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Synoden sind nichts Neues

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Die römisch-katholischen Diözesen in Österreich machen in diesen Jahren ihre recht unterschiedlichen, aber auf jeden Fall wichtigen Erfahrungen mit ihren Synoden. Ohne Ungleiches miteinander vergleichen zu wollen, mag es von Interesse sein, auf die mehr als hundertjährigen Synodalerfahrungen der evangelischen Kirche hinzuweisen. Dabei sei zunächst nachdrücklich betont, daß man im evangelischen Bereich die Synoden keineswegs als Einführung oder Einübung der Demokratie in der Kirche, sondern als die legitime und organische Entfaltung des pres- byterial-synodalen Systems versteht.

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Die römisch-katholischen Diözesen in Österreich machen in diesen Jahren ihre recht unterschiedlichen, aber auf jeden Fall wichtigen Erfahrungen mit ihren Synoden. Ohne Ungleiches miteinander vergleichen zu wollen, mag es von Interesse sein, auf die mehr als hundertjährigen Synodalerfahrungen der evangelischen Kirche hinzuweisen. Dabei sei zunächst nachdrücklich betont, daß man im evangelischen Bereich die Synoden keineswegs als Einführung oder Einübung der Demokratie in der Kirche, sondern als die legitime und organische Entfaltung des pres- byterial-synodalen Systems versteht.

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Um dieses in seinen Schwächen und Stärken abwägen zu können, muß man klar den Unterschied zwischen katholischem und evangelischem Kirchentum erfassen. Die evangelische Kirche ist nicht von oben nach unten konstruiert, sondern erbaut sich von unten nach oben. Ihre Bausteine sind aber nicht die einzelnen Getauften oder Gemeindeglieder, sondern als kleinste Einheit gilt die Gemeinde.

Drei Prinzipien sind für die pres- byterial-synodale Struktur unab- dinglich:

Die Kirche ist in allen Stufen autonom,

die geistlichen und weltlichen Glieder sind gleichberechtigt,

alles Recht geht von der Gemeinde aus.

Als das Toleranzedikt Josefs II. 1781 den Akatholiken die Duldung und freie Religionsübung gewährte und die Bildung von Gemeinden dort gestattete, wo sich 500 Personen oder 100 Familien aka- thollschen Bekenntnisses zusammenfänden, hatten diese durch fünf oder sechs Generationen ohne Geistliche, ohne öffentliche Wortverkündigung und ohne Sakramentsverwaltung gelebt. Aber sie hatten ihren Glauben aus Bibel, Katechismus, Gebet- und Gesangsbüchem geschöpft und bewahrt. Diese Laiengruppen gingen aus ihrer Erfahrung am Worte Gottes und in der Absicht, sich ein geordnetes Gemeindeleben zu schaffen, ans Werk, indem sie — ohne demokratische Erfahrung, aber nach dem Vorbild der Apostelgeschichte — „Älteste“ oder „Presbyter“ wählten. Diese suchten im Ausland evangelische Geistliche und Lehrer und beriefen sie. Die Gemeinden mußten für die Gehälter auf kommen; aber dazu erbauten sie unter unwahrscheinlichen Opfern Bethäuser, Pfarrhäuser, Schulen und Gottesäcker.

Das alles geschah aus eigener Initiative. Die vom kaiserlichen Konsistorium ernannten „Superintendenten“ hatten bei den damaligen Verkehrsverhältnissen ein nur spärlich geübtes Aufsichtsrecht. Selbstverwaltung und Selbstverantwortung der Gemeinden spielten sich immer besser ein. Sie waren und blieben das unveräußerliche Grundrecht in der Kirche, die in den Einzelgemeinden die eigentlichen Träger des geistlichen Lebens und des kirchlichen Bewußtseins sieht.

