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Tabu Abtreibung

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Die Splitter und Balken zerbrochener Dämme nach einer Sturzflut einzusammeln, um im reißenden Strom neue Barrieren zu errichten, ist unmöglich. Mit der Fristenregelung wurden Dämme eingerissen und hinweggefegt.

Um beim Bild zu bleiben: es herrscht noch immer Hochwasser. Deshalb ist es auch so schwer, neue Schutzbauten zu errichten, umso nötiger aber, neues, wirksames, zeitgemäßes Material zu verwenden und das Terrain genau zu kennen. Nur so kann der Strom eingedämmt werden.

Die Bemühungen der Aktion Leben, neue Grundfesten zu er-

richten, werden leider immer wieder von Menschen unterlaufen, die theoretisieren und Aussagen oder Andeutungen machen, ohne dies zu bedenken. Sie werden dann auch noch der Aktion Leben in die Schuhe geschoben. Auf so einfache Weise entzieht sich Rechts und Links ernsthafter Anstrengungen. Als Generalsekretärin der Aktion Leben habe ich reichlich einschlägige Erfahrung gemacht.

Wir arbeiten auf den Gebieten der Aufklärung, der Vorbeugung, und — sehr wichtig! — der tätigen Hilfe. Die Summe unserer Erfahrungen läßt uns das Haschen nach der Wiedereinführung der Strafbarkeit als überholt und nicht mehr problemadäquat erscheinen. Es schmerzt, wenn sie - kaum eine Woche nach einem bedeutsamen Kompromiß über das Ju- gendwohlfahrtsgesetz—von Christof Gaspari (FURCHE 6/1989) verlangt wird.

Wir haben ganz andere Prioritäten.

Weil aber immer wieder, auch in den Ausführungen von Christof Gaspari, davon die Rede ist, daß Abtreibung nach der Strafrechtsreform 1975 erlaubt sei, ist

festzuhalten: Abtreibung ist generell verboten (Paragraph 96 Strafgesetzbuch). Was die Fristenregelung vorsieht, ist Straffreiheit, wenn drei - und alle drei — Voraussetzungen erfüllt werden, nämlich:

1. die Dauer der Schwangerschaft darf drei Monate nicht überschreiten,

2. eine ärztliche Beratung muß stattfinden,

3. die Abtreibung muß von einem Arzt durchgeführt werden.

Fraglos sind diese Bestimmungen dem Unrecht der Abtreibung nicht angemessen und ungeeignet, sie zu verhindern. Das muß auf andere Weise erreicht werden und ist nur mit lebens- und menschenbejahender Einstellung möglich.

Es ist müßig darüber zu reden, was früher war. Sowohl die Fakten der Vergangenheit wie auch der Gegenwart liegen weitgehend im Dunkel. Zielführender ist, zu fragen, wie könnte, wie sollte es sein. Hier und jetzt. Alles Geschehen findet eingebunden in Zeit und Raum statt. Wer heute redet, muß reden angesichts des heutigen Zeitgeistes, der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, der heutigen Einflüsse, der heutigen Stellung der Frau, der heutigen KinderfreundZ-feindlichkeit…

Wenn das Ziel der Schutz der Mütter und ihrer Kinder von allem Anfang an ist, muß man bei den Grundfesten zu bauen beginnen. Dazu gehört das Wissen und die Einsicht, daß Mensch ist, was vom Menschen gezeugt wurde, unabhängig von der entwicklungsbedingten Erscheinungsform. In wenigen Jahren werden medikamentöse Frühabtreibungen durchführbar sein. Vor deren Anwendung schützt nur das bessere Wissen und das höhere Verantwortungsgefühl. Strafrecht

lich läßt sich ihre Anwendung gar nicht mehr verfolgen.

Wer sich der Tatsache des Menschseins bewußt ist, wird verantwortungsvollen Umgang mit der Zeugungskraft sinnvoll, ja unumgänglich finden. Damit wird die verantwortete Elternschaft zum Postulat.

Im Falle ungeplanter oder unerwünschter Schwangerschaften geht es darum, Hilfen anzubieten, Alternativen aufzuzeigen. Dazu ist heute ein wesentlicher inhaltlicher Ausbau der - auch kirchlichen - Beratungsstellen dringend vonnöten. Erst wenige Hilfs- und Beratungsstellen führen modellhaft vor, was alles gemacht und erzielt werden kann.

Oft wird übersehen: Der Zugang zur Beratung hat sich tatsächlich als leichter erwiesen, seit nicht die Angst vor der Strafe die Menschen daran hindert, Rat und Hilfe zu suchen. Noch mehr könnte gemacht werden, wenn sich der Gesetzgeber nicht mit Beratung durch den abtreibenden Arzt zufriedengeben würde.

Die „abtreibungswilligen“ Frauen, von denen Herr Gaspari redet, gibt es kaum. Fast alle, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheiden, stehen unter einem für sie unerträglichen Druck.

Mich erinnert ihre Situation an die der biblischen Ehebrecherin. Auch dort wird nämlich eine beschuldigt, wo zwei gehandelt hatten. Jesus aber lädt jene ein, den ersten Stein zu werfen, die sich ohne Sünde wissen. Alle Umstehenden gehen weg. Er fordert keine Bestrafung.

Sind wir nicht dazu aufgerufen, seinen Weg zu gehen? Für die, die dem Leben dienen, gibt es genug zu tun.

Die Autorin ist Generalsekretärin der Aktion Leben.

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