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Supergehirne?

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Ein neues Computer-Bauprinzip bringt die Frage nach „Ver- wandtschaftsverhältnissen" zwi- schen Computer und Gehirn wie- der aufs Tapet. Die Arbeitsweise der neuronalen Netze dürfte mit der des Gehirns tatsächlich mehr gemeinsam haben als alle bisheri- gen Computer, sofern ein Vergleich überhaupt möglich ist. Daran aber scheiden sich nach wie vor die Geister.

Ob und wie weit die Arbeitsweise der Computer der des menschli- chen Gehirns ähnelt, darüber wird seit den frühen fünfziger Jahren diskutiert. Am Anfang stand die große Euphorie. Man hoffte, nun nicht nur ein gigantisches Rechen- werkzeug zur Verfügung zu haben

(die röhrenbestückten Rechenun- getüme der frühen vierziger Jahre machten nicht nur die Atombombe, sondern auch das Knacken deut- scher Geheimcodes möglich), son- dern auch gleich dem Geheimnis des menschlichen Gehirns auf die Spur gekommen zu sein. Wege er- kundende und dabei lernende Computer-Schildkröten und ande- re heute primitiv anmutende Spiel- zeuge wurden allen Ernstes als Werkzeug einer neuen Gehirnfor- schung „verkauft".

Es folgte der Katzenjammer. Je komplexer die im Computer möglichen Simulationen wur- den, desto deutlicher zeigte sich, daß nicht nur seine Leistungen weit hinter denen je- des lebenden Gehirns zurückbleiben, son- dern auch seine Ar- beitsweise eine gänz- lich andere ist (Siehe ifabo '90-Dossier).

Schlagworte wie „Künstliche Intelli- genz" schufen neue Verwirrung. „Künst- liche Intelligenz" ist in manchen Bereichen hilfreich, macht das Wissen ganzer Fach- gebiete in konzen- trierter Form opera- bel, erfüllte aber nicht die Hoffnungen der „Kl-Optimisten". KI kann nur aufgrund eingegebener, fester Regeln präzise Ant- worten ausgeben. Beispiel: Eingabe al- ler erfaßten Sympto- me eines Patienten - Ausgabe aller in Fra- ge kommenden Dia- gnosen.

Die Computer wur- den immer kleiner und besser. Und immer gründlicher entzau- bert. Seit PCs zu Hun- derttausenden auf Schreibtischen ste- hen, kennen immer mehr Menschen ihre Grenzen. Zugleich wuchs das Wissen über die Komplexität des Gehirns. Das des Menschen besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen. Jede steht über ihre Synap- sen, ihre Ausläufer, im Direktkontakt mit bis zu 10.000 anderen. Die Zahl der möglichen „Schaltzustände" des menschlichen Gehirns ist nach heutigem Wissen größer als die Zahl sämtlicher Ele- mentarteilchen im gesamten Kosmos mit seinen 100 bis 200 Mil- liarden Galaxien.

Jedes menschliche Gehirn ist also ein Organ von solcher Leistungsfähigkeit, daß die Hoffnung, ir- gendein vom Men-

sehen geschaffenes Gerät könnte dem auch nur in die Nähe kommen, gleich Null ist.

Spezialfähigkeiten aber werden, wie jeder weiß, vom Computer mit Leichtigkeit weit übertroffen. Der kleinste Taschenrechner rechnet unvergleichlich besser als das Gehirn (aber auch genauer als der PC, der sich schwer tut, wenn die Dezimalstellen nicht vernachlässigt werden dürfen).

Darüber, wie das Gehirn wirk- lich arbeitet, wissen wir bis heute sehr wenig. Ein prinzipieller Un- terschied dürfte darin bestehen, daß der Computer ausschließlich auf der Basis elektrischer Impulse funktio- niert, während im Gehirn elektri- sche und chemische Vorgänge zu- sammenwirken und „chemische Schalter" möglicherweise eine der Funktion der Transistoren ähnli- che Rolle spielen. Wo aber Verglei- che Gehirn/Computer nicht wider- legt werden können, hinken sie zumindest. Daher weiß man auch nicht, ob die Tatsache, daß Neuro- nale Netze eine Spur mehr „Ge- hirnfunktion simulieren", Schlüs-

se auf die Funktionsweise des Ge- hirns rechtfertigen.

Neuronale Netze sind sozusagen Computermodelle von neurobiolo- gischen Modellen, die man sich ausgedacht hat, um einem Ver- ständnis der Hirnfunktionen nä- herzukommen. Sie speichern Infor- mation als starke bis schwache Ver- bindungen zwischen „Verarbei- tungseinheiten". Geringere Anfäl- ligkeit für den Ausfall von Bautei- len ist eine erfreuliche Eigenschaft. Vor allem unterscheiden sie sich aber von den bisherigen Compu- tern dadurch, daß sie nicht pro- grammiert, sondern „geschult" werden können beziehungsweise sich selber schulen. Neuronale Netze suchen Grundmuster in der Fülle von Erscheinungen.

Computer, welche die menschli- che Handschrift lesen können, werden Neuronale Netze sein, die aus einer Fülle großer A's oder klei- ner y's das nur als Norm auftreten- de große A oder kleine y herausde- stillieren und die Buchstaben auf- grund ihres Annäherungsgrades an diese Idealform „erkennen". Auch

die Erkennung gesprochener Spra- che dürfte mit ihnen gelingen. Im scheinbaren Chaos des Erscheinens oder Nichterscheinens f est gebuch- ter Flugpassagiere „erkennen" sie heute schon genug Gesetzmäßig- keit, um die reale Auslastung des Fliegers besser abschätzen zu kön- nen als die meisten Leute am Ab- fertigungsschalter.

Zum „Menschenähnlichen" der Neuronalen Netze zählt also nicht zuletzt ihre Fähigkeit, aufgrund ungenauer Vorgaben zu prognosti- zieren, ähnlich wie ein erfahrener Mensch, der durch unbewußte Ver- arbeitung unbewußt in ihm wirk- samer Erfahrungen zu brauchba- ren Schätzungen gelangt.

Obwohl eine echte kommerzielle Anwendung Neuronaler Netze Zukunftsmusik ist, expandierte dieser Spezialmarkt von weltweit rund 15 Millionen Dollar im Jahr 1987 auf 50 bis 60 Millionen 1988 und 120 Millionen 1989. Anno 2000 sollen bis dahin routinemäßig ein- setzbare Neuronale Netze für eine halbe bis ganze Milliarde Dollar abgesetzt werden

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