6799686-1971_27_20.jpg
Digital In Arbeit

Symphonie in Rot

Werbung
Werbung
Werbung

Dfe Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich und Rotchina könnte — so jedenfalls hofft man vor allem in Wien — neue Aspekte für Österreichs Außenhandel versprechen. Das ist allerdings nicht ganz so einfach wie bei anderen Partnern: kaum ein anderes Land der Erde sieht seine wirtschaft lichen Beziehungen so sehr vor dem politischen Hintergrund.

Einer der ersten Österreicher, die ein Einreisevisum für Maos Imperium erhielten, war unser Autor Robert Dauber. Als Einkaufsbeamter der Austria Tabakwerke AG besuchte er kürzlich Rotchina. Hier sein Report:

Es berührt seltsam, wenn man von einer der zwar fernöstlich angehauchten, im übrigen aber sehr stark an die City einer westlichen Wirtschaftsmetropole erinnernden Hauptgeschäftsstraßen Hongkongs in das geräumige, ruhige, mit Mao-Bildern und Mao-Sprüchen geschmückte Verkaufslokal des China Travel Service tritt, wo optisch bereits jenes Rot vorherrscht, das den Chinabesucher während seines gesamten Aufenthaltes nicht mehr loslassen wird. Nach Vorlage von Paß und Einreisevisum (und Bezahlung einer nicht geringen Reisegebühr) befindet man sich dann im Besitz eines tiefroten Etuis mit einer Fahrkarte erster Klasse nach Kanton und zurück, einer Anzahl von Formularen und schriftlichen Anweisungen und wird mit mündlichen Ermahnungen, die Zollformulare nur ja genau auszufüllen und eine halbe Stunde vor Abfahrt im Bahnhof einzutreffen, freundlich verabschiedet. Von diesem Zeitpunkt an wird sich der Chinabesucher in einer für unsere Begriffe zwar etwas umständlichen, sonst aber ausgezeichnet funktionierenden, allgegenwärtigen Organisation des China Travel Service eingesponnen fühlen, ohne welchen eine Reisedisposition irgendwelcher Art nicht mehr möglich sein wird.

Der Chinesische Reisedienst nimmt die Messebesucher auch am Bahnhof Kowloon auf der Festlandseite von Hongkong in Empfang und betreut sie während der Fahrt zur Messestadt. Die Bahnreise von Hongkong nach Kanton, etwa 150 Kilometer, nimmt sechseinhalb Stunden in Anspruch. Man wird genauester Zollkontrolle unterzogen, und jedem Besucher wird ein ungewohntes Maß an Geduld abverlangt, das man während des Aufenthaltes in China noch oft benötigen wird.

In Kanton wird man von einem Willkommensplakat begrüßt. Ist man ein wichtiger Besucher, wird man von Vertretern der chinesischen Geschäftspartner abgeholt, für alle übrigen Ankömmlinge stehen Autobusse und Taxis bereit, welche die japanischen Messebesucher in ein Großhotel, die Besucher aus der übrigen Welt in ein zweites Hotel, das „Tung Fang“ (Roter Osten), befördern. In diesem Hotel wird man von militärischen Wachposten, einem über drei Stockwerke reichenden Mao-Bild, Großplakaten mit revolutionären Darstellungen, roten Fahnen, zahlreichen Mao-Sprüchen in chinesischer und englischer Sprache, gratis angebotenen Mao-Bibeln in allen Sprachen und nicht zuletzt von der zuständigen, jeweils ein halbes Stockwerk bewirtschaftenden Personalgruppe erwartet. Das Hotel ist nur als riesig zu bezeichnen und bietet große Zimmer mit Bad, bequeme Betten mit Moskitonetzen, Fauteuils mit Schutzbezügen und Spitzendecken, Ventilator, gegen Abend hei- ßös Wasser im Badezimmer und jederzeit heißes Wasser in Thermosflaschen.

Im Speisesaal werden chinesische und europäische Speisen meist nach etwas längerer Wa; ‘.ezeit serviert. Das Hotel verfügt auch über eine „Drinking Bar“ im obersten Stockwerk mit Billard- und Tischtennistischen, wo man das Gesamtangebot chinesischer Alkoholika und Antialkoholika durchkosten kann. Schon auf der Fahrt nach Kanton war das Aufkommen eines Zusammengehörigkeitsgefühles unter den Reisenden festzustellen, das sich im Hotel dann noch stärker äußerte. Dieses offensichtlich durch die andersartige Umgebung verursachte Gefühl schafft eine interessante, dichte Atmosphäre gegenseitigen Verstehens und führt nicht selten zu engen persönlichen Beziehungen, gegenseitiger Hilfeleistung und einem Ausmaß an geschäftlicher Zusammenarbeit (selbst unter Konkurrenten), das in einer anderen Situation undenkbar wäre.

