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Tabu Abtreibung: Schweigen brechen

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100.000 Abtreibungen pro Jahr in Österreich: nach der „Befreiung der Frau“ durch die Fristenregelung hat sich in allen politischen Lagern Ernüchterung breitgemacht. Jetzt geht's um konkrete Maßnahmen.

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100.000 Abtreibungen pro Jahr in Österreich: nach der „Befreiung der Frau“ durch die Fristenregelung hat sich in allen politischen Lagern Ernüchterung breitgemacht. Jetzt geht's um konkrete Maßnahmen.

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Hat die Legalisierung der Abtreibung tatsächlich die „Befreiung“ der Frau gebracht, wie dies einst die Befürworter der Fristenregelung prophezeit hatten? Oder sind die Frauen nach wie vor die Opfer einer Gesellschaft, die nicht bereit und imstande ist, Schwangeren in Not wirklich zu helfen?

Inder Bundesrepublik Deutschland werfen mittlerweile immer mehr Frauen den ehemaligen Fristenregelungsbetreibern vor, daß sie darüber alle Probleme, die mit einer Abtreibung verbunden sind, totschweigen, um den „Konservativen“ nur ja keine Argumente zu liefern. Seit einiger Zeit schließen sich aber in der Bundesrepublik betroffene Frauen in Selbsthilfegruppen zusammen, um ihre Situation nach einer Abtreibung gemeinsam zu besprechen und zu verarbeiten.

In Österreich stößt das Reden über die psychischen Probleme der Frauen nach einer Abtreibung indes noch auf viel Angst und Aggression. Erica Fischer von der linken „Gras“-Frauengruppe, zum Beispiel, erklärt diese Angst damit, daß sich die Frauen nach, wie vor bedroht fühlten: einerseits fürchten sie die Wiedereinführung der strafrechtlichen Verfolgung der Abtreibung, andererseits sei ihnen eine Politik nicht ganz geheuer, die den Frauen offensichtlich wieder die „drei K's“ (Kinder, Küche, Kirche) zuweisen möchte.

Nach Fischers Ansicht wehrten sich die Frauen auch gegen eine Gesellschaft, die ihnen Schuldgefühle einreden wolle. Sie wirft zum Beispiel der Plattform „Geborene für Ungeborene“ eine sommerliche Plakataktion vor: „Wir Frauen wurden auf Plakatwänden mit überdimensional großen Embryos konfrontiert.“

Eva Kubelka von „Geborene für Ungeborene“ weist diesen Vorwurf mit dem Hinweis zurück, daß nie die Absicht bestanden habe, bei den Frauen Schuldgefühle zu wecken, sondern man wollte einfach zeigen, was wirklich ist: „Ein Embryo ist eben mehr als eine befruchtete Eizelle. Er ist menschliches Leben.“

Alfred Rockenschaub, der ehemalige Vorstand der Ignaz-Sem-melweis-Klinik in Wien, meint, daß jede Frau nur mit ihrem Glauben beziehungsweise NichtGlauben erfassen könne, inwieweit bei einer Abtreibung menschliches Leben getötet wird: „Für mich persönlich ist jede menschliche Zelle Leben — auch jede Krebszelle.“

Rockenschaub hält die psychologische Nachbetreuung oder auch Selbsthilfegruppen für einen Teil der Frauen für äußerst notwendig: „Denn wie die Frauen einen Schwangerschaftsabbruch psychisch verarbeiten können, hängt ganz stark mit ihrer Erziehung, ihrer religiösen Einstellung und auch mit dem Verhältnis zur eigenen Mutter zusammen.“

Monika Holzmann, Beraterin in der „Aktion Leben“, weiß aus der eigenen Beratungstätigkeit, daß für Frauen jede Abtreibung ein Kampf zwischen Emotion und Ratio sei. Das innere Gleichgewicht werde auf jeden Fall gestört.

' Holzmann kennt Frauen, die psychische Probleme nach einer Abtreibung fast nicht zu verarbeiten imstande sind und sich von Schuldgefühlen beinahe auffressen lassen. Andererseits trifft sie aber nach wie vor auch Frauen, die die „Fristenregelung für eine Art von Geburtenregelung halten“.

Das Pastoralamt der Erzdiözese Wien und das Katholische Familienwerk bieten seit einiger Zeit Seminare unter dem Titel „Projekt Rachel“ an. Dabei werden Seelsorger sowie Ehe- und Familienberater mit dem Problemkreis Abtreibung vertraut gemacht und die helfende Gesprächsführung eingeübt.

Unter der Obhut der Plattform „Geborene für Ungeborene“ steht eine Selbsthilfegruppe von Frauen, die abgetrieben haben. Eva Kubelka, die Betreuerin dieser Gruppe, kämpft in erster Linie mit dem Problem, daß sich „Frauen nicht trauen, über ihren Schwangerschaftsabbruch zu reden. Es ist zwar nicht tabu, abzutreiben, aber es ist offenbar tabu, darüber zu reden.“

Hat die Fristenregelung nun die Frauen .freier gemacht? Alfred Rockenschaub, Erica Fischer und Irmtraut Karlsson, die Bundessekretärin der SPÖ-Frauen, bejahen dies insofern, als sich die Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen, nicht mehr vor der Strafe fürchten müssen.

Monika Holzmann von der „Aktion Leben“ gibt allerdings zu bedenken, daß der gesellschaftliche Druck auf viele schwangere Frauen größer geworden sei: „Nicht nur Mädchen mit einer Erstschwangerschaft, sondern genauso Frauen mit einer Dritt- oder Viertschwangerschaft werden immer öfter von ihrem Partner vor die Wahl gestellt: entweder ich oder das Kind.“

Holzmann warnt aber vor einer Wiedereinführung des Paragraph 144. Dieser Auffassung schließt sich auch Irmtraut Karlsson von den SP-Frauen an: „Es geht jetzt nicht darum, den Schwangerschaftsabbruch zu verbieten, sondern darum, ihn zu verhindern.“ Karlsson will deshalb mit einer massiven Aufklärungskampagne die hohe Zahl der Abtreibungen in Österreich — rund 90.000 jährlich — senken.

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