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Sumpfblüten und Sentimentalität

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In Millionenauflage zieht die kolportierte Gesellschaftslüge im. Handtaschlformat einsame Frauenherzen in ihren Bann: Verschämt verlangen Frauen Woche für Woche bei ihrem Trafikanten „für meine Tante“ oder „die Nachbarin“ die kleinen, giftigen Sumpfblüten, die auf den Namen „Erika“ oder „Silvia“ hören. Auch als „Mami“- oder „Berg“-Roman erschleichen sie sich ihren fijcen Anteil vom wöchentlichen Haushaltsgeld. Aber kaum eine Frau gibt zu, daß sie „diese Heftin“ selber liest...

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In Millionenauflage zieht die kolportierte Gesellschaftslüge im. Handtaschlformat einsame Frauenherzen in ihren Bann: Verschämt verlangen Frauen Woche für Woche bei ihrem Trafikanten „für meine Tante“ oder „die Nachbarin“ die kleinen, giftigen Sumpfblüten, die auf den Namen „Erika“ oder „Silvia“ hören. Auch als „Mami“- oder „Berg“-Roman erschleichen sie sich ihren fijcen Anteil vom wöchentlichen Haushaltsgeld. Aber kaum eine Frau gibt zu, daß sie „diese Heftin“ selber liest...

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Das gepflegte Spielchen mit dem Körberlgeld macht sich bezahlt: Der einschlägige, realitätsferne Trost, der in der sentimental-naiven Verpak-kung der Groschenromane als billige Dutzendware angeboten wird, gilt seit Jahrzehnten als Verkaufsschlager in der Branche.

An „echter“ Literatur haben Herr und Frau Österreicher laut Statistik nachgewiesenermaßen kaum Bedarf: Kaum 100.000 Aufrechte in der Alpenrepublik wissen mit dem gedruckten Erbe eines Thomas Mann, Robert Musil oder Heimito von Do-derer etwas anzufangen. Eine gigantische Fließbandpoduktion der Herz-und-Schmerz-Heftln hingegen landet wöchentlich auf dem Ladentisch.

Einschlägige „Produzenten“ machten sich die zunehmende Nachfrage nach diesem zweifelhaften Wirklichkeitsersatz geschäftig zunutze: Mit schillernden Vorbildern liebäugelnd, berufen sich die „Frauenromane“, wie sich das schwammige Genre ziel-gruppenbewußt am liebsten nennt, nur allzu gerne auf die tränenvollen Schmachtfetzen einer Marlitt oder Courths-Mahler. Wissen sie doch eine schweigende, aber dieses umsatzfrohe Futter um so eifriger verschlingende Mehrheit hinter sich: Die wirklichkeitsfernen Tagträume kleiner Leute und den fragilen Trost einsamer Frauenherzen zwischen siebzehn und siebzig...

Und es ist immer wieder überraschend, wie gerade das weltfremde Handlungsschema und das erzählerische Einerlei dieser immergleichen Geschichten die tränenblinden Leserinnen unaufhaltsam anlockt: garantiert doch das Happy-End im bewährten Dauerabonnement jedes Mal ein neues träumerisch-süßes Erfolgserlebnis, wenn sich das mitleidende Herz bis zur letzten Zeile mit der schließlich überglücklichen Klischee-Heldin identifizieren kann.

Das Rezept ist hausbacken einfach und wird den „Autoren“ dieser fragwürdigen Druckerzeugnisse hirnschmalzsparend vom Verlag selbst frei Haus geliefert: Man nehme beispielsweise einen jungen, arrivierten Facharzt aus vornehmem Hause, der im schicken Sportwagen von Party zu Party flitzt. Dazu etwa eine hübsche Studentin aus einfachen Verhältnissen, die sich ihr Studium nebenbei verdienen muß. Sie wird vom Operationstisch weg seine große, reine Liebe. Er hält auch noch ganz unkonventionell treu zu ihr, als sie bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wird: Er geht in sich, gibt sein bisheriges Dasein als gefürchteter Partylöwe auf. Und das alles garniert mit sehr viel Schmus und Tränen, Liebesleid und Happy-End ...

Ein kurzer Blick in die Trickkiste genügt. Wer einen dieser Romane gelesen hat, hat alle gelesen. Von einer „Heldin“, einem Mädchen aus gutem Hause, heißt es etwa bezeichnend: „Nun ja, sie hatte ja schon immer geahnt, daß Dagmar anscheinend das Kind reicher Eltern war. Sie besitzt tadellose Manieren und hat etwas in ihrem Wesen, das man wohl nicht erlernen kann, das einfach angeboren sein muß ...“

Und dann ist es mit einem Mal ge-schehn: „Aber sie vertraute ihm, weil sie ihn liebte. Sie vertraute ihm blind und würde ihm blindlings folgen, also liebte er sie ...“ Aber ganz auf Rosen gebettet sind die beiden Liebenden noch nicht; der Pflichtumfang des Opus von etwa 65 Seiten ist noch nicht erreicht: „Du bist genauso, wie ich mir meine Frau immer vorgestellt habe, Dagmar. Er schwieg. Ein Arzt kam den Gang entlang. Dagmar konnte nicht antworten. Das Glück preßte ihr die Lippen zusammen, füllte sie aus. Sie merkte, daß ihre Augen feucht wurden. Nun- sahen sie sich an, sie sahen sich an wie zwei Menschen, die alles füreinander fühlen und doch nicht zeigen können, wie sehr sie sich lieben.“

