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Syrische Nadelstiche

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In Damaskus wurde amtlich bestätigt, daß bei den Vergeltungsschlägen der israelischen Luftwaffe gegen die Übergriffe palästinensischer Freischärler die Radarstation von en-Numilhi im Süden des Landes und mehrere Artilleriestellungen zerstört worden seien. Die fast achtstündigen Luft- und Boden-igefechte, in die auch reguläre syrische Armeeinheiten eingegriffen haben, richteten in den Dörfern Dschassim, Daschilin, Hara, Naua und Sachem el-Golan, in deren Nähe die Israelis Operationsbasen der „Fedaijjin“ vermuteten, schwere Verwüstungen an. Hauptleidtragend war, wie schon bei früheren Vergeltungsschlägen auf südlibanesisches Gebiet, die Zivilbevölkerung. Reporter konnten sich vom Ausmaß der Zerstörungen überzeugen und berichteten über schwere Schäden an einer Schule und einer Moschee sowie über den Tod von mehreren Frauen und Kindern.

Einem Sprecher der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) zufolge sollen die Kommandoaktionen in den nächsten Tagen wieder aufgenommen und noch verstärkt werden. Bislang richteten sie im israelisch besetzten Gebiet wenig Schaden an. Das Oberkommando der syrischen Streitkräfte versetzte die bereits seit einiger Zeit mobil gemachte Armee inzwischen wieder in erhöhte Alarmbereitschaft. Es erging eine Urlaubs- und Ausgangssperre, und man berief Reservisten ein. Private Lastwagenchauffeure erhielten vorsorglich ihre Einsatz-befehle für den Ernstfall. Den Schutz der öffentlichen Gebäude, strategische Punkte und Zufahrtswege der Hauptstadt übernahmen Eliteeinheiten.

Syrien ist, nach der blutigen Vertreibung der „Fedaijjin“ aus Jordanien und ihrem freiwilligen Rückzug aus dem Libanon, das letzte Operationsgebiet der Palästinague-rilleros gegen Israel. Im nördlichen Hinterland von Damaskus befinden der „El-Fa/tah“ (nur etwa acht Kilometer von der Front) ist Sachem ed-Dschaulan. Die Gesamtzahl der in Syrien stationierten Freischärler schätzt man zur Zeit auf rund 9000. Ein Teil davon ist in zehn Spezial-bataillonen der syrischen Streikräfte integriert.

Obwohl die „Fedaijjin“ hervorragend ausgerüstet und gut ausgebildet sind, konnten sie bislang noch keine spektakulären Erfolge in ihrem Guerillakrieg gegen die israelische Anwesenheit auf den Golan-Höhen aufweisen. Ihr stärkster sich großangelegte Ausbildungslager, Munitionsdepots und strategische Leitstellen. Zwei von ihnen, eines südlich der von den Sowjets mitbenutzten Hafenstadt Latakia am Mittelmeer und eines in Montar südlich des kleinen Seehafens von Tartus, befassen sich ausschließlich mit Seeoperationen gegen den Gazastreifen und die Sinaihalbinsel. Die Lager von el Schama unweit der Straße Damaskus—Beirut ed-Dumah nordöstlich der syrischen Hauptstadt und Darcha in der Nähe der jordanischen Grenze dienen als Ausgangspositionen für die Nadelstiche gegen israelische Militärstellungen und Siedlungen auf den Golan-Höhen. In Darcha befindet sich auch eine militärische Funkstation der PLO. Vorgeschobenes Hauptquartier

Feind sind nicht die wachsamen Israelis, sondern die ungünstigen strategischen und logistischen Verhältnisse. Der von den Israelis besetzte Golan geht im Nordosten über in flache, bäum- und hügellose Wüste, die leicht einzusehen und selbst bei Nacht schwer unbemerkt zu durchqueren ist. Westliche Kreise im nahöstlichen Nachrichtenzentrum Beirut beurteilen die ungewöhnlich harten israelischen Vergeltungsschläge daher auch als „Schüsse mit Kanonen auf Spatzen“. Auf arabischer Seite argumentierte man, die Jerusalemer Regierung wolle offenkundig das Zustandekommen einer amerikanischen oder einer gemeinsamen amerikanisch-sowjetischen Vermittlungsaktion im Nahostkonflikt sabotieren.

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