Nach dem Frühstück Mao

Der erste Kontakt mit der Messe erfolgt gewöhnlich über das Messebüro im Hotelgebäude, wo die Verhandlungstermine mit der Außenhandels-Korporation vereinbart werden können. Vom Hotel zum Messegelände gelangt m_.n mit Autobussen oder Taxis zu genau festgesetzten Zeiten, nachdem die Fahrer, die in den seltensten Fällen eine Fremd sprache verstehen, ihre morgendliche Gruppendiskussion über die Mao- Lehren abgeschlossen haben. Kanton ist eine Stadt mit vielen Grünflächen, Parks und Alleen. Da das subtropische südchinesische Klima heiß und feucht ist, sind die meisten Häuser im Stadtkern, wo sich weniger Bäume zum Schutz gegen die Sonne befinden, mit Arkaden versehen. In diesen Arkaden befinden sich zahl lose Geschäfte und Läden, und ein Strom von Fußgängern belebt das Bild. Das Autofahren in diesen Straßen ist ein Vergnügen, da keine anderen Personenwagen und selten Lastwagen die Fahrt des eigenen Wagens, der bei den Verkehrspolizisten sofort Vorrang erhält, behindern. Die vielen des Autoverkehrs ungewohnten Radfahrer zwingen den Autolenker hingegen zu erhöhter Aufmerksamkeit.

Die Messegebäude liegen an einem großen Platz mit Grünflächen in der Nähe des Perlflusses und bestehen aus einem neunstöckigen Hauptgebäude, einem etwas kleineren, ebenfalls mehrstöckigen Gebäude sowie aus einer großen, ebenerdigen Halle. Auffallend wiederum ein über mehrere Stockwerke reichendes Mao- Porträt, Mao-Sprüche, eine Symphonie in Rot. Nach Ankunft der Autobusse und Taxis von den beiden Hotels hat sich vor den Messegebäuden eine größere Besucherzahl angesammelt. Punkt 9 Uhr werden unter gleichzeitigem Erklingen von revolutionären Chören die Tore geöffnet und die wartende Menge strömt — von chinesischen Photoreportern verewigt — zu den Aufzügen.

Große Hallen für die Exponate werden von zahlreichen Büros lür geschäftliche Besprechungen eingesäumt. Sitzgelegenheiten in allen Teilen des Messegebäudes erlauben es, sich auszuruhen und Aufzeichnungen zu machen. Im Hauptgebäude befinden sich Post-, Telephon- und Telegraphenbüro sowie Bankschalter und Zollbüro. Ein Kiosk gibt dem Besucher die Möglichkeit, verschiedene Waren und Andenken einzukaufen, in einem Buchgeschäft werden Mao-Bibeln, die revolutionären Reden und Schriften Maos, rote Schallplätten, Bildmaterial über revolutionäre Opern usw. angeboten.

Die „Niederlagen der Feinde“

Die Ausstellung ist in einen sogenannten „Pavillon“ und zehn „Hallen“ gegliedert. Der Pavillon, der den Werken Maos gewidmet ist, sowie zwei Hallen dienen rein propagandistischen und politischen Zwek- ken. Ausgehend von den Lehren Maos werden die im Geiste seiner Lehre erzielten besonderen wirtschaftlichen Leistungen von Einzelpersonen und Produktionsgruppen hervorgehoben und dargestellt, die Ergebnisse der Kulturrevolution, die außenpolitischen Erfolge Chinas und die Niederlagen der Feinde.

Der Kantoner Frühjahrsmesse 1971 kam insofern eine erhöhte Bedeutung gegenüber den letzten Messen zu, als sie im ersten Jahr des vierten chinesischen Fünfjahresplanes stattfand. Dies wirkte sich nicht nur in wesentlich erhöhten Geschäftsabschlüssen gegenüber der Herbstmesse 1970 aus, die unterdurchschnittlich schwach war, sondern nach Meinung der Kenner auch in einem neuen Stil der Ausstellung. Während bisher in erster Linie Exportprodukte ausgestellt waren, fand man nun erstmals in größerem Umfange Fabriksphotos, Pläne von Fabrikationsanlagen, Schaltschemata, Produktionsablaufdarstellungen und Betriebsmodelle. Mit dieser größeren Offenheit ging eine gewisse Zurückhaltung auf dem propagandistischen Sektor im Vergleich zu den Vorjahren einher.

