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Szenisches Vielerlei

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Wenn der Mensch aus der Gemeinschaft, der er zugehört, ausgestoßen, wenn er mißhandelt, verfolgt, aller Lebensvoraussetzungen beraubt wird, ist er dann noch ein Mensch? In dem Stück „Golems“ der Französin Liliane Atlan, das im Theater der Courage zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte, bezeichnen sich jüdische Kinder aus einem polnischen Ghetto, die von SS-Leuten in einem Lkw zur „Liquidierung“ transportiert werden, als Golems, als Menschen, die keine Menschen sind.

Grol, ein deutscher Soldat, der getötet hat, aber dieser Gruppe junger Juden zur Flucht verhelfen wollte, dabei gefaßt wurde, muß nun ihr Schicksal teilen. Er versucht, sie über ihre Situation durch allerlei Erzählungen wenigstens vorübergehend hinwegzutäuschen, ihre Phantasie anzufachen und schon wähnen sie, sich wieder in den Wäldern zu befinden, in denen sie untergetaucht waren, sie glauben, sich bis zum Meer durchschlagen zu können, das gelobte Land zu erreichen, sie spielen dies, spielen das, lachen, singen, der eine betet und all das überdeckt nur die namenlose Angst. Immer wieder holt sie der Sturmführer heraus, befiehlt dem Soldaten als Hund zu bellen, peitscht Widerstrebende, schließlich werden sie erschossen.

Ein tief ergreifender Eindruck: die Visionen des Holden, Schönen der Welt über dem Abgrund des nahen Todes. Bei der szenischen Umsetzung dieses gleichsam als Requiem wirkenden Stücks ergibt sich für den Regisseur Rudolf Jusits ein nicht zu bewältigendes Hindernis: die Kinderrollen müssen mit zwar jugendlichen, aber nicht mehr kindlichen Darstellern besetzt werden. Abgesehen davon, kommen das gespenstisch Heitere und die Augenblicke ausbrechender Angst zu starker Wirkung. Gleiches Verdienst aller Beteiligten. Von Lida Winiewicz stammt die treffliche Übersetzung.

Eine Kleinbühne, das Ensembletheater am Kärntnertor, führt Grill-parzers Trauerspiel „Sappho“ auf. Merkbar geht es dem Regisseur Dieter Haspel darum, der oft falschen Interpretation im Sinn glatten klassischen Ebenmaßes auszuweichen, also wird das Stück optisch der archaischen Zeit zugeordnet, die männlichen Darsteller treten fast unbekleidet auf. Eine wildere Zeit ist das, wir sehen.wie Phaon und Melitta mit Gewalt zurückgebracht werden, man wirft ein Netz über sie. Das mag durchaus angehen, doch bei Sappho Lesbisches anzudeuten, entspricht nicht dem Stück. Am Schluß

wird eine Apotheose angefügt: heutige Touristen bestaunen die in Denkmalpose erstarrten Hauptgestalten.

Im Hintergrund der abgetreppten Spielfläche hat der Bühnenbildner Hans Hoffer eine silbrige Bergwand angeordnet. Die treffliche Lichtregie erreicht reizvolle Wirkungen. Die Crux der Aufführung ist die Besetzung der Titelrolle: Die so oft vorzügliche Eva Kerbler hat nichts von der geistigen Überlegenheit der Ausstrahlung dieser Frauengestalt. Erst durch diese Überlegenheit, die dem Sinnlichen erliegt, erhält das Stück seinen Sinn. Außerdem zerhackt die Kerbler dauernd die Sätze. Ein glaubhafter Phaon ist Mario Scan-zoni, knabenhaft wirkt die Melitta von Christiane B. Horn. Auf jeden Fall ist es verdienstvoll, daß sich junge Leute mit Grillparzer auseinandersetzen.

In St. Marx wurden die Aufführungen der „Arena 75“ mit einem Gastspiel des japanischen Red Buddha Theatre fortgesetzt, das die Produktion „Raindog“ des Texters, Komponisten und Regisseurs Stomu Yamashta darbot. Eine Rockmusik, schwer wie Bombeneinschläge, stampfend wie ein Hammerwerk, bedrängte das Ohr, war aber streckenweit auch feierlicher Wirkungen fähig. Mit den bekannten Nö-Spie-len hat das nichts zu tun. Auf der Bühne gibt es fast dauernd einen Wirbel rasend Tanzender, Springender, gekämpft wird, Purzelbäume werden geschlagen, Fahnen geschwungen, nur selten sitzen ein, zwei der Gestalten ruhig da. Erst gegen Schluß erkennt man einen Vorgang: ein Würdiger tötet einen Hund, wird von einem Mädchen erstochen, das dann ein Kind bekommt. Dem Programmzettel ist zu entnehmen, was es mit dem Hund für eine magische Bewandtnis hat. Man bestaunte die artistischen Leistungen, blieb auf lange Strecken unberührt. Interessant wäre es gewesen, zu erfahren, was in dieser Produktion auf

Tradition beruht und was eine Show ist.

Die nächste Produktion in der „Arena 75“ brachte eine Uraufführung: das wienerische Musical „Schabernack“ von Alf Kraulitz und Eduard Neversal mit der Musik von Arthur Lauber. Endlich spielt wieder ein Bühnenwerk nicht in England oder in Amerika, sondern, wie in unserer Zeit der Vorstadttheater, in Wien, und zwar dort, wo es am wienerischsten ist, am Naschmarkt, die Standin für Gemüse und Obst füllen immer wieder die Bühne. Revolution unter den Herrschaften Standlern männlichen und weiblichen Geschlechts, einschließlich zweier Straßendamen, die Buden sind bedroht, denn sie sollen einer vielspurigen Autobahn weichen, selbstredend in der Zeit des Umweltschutzes mit Grün acht Zentimeter breit aus Kunststoffrasen. Wie sie die Magistratsbeamten herumkriegen, was sich an Schabernack im Traum eines der Standler begibt, des „Schmähkönigs“, sei nicht allzusehr angelastet, auch nicht die Schwäche der eigentlichen Handlung, die sich besonders nach der Pause auswirkt, denn da ist der Erfolg schon durch die vielen mitreißenden Gesangspartien, einzeln, zu zweit, in Gruppen, unter der Regie von Helmut Siderits und der vorzüglichen Choreographie von Lola Braxton längst erreicht. Die Musik spricht an, „Misthaufen and Friends“ sind munter an ihren akustischen Werkzeugen, wenn man das so nennen darf. Besondere Spiellust spürt man bei allen Darstellern, Charly Winkler als standlerischer Schmähkönig, Lydia Weiss als Standlersbraut, Sigrun Quetes als naschmarktbesuchende Sekretärin, sowie Tilla Hohenfels und Grita Kral als Straßendamen seien hervorgehoben. Auch die Texter verkörpern zwei Rollen. Sehr viel Szenenapplaus.

Ist heute eine 27jährige Jungfräuliche als Hauptgestalt für ein Stück möglich? Fast möchte man es verneinen, und doch wirkt das derzeit in der Kleinen Komödie aufgeführte Zweipersonen-Lustspiel „Taxijahrl“ von John. Murray, ß;\s diesen . Vorwurf behandelt, überaus amüsant. Maggi, um sie geht es, zeigt sich sehr bekümmert, wähnt nicht' ganz Frau sein zu können und versucht nun höchst drollig, ihre Hemmung mit Gewalt zu überwinden, wozu ein Taxichauffeur — eigentlich ist er Maler — verhelfen soll, der aber keineswegs nur zu Therapiezwecken eingesetzt sein will. Was sich da an Schwierigkeiten aufbaut, hinter denen spitzbübisch die Liebe lauert, bis die Hindernisse zusammensinken, das macht den Reiz dieses Spiels aus. Auch hier führt Helmut Siderits Regie — er ist der Leiter dieser Bühne — leichtgewichtige Darbietung, wobei Johanna Brix die psychische Wandlung überzeugend glaubhaft macht und Bernd Ander ihr männlich einfühlsamer Partner ist.

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