Das Schnulzodrom der Liebe dreht sich munter weiter bis zum Happy-End in diesem „aus dem Leben gegriffenen Schicksalsroman“, wie es in der Eigenwerbung mit dem Brustton der Uberzeugung heißt: „Sie gingen wieder hinaus und ließen zwei junge Menschren zurück, die wußten, daß sie nun nichts mehr trennen konnte.“

Und so banal diese Machwerke sind, so unwahrscheinlich simplifizierend die Handlungsabläufe, so bieten sie doch anscheinend mit ihrem billigen Angebot aus der pseudoliterarischen Schnellküche ihren Leserinnen gerade die richtige Arznei, derer diese in einer illusionslosen oder vielmehr desillusionierenden Wirklichkeit bedürfen: den Traum von finanzieller Unabhängigkeit mit all seinen erlösenden Folgen ungehemmter Kaufkraft, süße Geborgenheit und Glück in der Liebe im 24-Stunden-Rhythmus.

Vier interessante, immer wiederkehrende Merkmale lassen sich aus dem billigen Heftl-Einmaleins herausschälen, das lediglich beliebig austauschbare Typen, aber keine echten Personen zu Trägern seiner „Handlungen“ macht:

• Die Hauptfiguren der Story sind für gewöhnlich dem klischeegefüllten Bassin reicher und gesellschaftlich hochstehender Kreise entnommen. Hochfinanz und Aristokratie, assistiert von erfolgsgewohnten Ärzten und Wissenschaftlern, repräsentieren eine soziale Ebene, die jener der bedauernswerten Konsumentinnen dieser eingefahrenen Verhaltensmuster zumeist diametral entgegengesetzt ist.

• Von der gesellschaftlichen Vielfalt menschlicher Kommunikationsformen wird nur der konservativkeusch aufbereiteten erotischen Beziehung der agierenden „Typen“ uneingeschränktes Heimatrecht eingeräumt, wobei höchstens noch mehr oder weniger gediegene verwandtschaftliche Verpflichtungen zum Zuge kommen.

• Nach diesem eingefahrenen Leierkasten-Stil ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, daß auf diese erotischen Beziehungen zwangsläufig ein Happy-End mit Hochzeit und Glück und Reichtum folgen muß. Unser Lieschen Müller kann sich nach dieser Lektüre gerührt ausweinen, muß dann aber sofort zum nächsten Heftl greifen, damit sich nicht etwa zwischen den Zeilen die ernüchternde Wirklichkeit einschleicht ...

• Konkrete politisch-soziale Gegebenheiten werden totgeschwiegen oder höchstens aus der Froschperspektive andeutungsweise gestreift. Daß die Handlung nicht im Zeitalter der Gartenlaube spielt, ergibt sich nur aus Requisiten wie Sportwagen, Privatflugzeug und Cocktailparty. Dafür stinkt es deftig nach längst überholten Sozialstrukturen von Anno dazumal in diesen Tischladl-Potpourris: Begriffe wie Gewerkschaft, Sozialismus oder Krankenkasse existieren nicht in dieser hausbackenen Scheinwelt. Feudalrelikte wie „Herrin“, „Herrenhaus“ oder „Dienstboten“ hingegen gehören zum geläufigen Sprachinventar.

Psychologen und Literaturhistoriker haben aus diesem tonnenschweren Literaturmüll Substanzen herausdestilliert, deren süßes Gift vor allem Frauenherzen anzieht wie das Aas die Fliegen:

Das existentielle Bedürfnis nach Glück und Geborgenheit, dem der verunsicherte Mensch des Konsumzeitalters nachjagt wie kaum eine Generation vor ihm, treibt vor allem die sensibleren Frauen, — und hier vor allem Frauen mit unterem Bildungsniveau, das quer durch alle sozialen Schichten geht — in leicht reproduzierbare Traumklischees. Und vor allem der anspruchslose Groschenroman bietet solchen Frauen als raffiniertes Lebenssurrogat das Mittel, sich mit seinen Helden lustvoll zu identifizieren und zwischen Einkaufen und Kochen all das zu erleben, worauf sie vielleicht ein Leben lang verzichten mußten.

So sind diese „Heftin“ ein idealer Tummelplatz für alle Schlechtweggekommenen, mit deren Hilfe sie aus der alltäglichen Misere ausbrechen. Ichschwache und beschädigte Individuen finden in ihnen ein schillerndes Gefühl hohler Geborgenheit, das ihre Einsamkeit und Angst nicht vergessen macht, sondern nur verdrängt.

Über Alternativvorschlägen zu brüten ist wahrscheinlich müßig. Steht doch zum einen schlechte Gewohnheit und mangelnde Einsicht und Bildung einer Umkehr im Wege. Zum anderen dürfte der schon sprichwörtlich verunsicherte Zeitgenosse in Zukunft seine Identität noch mehr verlieren. Und es gibt noch kein allgemeingültiges Rezept für eine gelungene Bewältigung unserer vielschichtigen Lebensproblematik. So ist eben Opium fürs Volk auch heute noch gefragt, auch wenn es diesmal nicht aus einer ideologieverbrämten Werkstatt kommt.

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