Wie die Kirche autonom wurde

Erst das kaiserliche Patent vom 8. April 1861 ermöglichte die Bildung einer Landeskirche. Es gewährte Glaubensfreiheit und Selbstverwaltung, ordnete freilich gleichzeitig die Gliederung der Kirche in Pfarr-, Seniorats-, Superintendential- und Gesamtgemeinde an und setzte ihr den vom Kaiser ernannten Oberkirchenrat vor. Die Protestanten waren damit nicht unzufrieden, denn einerseits war das Patent dem Muster des ungarischen und sieben- bürgischen Kirchenaufbaues gefolgt, anderseits zeigte es den Weg zum Ziel einer autonomen presbyterial- synodalen Kirchenordnung. Freilich war der Weg dazu erst frei, als der Nationalsozialismus den Oberkirchenrat entstaatlicht und zu einer rein kirchlichen Behörde erklärt hatte. Da wagte es inmitten rechtlich ungeklärter Verhältnisse die dritte Generalsynode 1947 und 1949, eine neue Kirchenverfassung zu entwerfen, die alle Beziehungen zum Staate sorgfältig ausklammerte. Trotz erheblicher Bedenken seines Referenten erkannte Unterrichtsminister Dr. Hurdes, daß die Stunde eines neuen Verhältnisses des Staates zur evangelischen Kirche angebrochen sei. Bundeskanzler Figl und Vizekanzler Schärf stimmten zu, und in kürzester Zeit war- die neue Kirchenverfassung vom Ministerrat genehmigt. Das von Unterrichtsminister Dr. Drimmel initiierte „Gesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse der evangelischen Kirche in Österreich“ besiegelte endlich 1961 die uneingeschränkte Autonomie der presbyterial-synodalen Kirchenverfassung.

Der Superintendent

Der Klarheit halber behandeln wir nur die Kirche A. B.; die reformierte Kirche zeigt nur geringe Abweichungen. Die erste Stufe ist die Pfarr- gemeinde. Die Gemeindeversammlung aller volljährigen männlichen und weiblichen Mitglieder, die den

Kirchenbeitrag leisten, wählen alle sechs Jahre die Gemeindevertretung, aus der das Presbyterium hervorgeht. Diese stellen gleichsam die Ortssynode dar. An ihrer Spitze steht, je nach dem Willen der Gemeinde, der Pfarrer oder der weltliche Kurator. Diese Körperschaften sind für das geistliche, diakonische und materielle Leben der Gemeinden verantwortlich. Sie wählen selbst den Pfarrer und alle Amtsträger. Sie entsenden auf je sechs Jahre je einen Geistlichen und einen Laien in die zweite Stufe, die Superintendentialversammlung. Die

Superintendenz (das Protestantenpatent 1861 spricht auch von Diözese) ist der Zusammenschluß von Pfarr- gemeinden gleichen Bekenntnisses in einem bestimmten Gebiet, zumeist einem Bundesland. Ihr gehören auch Vertreter der Religionslehrer, der Schulen, der diakonischen Werke an. Sie wählt auf Grund eines Zweiervorschlages aller Gemeinden mit Zweidrittelmehrheit den Superintendenten ‘als geistlichen Oberhirten auf Lebenszeit. Er führt die Aufsicht über die Gemeinden seines Sprengels und vertritt ihn nach außen. Er ordiniert Theologen zum geistlichen Amt, weiht Kirchen ein, visitiert die Gemeinden, kann auch Laien die Wortverkündigung gestatten. Der Superintendent leitet die Synode seines Sprengels, die alljährlich, mindestens aber alle zwei Jahre Zusammentritt. Hier werden alle gemeinsamen Angelegenheiten beraten und beschlossen, vor allem alles, was zur Erweckung und Belebung eines christlich aktiven Lebens der einzelnen Gemeinden oder der Diözese gehört. Die Finanzen werden geprüft und geordnet. Vorlagen des Oberkirchenrates werden beraten und Anträge an die Synode werden gestellt. Hier werden auch nach einem bestimmten Schlüssel die Delegierten für die Synode, gleich viele weltliche und geistliche, gewählt.

