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Sündenböcke gesucht

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„Trotz den starken Produktionseinbußen in den meisten Wirtschaftszweigen erreichte die Beschäftigung im Juni wieder den Vorjahresstand. Die Arbeitslosenrate war mit 1,4 Prozent (saisonbereinigt 2,1 Prozent) nach wie vor sehr niedrig“, konstatierte das Institut für Wirtschaftsforschung in seinem letzten Monatsbericht. Seither hat sich die Situation in den meisten Branchen nicht gebessert, die Beschäftigung war aber auch anfangs August — wie dieser Tage vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger mitgeteilt wurde — noch immer relativ hoch.

Dies ist vor allem auf die jetzt wieder gute Konjunktur im Fremdenverkehr und in der Bauwirtschaft zurückzuführen. Es würde aber nicht von so ausschlaggebender Bedeutung sein, wenn nicht auch in der Industrie Entlassungen nur sehr zögernd vorgenommen würden und jedenfalls bei weitem nicht in jenem Maß erfolgen, wie dies angesichts eines lOprozentigen Produktionsrückgangs gegenüber dem Vorjahr in den ersten fünf Monaten und sogar eines 20prozentigen im Mai allein zu befürchten gewesen wäre.

Die meisten Firmen sind glücklicherweise bestrebt, ihren Personalstand so lange wie nur irgend möglich zu halten, denn die Einschulung von Personal ist im allgemeinen mit hohen Kosten verbunden. Kein Betrieb möchte, daß sich seine Leute verlaufen und er beim nächsten Konjunkturaufschwung aufs neue mit der Einschulung frischen Personals beginnen muß. Es wird daher im allgemeinen abgebaut, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.

Allerdings können Konjunktureinbrüche von solchen Dimensionen, wie wir sie gegenwärtig in vielen Branchen erleben, nicht spurlos am Beschäftigtenniveau vorübergehen. Zur

Erklärung dieser Entlassungen muß man daher nicht erst eine „Konspirationstheorie“ entwickeln, wie dies SP-Zentralsekretär Marsch in den letzten Tagen tat: Die Industriellenvereinigung setze ihre Mitglieder unter Druck, damit sie Personal entließen, um auf diese Manier die Regierung Kreisky zu diskreditieren.

Marsch will Genaues über diese Manipulation von einem niederösterreichischen Industriebetrieb erfahren haben. Als er aber aufgefordert wurde, dessen Namen zu nennen, paßte der Urlauber Marsch. Bürgermeister Gratz übernahm inzwischen die undankbare Aufgabe, die Re-traite von Marsch zu decken und bemerkte emphatisch, man könne den Betrieb nicht nennen, da er sonst Repressalien ausgesetzt wäre.

Das Ganze klingt verdächtig nach Horror-Story, denn irgendwer muß ja am Beschäftigungsrückgang in vielen Branchen schuld sein, wenn es die Wirtschaftspolitik der Regierung auf keinen Fall sein darf. Sündenböcke sind daher dringend gesucht.

Tatsächlich muß aber in der gegenwärtigen Wirtschaftssituation ganz bestimmt niemand Druck auf die Firmen ausüben, um sie zu Entlassungen zu bewegen, sondern es ist eher Druck notwendig, um die Kündigungen in jenem engen Rahmen zu halten, innerhalb dessen sie sich bisher glücklicherweise bewegten. Die Prospekte sind nicht rosig. Viele Unternehmen leben noch von den in den letzten Jahren akquirierten Auftragsbeständen, die aber, da sich die Orderbücher nicht mehr in entsprechendem Maß füllen, allmählich erschöpft sein werden. So wies beispielsweise die Papierindustrie im Mai „nur“ einen 17prozentigen Rückgang der Produktion gegenüber dem Vorjahr auf, ihr Auftragsstand war aber um 40 Prozent geringer.

Angesichts dieser Situation läßt es auf keine konspirativen Machinationen schließen, wenn Firmen gezwungen sind, zahlreiche Entlassungen vorzunehmen oder einen etappenweisen Personalabbau für nächste Zeit ankündigen. Da ja alle Kündigungen mit dem Betriebsrat besprochen werden müssen, sind bereits dadurch politische Manöver so gut wie ausgeschlossen. Im übrigen deuten auch schon die — bestimmt nicht regierungsfeindlichen — verstaatlichten Betriebe an, daß sie um Kündigungen nicht herumkommen werden. Dies ist nicht weiter erstaunlich, denn auch die — überwiegend verstaatlichte — Eisenhüttenindustrie hatte im Mai einen Nachfrageausfall von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr und die Metallhüttenindustrie um 18 Prozent. Seither hat sich die Situation weiter verschlechtert.

Die Entwicklung ist deswegen so besorgniserregend, weil die Stützen der bisher noch einigermaßen guten Beschäftigung zwei personalintensive, aber als Arbeitgeber unsichere Branchen, nämlich die Fremdenverkehrs- und die Bauwirtschaft, sind. Mit Ende der Sommersaison wird ein großer Teil des Hotellerie- und Gastronomiepersonals freigesetzt werden, und darüber, ob die kommenden Saisonen nur einigermaßen so gut sein werden wie die laufende, riskiert niemand eine Prognose.

Die Bauwirtschaft wieder verdankt ihre Konjunktur einem staatlichen Investitionsstoß, der mit Geld finanziert wird, das der Staat — siehe das zu erwartende Monster-Budgetdefizit von über 30 Milliarden Schilling — gar nicht hat. Eine solche Politik läßt sich aber längerfristig nicht durchhalten. Hier wird bloß mit Rücksicht auf die Wahlen eine Konjunktur vorgetäuscht, welche nach diesen sehr rasch zusammenbrechen wird. Mit solchen Parforce-Touren wird aber der Beschäftigung auf längere Sicht mehr geschadet als genützt.

Statt sich zuerst in Illusionen zu ergehen und dann Sündenböcke zu suchen, sollte man in Österreich — auch schon vor den Wahlen, denn die Zeit drängt — lieber wieder zu Kooperation und zu einer realistischen Wirtschaftspolitik zurückkehren.

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