6990451-1986_43_06.jpg
Digital In Arbeit

Symbol für Staatsterror

19451960198020002020

Die Menschenrechtsverletzungen in Chile nehmen zu. Folterungen und Morde stehen an der Tagesordnung. Seit Verhängung des Belagerungszustandes ist alles noch schlimmer geworden.

19451960198020002020

Die Menschenrechtsverletzungen in Chile nehmen zu. Folterungen und Morde stehen an der Tagesordnung. Seit Verhängung des Belagerungszustandes ist alles noch schlimmer geworden.

Werbung
Werbung
Werbung

Gegen „subversive linke Elemente“ ist die Repression gerichtet, die seit 7. September mit Verhängung des Belagerungszustandes durch General Augusto Pinochet schwere Menschenrechtsverletzungen nach sich zieht. Willkürliche Festnahmen, Folterungen und Morde sind die Regel.

Der staatliche Terror richtet sich gegen Journalisten, Menschenrechtsarbeiter, Angehörige der Kirchen sowie Bewohner der Elendsviertel, die wegen ihrer katastrophalen wirtschaftlichen Lage mit Protesten gegen die Regierung nicht zurückhalten.

Ein Opfer des Terrors ist der 19jährige Rodrigo Rojas de Negri.

„Der Fall Rodrigo Rojas repräsentiert die ganze Tragödie des chilenischen Volkes.“ Veronica de Negri, Mutter des Ermordeten und im US-Exil lebende Bürgerrechtskämpferin, war vor kurzem in Wien, um am Beispiel .ihres Sohnes die Brutalität des chilenischen Militär-Regimes anzuklagen.

Rodrigo Rojas de Negri wurde am 2. Juli 1986, dem ersten Tag des von der Nationalversammlung einberufenen Generalstreiks, gemeinsam mit der Studentin Carmen Gloria Quintana in Santiago de Chile von einer Militärpatrouille zusammengeschlagen und bei lebendigem Leib angezündet.

Im Spital wurde die medizinische Betreuung der beiden Schwerverletzten verzögert und behindert. Während Rodrigo Rojas starb, liegt Carmen Gloria heute noch als Symbolfigur eines Regimeopfers im Krankenhaus. Ihr konnte der sofort nach der Tat in Washington eingerichtete „Rodrigo Rojas Fonds“ noch helfen, der die medizinische Behandlung finanzierte und überwachte und der jetzt für die Prozeßkosten und eine weltweite Aufklärungskampagne sorgt.

Der Ruf nach Gerechtigkeit findet bei Chiles Machthabern jedoch nur scheinbar Gehör. Militär und Regierung decken die Tat und sind an einer ernsthaften Untersuchung des Falles nicht interessiert.

24 inhaftierte Soldaten sind in der Zwischenzeit wieder freigelassen worden, der verantwortliche Kommandant wurde nie festgenommen. Man mutmaßt, er habe nur Befehle von oben ausgeführt. Hingegen sind aussagewillige Augenzeugen des Vorfalls, einige Anwälte — darunter die Schwester von Veronica de Negri — und die sie unterstützende katholische Kirche ständigen Bedrohungen und Verfolgungen ausgesetzt. Es gab bereits Prügelattentate und Entführungsversuche.

Rodrigo Rojas ist für seine Mutter Veronica de Negri „ein typisches Opfer des seit 13 Jahren andauernden Staatsterrors“ in Chile. Wie bei allen jungen Chilenen, standen Kindheit und Jugend Rodrigo Rojas unter dem Zeichen der Gewalt und des Unfriedens.

Er hat das Exil kennengelernt, in das seine Mutter, eine aktive Gewerkschafterin, Feministin und Beamtin unter Salvador Allende, geschickt wurde. Erst im Frühjahr 1986 konnte er nach Chile zurückkehren, um „seine Wurzeln wiederzufinden“.

Hier wurde er gefoltert und ermordet. Und er war erst 19 Jahre alt, so wie die meisten Opfer des Regimes jünger als 23 Jahre sind.

Das veranlaßt seine Mutter zu der erbitterten Aussage: „Jugendlicher in Chile zu sein, bedeutet automatisch, Verbrecher zu sein.“

Veronica de Negri lebt seit 1977 im Exil. Ihre derzeitige Aufklärungskampagne führt sie um die ganze Welt und verhindert enge Kontakte nach Chile. Sie weiß aber, daß das Land seit dem Attentat auf Augusto Pinochet unter den schwersten Repressionen seit dem Putsch von 1973 leidet.

Die Opposition ist schwer bedrängt, Menschen verschwinden spurlos, oder es wird ihnen dringend nahegelegt, das Land zu verlassen. Es herrscht Angst in Chile, seit dem Anschlag auf den Diktator mehr als je zuvor.

Ob die Rückkehr zur Demokratie gewaltsam erfolgen wird, weiß sie nicht; sie schließt es aber nicht aus, wenn sie meint: „Diese Entscheidung kann nur allein in Chile fallen.“

Bis dahin bittet die Bürgerrechtskämpferin weltweit um moralische Unterstützung für ihr Volk, in das sie im Kampf um Demokratie großes Vertrauen setzt.

Sie ruft die Regierungen auf, Druck auf das Pinochet-Regime auszuüben; die Kirche, sich mit der bedrängten chilenischen Kirche zu solidarisieren, die eine so wichtige Rolle für den Schutz der Opfer spielt; Amnesty International, die Lage in Chile weiterhin zu verfolgen und mit Briefen die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu beweisen, damit solche Fälle der Gewalt nicht verheimlicht werden und ungesühnt bleiben können.

Trotz ihres harten persönlichen Schicksals möchte Veronica de Negri weiter gegen das Militär-Regime in ihrer Heimat kämpfen.

Und gerade in Österreich erinnert sie daran, daß dieses Land erst vor 40 Jahren eine dem heutigen Chile vergleichbare Situation durchgemacht hat. Darum hofft sie hier auf Verständnis und Unterstützung.

Vehement spricht sie sich gegen einen Wirtschaftsboykott gegen Chile aus, der doch nur das Volk treffe, sowie gegen eine direkte Intervention des Auslands: „Denn davon hat mein Volk schon genug erlebt.“

In Anbetracht ihrer jetzigen Tätigkeit fürchtet Veronica de Negri ständig um das Leben ihres zweiten Sohnes — wie viele chilenische Familien. Für ihr Land aber ist sie zuversichtlich, denn „ich weiß, daß kein Verbrecher sich ewig halten kann“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung