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Szenario mit Millionen Toten

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Was passiert, wenn die USA und die Sowjetunion ihre gigantischen Atomwaffen- Arsenale wirklich einmal gegeneinander einsetzen sollten? In einem vor kurzem erschienenen Buch, das die Auswirkungen eines Atomkrieges untersucht, ist von Hunderten Millionen Toten die Rede. Dabei bedienen sich die Verfasser der Studie nicht der zynischen Sprache der Militärs, für die eine Million Tote schlicht „Megatote" (megadead)sind.

Auftraggeber der Studie über die „Auswirkungen des Atomkrieges“ war eine Institution des amerikanischen Kongresses, das „Amt für Technologie-Bewertung“ (Office of Technology Assessment). Gegenstand der Untersuchung sind nicht die Atomkriegs-Folgen für den militärischen, sondern für den zivilen und wirtschaftlichen Bereich.

Das Szenario für einen atomaren Schlagabtausch der Supermächte ist in die Mitte der Achtzigerjahre gelegt. Nur interkontinentale Waffen werden berücksichtigt. Die auf kurze und mittlere Strecken berechneten Waffen, die Europa in Ost und West verwüsten würden, bleiben außer Betracht.

Meiner Meinung nach würden freilich gerade diese die allermeisten Opfer fordern, lagern doch in und um Europa wahrscheinlich gegen 15 000 Atomwaffen - die meisten stärker, oft sogar viel stärker, als die Bombe von Hiroshima. Es wird also nur die Wirkung eines „Austauschs“ (exchange), wie das schöne Wort heißt, USA/ UdSSR berücksichtigt.

Im Buch werden mehrere Möglichkeiten berücksichtigt. Ein Fall besteht in einem Angriff, der auf die strategischen Waffensysteme des Gegners (Raketensilos und Bomber-Basen) be schränkt ist. Ein solcher Angriff könnte in den USA bis zu 11 Prozent der Bevölkerung töten, im Falle rechtzeitiger Evakuierung (wie und wohin?) etwa halb so viel.

Bei einem Angriff der USA auf die militärischen und wirtschaftlichen Ziele in der Sowjetunion würden dort ohne Evakuierung 20-40 Prozent der Bevölkerung umkommen, bei einem Angriff der Sowjetunion auf die gleichartigen Ziele in den USA 35-77 Prozent.

Die starke Unsicherheit in den Zahlenwerten ergibt sich vor allem aus der Schwierigkeit, die tödliche Wirkung des radioaktiven Niederschlags (Fallout) abzuschätzen. Dieser Staub würde ja in unvorhersehbarer Weise von Wind und Wetter über das ganze Land getragen.

Die größte Zahl von Opfern schließlich würde sich ergeben, wenn zusätzlich die Zentren der Bevölkerung getroffen würden. Dann könnten laut Buch bei einem Angriff von Ost auf West bis zu 88 Prozent, von West auf Ost bis zu 50 Prozent der gesamten Bevölkerung sterben. Der Unterschied folgt aus der andersartigen Verteilung der Bevölkerung über die Territorien der beiden Staaten.

Eine einzige Riesenbombe auf De troit würde drei Millionen Opfer fordern.

So erstaunlich und furchtbar diese Zahlen sind, sie kommen doch noch immer nicht an die Wahrheit heran. Berücksichtigt werden ja nur die unmittelbaren Opfer der militärischen Aktion einschließlich derer, die später ihren Verletzungen erliegen.

Weitere Abermillionen würden aber in den ruinierten Ländern an Hunger, Kälte und Seuchen sterben. Keine Behausungen und .keine Spitäler sind übrig, Nahrung, Brennstoff, Strom und nicht-radio-aktives Wasser fehlen. Vielerlei Effekte können - wie in dieser Studie betont wird - überhaupt nicht vorhergesehen werden.

Das (bis jetzt leider nur in Englisch erschienene) Buch ist für eine breite Schicht von Gebildeten verständlich. Ein interessanter Abschnitt, von Nan Randal! verfaßt, ergänzt die nüchternen Schätzungen durch eine erfundene Schilderung. Anschaulich wird beschrieben, wie das Leben in einer fiktiven kleinen Stadt („Charlottesville“) betroffen wäre, die, durch Zufall der direkten Zerstörung entgangen, aber natürlich der Wolke des radioaktiven Niederschlags ausgesetzt war.

THE EFFECTS OF NUCLEAR WAR. Office of Technology Assessment. Verlag Croom Helm, London 1980. 152 Seiten, öS 381,60.

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