Ob dies als Parallele zur neuen Linie der chinesischen Außenpolitik zu sehen ist, läßt sich heute schwer feststellen. Mag sein, daß auch die Klärung der innenpolitischen Situation und die damit gewonnene Sicherheit zu einer gewissen Öffnung geführt haben. Die jüngsten außenpolitischen Initiativen der Volksrepublik China gegenüber den USA mit der dadurch im Westen entstandenen Hoffnung auf eine Normalisierung der Beziehungen Chinas zum Westen haben allerdings weder an der offiziellen Propaganda Chinas betreffend die „US-Imperialisten und ihre Lakaien“ etwas geändert, noch Zahl und Zusammensetzung der Messebesucher wesentlich beeinflußt. Überhaupt kann man sich, wenn man die offizielle Propaganda und die Stimmung in China in Betracht zieht, des Eindrucks nicht erwehren, daß die Höflichkeitsgesten Chinas gegenüber Sportlern und Journalisten aus den USA in den westlichen Gazetten überbewertet werden. Wenn US-Wirtschaftskreise in China schon einen neuen großen Markt für ihre Exporte sehen wollen und gleichzeitig glauben, mit diesen Exporten ihre Zahlungsbilanz entlasten zu können, so ist dies bis auf weiteres wohl ein Wunschtraum, worauf ja auch Präsident Nixon seine allzu hoffnungsfreudigen Landsleute aufmerksam machte.

Der chinesische Markt ist für Einkäufer wie Verkäufer gleichermaßen interessant. Finden die ersteren in China einen großen Liefermarkt in landwirtschaftlichen Produkten, Mineralien und billigen Konsumwaren verschiedenster Art, die den Pionieren dieses für Europa etwas aus der Hand liegenden Marktes noch gute Gewinnmargen bieten, so ist China für die exportierenden Industrieländer ein großer Abnehmer von hochentwickelten Maschinen aller Art, Chemikalien, Spezialfahrzeugen, Düngemitteln und Stählen. Importeure und Exporteure schätzen China als zwar schwierigen, jedoch Vertragstreuen und prompt zahlenden Handelspartner.

Das mit Abstand größte Lieferland Chinas ist Japan, welches 1970 in China etwa 570 Millionen Dollar umsetzen konnte, gefolgt von der BRD (135), Kanada (135), England (107), Frankreich und Italien. Belgien, die Niederlande, Schweden und die Schweiz exportierten im vergangenen Jahr Waren im Wert zwischen 21 und 23 Millionen Dollar pro Land, Zahlen, die von dem vergleichbaren Österreich leider nicht einmal annähernd erreicht werden. Der österreichische Export nach China im Umfang von rund 5,6 Millionen Dollar steht in keinem Verhältnis zu den Exporterfolgen anderer Länder und entspricht den Möglichkeiten der österreichischen Wirtschaft in keiner Weise.

Auch im Chinageschäft zeigt sich mit wenigen Ausnahmen leider wieder einmal das zu wenig weiträumige Denken der österreichischen Exportwirtschaft, Wofür auch das im Vergleich zu Nachbarländern zahlenmäßig zu kleine Fähnlein österreichischer Wirtschaftsvertreter in Kanton Beweis war.

Für Österreich müßte bei verstärkten Bemühungen eine sehr wesentliche Steigerung seines Exportes nach China möglich sein, wozu unser Land auch von der Struktur seiner Wirtschaft her in der Lage wäre. Die günstige außenpolitische Situation sowie die Einigung über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen setzen unser Land auch in dieser für China sehr wichtigen Hinsicht in eine günstige Ausgangsposition. Der österreichische Handelsdelegierte in Peking ist der Meinung, daß besonders auf dem Gebiet von Spezialfahrzeugen für Landwirtschaft und Bauindustrie, bei Werkzeugmaschinen, Düngemitteln, Chemikalien, Fasern und Textilmaschinen gute Exportchancen für Österreich bestünden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung