6985589-1986_25_04.jpg
Digital In Arbeit

Tätige Reue statt Strafe

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht nur Kriminalsoziologen und Bewährungshelfer können davon ein trauriges Lied singen: die Verurteilung durch den Jugendrichter steht nicht selten am Beginn einer kriminellen Karriere.

Auch wenn das Strafdelikt bloß Bagatellcharakter hat, auch wenn die Strafe meist nur bedingt ausgesprochen wird, der jugendliche Täter trägt das Kainsmal des Richterspruchs oft sein ganzes Leben lang.

Das beginnt bereits mit dem Verlust der Lehrstelle oder des Arbeitsplatzes nach einer gerichtlichen Verurteilung. Der solcherart Stigmatisierte verliert in der Folge den Kontakt zu seiner gewohnten Umwelt, wechselt dann auch den Freundeskreis, gleitet beinahe zwangsläufig in „gefährdetes Milieu“ ab.

Der Teufelskreis ist perfekt.

Einen Ausbruch aus diesem Teufelskreis versucht der Entwurf für ein neues Jugendgerichtsgesetz. