

Das Ergebnis vieler solcher Verhandlungen, die auch unter dem Druck spektakulärer Bombenanschläge und Attentate auf öffentliche Einrichtungen in Südtirol Anfang der sechziger Jahre standen, wird als Paket bezeichnet und sieht in Summe 137 Maßnahmen vor, die das Uberleben und die Weiterentwicklung auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens der Südtiroler ermöglichen sollen. Durch den sogenannten Operationskalender wurden die einzelnen Schritte zur Realisierung der Maßnahmen festgelegt. Dies war 1969.

Bereits im Jänner 1972 tritt das Autonomiestatut (Verfassungsgesetz) in Kraft. Zwei Jahre später hätte das gesamte Paket durchgeführt sein sollen, aber bis heute, 1986, fehlen wichtige Bereiche, wie etwa die Gleichstellung der deutschen Sprache und der Gebrauch derselben in der öffentlichen Verwaltung, bei Gericht, bei der Polizei sowie die Regelung der Finanzen und die Orts-namengebung, um nur einige offene Punkte zu nennen.

Wenn heute gesagt wird, daß 95 Prozent des Pakets erfüllt sind, dann mag das—gemessen am Umfang - auch stimmen. Solange jedoch Regelungen wie die Gleichstellung der deutschen Sprache und die Finanzhoheit fehlen, ist man von der tatsächlichen Erfüllung des Südtirol-Pakets noch weit entfernt.

Die Hinhaltetaktik der italienischen Regierung und ihr Desinteresse an der Durchführung der Südtirol-Autonomie bereiten heute der Südtiroler Volkspartei (SVP) und deren Obmann, Landeshauptmann Silvius Magnago, große Sorge. Magnago, der „Vater des Pakets“, sieht sein Lebenswerk gefährdet.

Zwar läßt das Erreichte, anders als noch vor wenigen Jahren, mit Zuversicht in die Zukunft blicken, und der Schutz der Südtiroler Minderheit innerhalb des italienischen Staates ist abgesichert wie kaum sonst wo. Die Früchte jahrzehntelanger Verhandlungsgeduld scheinen sich zu lohnen. Doch eben nicht für alle Südtiroler.

Das ins Stocken geratene Gespräch mit Rom kam in letzter Zeit gänzlich zum Stillstand. Deshalb meldeten sich immer häufiger extreme Gruppen und Grüpp-chen zu Wort. Sie fordern die Selbstbestimmung, also einen Entscheid durch die Bewohner Südtirols selbst. Ihnen ist die Autonomie zu weich geraten, die Verhandlungsstrategie der SVP ist für sie zu lax und nachgebe-' risch.

Allerdings müssen die Rückkehr nach Österreich oder die Errichtung eines Freistaates Südtirol zum heutigen Zeitpunkt als utopische Forderungen qualifiziert werden, die nicht nur an der Phantasie der Handelnden scheitern.

Diese Radikalisierung, dem SVP-Parteitag am 12. April in

Meran anschaulich von vier Mitgliedern der Saalwache vor Augen geführt, wird von Magnago und seinen Mitstreitern eindeutig abgelehnt. Dies bewiesen auch Debattenredner und Delegierte. Gleichzeitig wird der italienischen Regierung in Rom aber drastisch signalisiert, daß ihre Absenz vom Verhandlungstisch die gemäßigten Kräfte in Südtirol stark unter Druck setzt.

Aber auch unter den italienischen Bewohnern Südtirols greift ein Zug zum Extremen Platz. Die schrittweise Verwirklichung der Autonomie, das damit wachsende Bewußtsein der Deutschen und Ladiner sowie die Ergebnisse der Volkszählung von 1981 (Deutsche und Ladiner stellen rund 69 Prozent der Bevölkerung, also insgesamt 300.000 Menschen, was einem Plus von 2,4 Prozent gegenüber der Volkszählung 1971 entspricht; die italienische Bevölkerung Südtirols umfaßt rund 123.000 Menschen, das sind 28,7 Prozent, was einem Minus von 4,3 Prozent gegenüber der Volkszählung 1971 entspricht) erwecken vielfach den Eindruck, daß die Italiener im eigenen Staat zur Minderheit werden, die den Schutz vor einer Mehrheit braucht.

Zudem wurden für die italienische Bevölkerung Südtirols, die bis zum Wirksamwerden des Stellenproporz ab 1976 (der Besetzung öffentlicher Stellen nach der Stärke der Volksgruppen) 95 Prozent dieser Posten besetzten, die Konsequenzen seiner Durchführung deutlich. Bis zum Jahre 2004 soll der Anteil der Italiener auf die ihnen zustehende Quote sinken.

Daß dadurch aber ein bislang bestandenes Unrecht beseitigt wird, sehen die Italiener in Südtirol ebensowenig ein wie die Notwendigkeit, als Voraussetzung für die Stellenbewerbung die deutsche Sprache zu lernen.

Anti-Südtirol-Pressekampagnen in italienischen Zeitungen taten ein übriges. Bei den Gemeinderatswahlen 1985 wurden daher die Neofaschisten in Bozen zur stärksten Partei - ein Unikum in ganz Italien.

Um nicht noch mehr Wähler zu verlieren, müssen daher die gemäßigten italienischen Parteien ebenfalls gegen Autonomie und „Bevorzugung“ der deutschsprachigen Südtiroler Stellung nehmen, ein Umstand, der sich auch auf das Klima in der Landesregierung und in vielen Gemeindestuben (wo sie mit der SVP koalieren) negativ auswirkt.

Den Südtirolern wird das Unverständnis des italienischen Staates für ihre Situation von Vertretern der Regierung in Rom deutlich vor Augen geführt. Der Minister für die Regionen, Carlo Vizzini, zum Beispiel sieht Südtirol sich in Richtung „Indianerreservat“ entwickeln. Und Verteidigungsminister Giovanni Spadoli-ni vergleicht die Zustände in Südtirol gar mit dem „Apartheid-System“ in Südafrika.

Wenn daher Silvius Magnago Gesprächsbereitschaft mit der italienischen Volksgruppe signalisiert — und dies tat er bei seiner Parteitagsrede oft und deutlich wie selten zuvor —, dann wird dies mancherorts sicher als Selbstkritik im Verhalten gegenüber den Italienern in Südtirol gedeutet.

Andererseits möchte Magnago seine italienischen Landsleute auch davon überzeugen, daß die mühsam errungene Autonomie auch für sie von Vorteil ist, eine Tatsache, die bislang in der öffentlichen Diskussion wenig berücksichtigt wurde.

Die Rede Magnagos am Mera-ner SVP-Parteitag hat somit auch Signale für eine Öffnung gegenüber den italienischsprachigen Südtirolern gesetzt. Das war für einige Delegierte eine weitere Überraschung.

Der Autor ist Leiter des Bundesländerhauses Tirol in Wien.

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