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Szenarios für die Zukunft Hongkongs

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Können Hongkongs 5,6 Millionen Einwohner nach der Übereinkunft zwischen London und Beijing über die Kronkolonie nach 1997 wieder sorgenfrei in die Zukunft blicken? Entscheidend ist jedenfalls, was sich in nächster Zeit in der chinesischen Führung tut. Portugals Kolonie Macao scheint besser dran.

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Können Hongkongs 5,6 Millionen Einwohner nach der Übereinkunft zwischen London und Beijing über die Kronkolonie nach 1997 wieder sorgenfrei in die Zukunft blicken? Entscheidend ist jedenfalls, was sich in nächster Zeit in der chinesischen Führung tut. Portugals Kolonie Macao scheint besser dran.

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Der britische Außenminister Sir Geoffrey Howe konnte bei der letzten Sitzung der gemischten Kommission über die Zukunft Hongkongs in Beijing Anfang August eine in wesentlichen Zügen erreichte Ubereinkunft zwischen den beiden Partnern Großbritannien und der Volksrepublik China verkünden. Bei diesem historischen Kompromiß haben allerdings die 5,6 Millionen Einwohner der Kolonie nichts mitzureden. Trotzdem ist Howe überzeugt, in großen Zügen ihre Interessen gewahrt zu haben. Bis Ende September soll das Abkommen vertraglich festgelegt werden.

Nach dieser (einseitigen) Verlautbarung garantiert China (wenn es 1997 die Souveränität übernehmen wird, weil dann der 100-jährige Vertrag über die „New

Territories" auslaufen wird) 50 Jahre hindurch den Fortbestand des kapitalistischen Wirtschaftssystems und des nach New York und London drittgrößten Finanzzentrums der Welt. Aufrechterhalten bleiben das wirtschaftliche und soziale Gefüge, das dem einzelnen Hongkong-Einwohner bislang ein Maximum an persönlicher Entfaltung erlaubte, sowie ein eigenes Rechtssystem. Ungeklärt ist allerdings weiterhin, wo der Appelationsgerichtshof seinen Sitz haben wird.

Die Währung bleibt konverti-bel. Die internationalen Verträge mit GATT, EG, Währungsfond bleiben in Kraft.

Privatbesitz und Gewerbefreiheit sind gewährleistet, von freier Religionsausübung aber ist (noch?) keine Rede. Die bisherigen Polizeikräfte sorgen für Ordnung, doch werden chinesische Truppen einmarschieren.

China ist offensichtlich daran interessiert, den Status von Hongkong als Finanz- und Wirtschaftszentrum zu erhalten, aus dem es etwa die Hälfte seiner Devisen bezieht, ebenso die technologische und wirtschaftliche Expertise. Es beteiligt sich hier durch direkte Investitionen am

Tanz ums Goldene Kalb der Ge-winnmaximierung.

Durch diese Form einer Enklave im eigenen Staatsgebiet, in der die verteufelten Kapitalisten Narrenfreiheit genießen, solange sie dem kommunistischen Armenhaus ihren Obulus entrichten, glaubt Deng die Quadratur des Kreises zu verwirklichen.

Die ersten Reaktionen der Börse scheinen ihm recht zu geben. Schon am 2. August stiegen die Werte um 66,95 Punkte auf 893,65; war der Index noch am 13. Juli auf 746,02 Punkte gesunken, dürfte er nach Ansicht der Experten nun bald die 1000 Punkte-Grenze wieder erreichen. Inzwischen beschlossen die Banken, den Zinsfuß um zwei Prozent zu senken, nicht zuletzt um dem Druck auf den Hongkong-Dollar zu begegnen, der im letzten Oktober eine scharfe Talfahrt angetreten hatte.

Die letztes Jahr durch fortge-

setzte, unvorsichtige Äußerungen aus Peking bewirkte Talfahrt der Wirtschaft hatte den Machtha-bern in Beijing klargemacht, daß das reibungslose Funktionieren des kapitalistischen Systems einer delikaten Vertrauensgrundlage bedarf. Börse und Währung hatten regelmäßig nach unten ausgeschlagen, wenn kalter Wind aus dem Norden wehte, und riesige Kapitalien und ihre Besitzer traten die Flucht an. Die meisten Einwohner Hongkongs hatten schon einmal mit den Füßen gegen das kommunistische System abgestimmt.

Wie geht es weiter? Das optimistische Drehbuch sieht voraus, daß London — zwar reichlich verspätet — die Einheimischen zur Mitarbeit in den demokratischen Institutionen heranzieht, so daß sie in 13 Jahren bereit sein werden, die Verantwortung zu übernehmen. Ein Chinese aus Hong-

kong wird dann als Gouverneur von Beijings Gnaden walten.

Die chinesische Begabung für harte Arbeit und Geschäftstüchtigkeit, sofern das Profitmotiv funktionieren darf, wird nicht nur die Prosperität der Enklave sichern, sondern immer tiefer die „freien Zonen" durchdringen, in denen die Pekinger Regierung Investitionen ausländischer Kapitalisten begünstigt. Diese Zonen werden sich gegen Kanton und der Küste entlang gegen Fukien ausdehnen.

Beijing plant bereits, in 14 Küstenstädten rund 50 Milliarden US-Dollars zu investieren, wobei vor allem Auslandschinesen anvisiert sind. Interessant ist, daß kürzlich die „Bank of China" mit 13 in Hongkong unter Pekings Regie arbeitenden Banken die „Chung Mao Securities Co." gründete, um ins Börsengeschäft einzusteigen. Dadurch sollen die

Bankiers von Beijing Erfahrungen mit dem kapitalistischen System sammeln.

Doch ist vorauszusehen, daß in Bälde auch Anteile von rotchinesischen Firmen in Hongkongs Börse gehandelt werden, ja daß sogar in China selbst eine Börse entstehen wird. Damit zeigt Beijing, daß seine Parole „zwei Systeme in einem Staat" funktionsfähig ist und schafft damit die Voraussetzung dafür, daß Taiwan sich nach Hongkong und Macaos Vorbild darin einfügen könnte.

Natürlich würde dieser Vorgang die Volksrepublik China selbst von innen her verändern, die Ideologie zugunsten des profitablen Handelns in den Hintergrund rücken.

Das pessimistische Drehbuch hingegen sieht voraus, daß zu einem nicht allzu fernen Zeitpunkt, zum Beispiel nach dem Hinscheiden des starken Mannes Deng Hsiao-ping, die alten Maoisten aus ihren Igelstellungen in der Armee und im Staatssicherheitsministerium zum Gegenangriff gegen die geistige und kapitalistische „Umweltverschmutzung" aus Hongkong antreten werden.

Diese Fanatiker der reinen Lehre Maos wollen den vier Modernisierungen den Kampf ansagen, damit wäre auch die Zukunft Hongkongs in negativem Sinn entschieden. Wer Kapital besitzt oder Talent anzubieten hat, wird leicht im Westen oder in Taiwan unterkommen. Wohin aber werden sich die Flüchtlinge ohne solche Empfehlungen wenden? Wie auch immer: Fördern die Machthaber von Beijing durch eine unkluge Politik die Massenflucht aus Hongkong, werden sie ganz gewiß eine leere Schale erben.

Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß der Kampf um die Nachfolge Dengs bereits im Gange ist. Zu den alten Garden schlägt sich heute auch die Führung des Nationalkongresses (Parlament), die ein neues Machtzentrum für die Opposition bildet. Vom Ausgang dieser Diadochenkämpfe hängt die Zukunft Hongkongs ab.

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