Synode und Bischofsamt

Die dritte Stufe ist die Landeskirche. Ihr Presbyterium ist gleichsam die Synode. Sie zählt etwa 70 Mitglieder. Von Amts wegen gehören ihr an: Der Bischof, der Kirchenkanzler, alle Superintendenten und Superintendentialkuratoren. Die evangelisch-theologische Fakultät, die Lehrerschaft, die kirchlichen Werke, die Jugend, die Diakonie entsenden Vertreter.

Die Synode ist das gesetzgebende Organ der Kirche. Ihre Gesetze werden nicht vom Bischof promulgiert, sondern erlangen mit der Veröffentlichung im Amtsblatt Rechtskraft. Die Synode ist auf sechs Jahre gewählt; sie kann nach Bedarf auch in mehreren Sessionen tagen. Zum Vorsitzenden wird üblicherweise ein Lade gewählt. Alles, was sie berät und beschließt, hat dem geistlichen Leben der Kirche zu dienen. Nur eine Schranke ist ihr gesetzt: Sie ist nicht berechtigt, das Bekenntnis der

Kirche zu ändern. Arbeitsausschüsse bereiten die Vorlagen vor. Sachverständige können beigezogen werden.

Die Synoden seit 1949 hatten vor allem die Aufgabe, das kirchliche Gesetzeswerk zu ergänzen. Sie schufen die Ordnung des geistlichen Amtes, die Ordnung für kirchliche Beamte und Angestellte, die Kirchenbeitragsordnung, die Bauordnung, die Disziplinarordnung, den Revisionssenat als Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof. Sie beschloß die Zulassung von Theologinnen und bewährten Laien zum geistlichen Amt. Ein neues Gesangsbuch und eine neue Gottesdienstliturgie wurden geschaffen. Der Religionsunterricht und seine Lehrbücher, die Mitverantwortung für Diakonie, äußere Mission und Entwicklungshilfe und die Wandlungen der Jugendarbeit nahmen einen breiten Raum ein. Die tiefgreifende Frage nach dem Verhältnis von geistlicher Freiheit zum Weisungsrecht bewegte die Gemüter. In den oft leidenschaftlichen Aussprachen kamen theologische, juristische und vor allem seelsorgerliche (pastorale) Gesichtspunkte zur Geltung. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten, doch kann von einer Spaltung in Traditionalisten und Progressive nicht gesprochen werden. Das kann bei einer künftigen Synode, wenn jüngere Kräfte einziehen, anders werden.

Eine besondere Befugnis der Synode ist, daß sie auf Grund von Zweiervorschlägen der Superintendenz, den Bischof mit Zweidrittelmehrheit auf Lebensdauer wählt und ihn mit Zweidrittelmehrheit abberufen kann. Auch die anderen Mitglieder des Oberkirchenrates, der obersten Verwaltungsbehörde, und des Synodalausschusses, die zusammen die Kirchenleitung bilden, werden von der Synode gewählt und sind ihr verantwortlich. Der Bischof ist der Vorsitzende des Oberkirchenrates, darüber hinaus obliegt ihm die geistliche Führung der Kirche. Er trägt Sorge für ihre Einheit, für die Reinheit der Evangeliumsverkündung und der Sakramentsverwaltung. Er übt sein Hirtenamt an allen Amtsträgem in Seelsorge, Beratung, Mahnung und brüderlicher Zucht aus. Doch hat er keine jurisdiktio- nellen Rechte.

Die Synode hat dem geistlichen Leben der Gemeinde und der Kirche zu dienen. Wenn bei abschweifenden Debatten ein Synodale, zumal ein Laie an den eigentlichen Auftrag der Synode erinnerte, durfte er allgemeiner Zustimmung gewiß sein. So wichtig die Synoden sind, so bleiben sie wirkungslos, wenn ihre Beschlüsse nicht von den Gemeinden und Pfarrern aufgenommen und sinngemäß durchgeführt werden. Aber dies geschieht um so leichter, als die Mitglieder der Synode die gewählten Vertreter der Gemeinden sind und ihr Vertrauen haben.

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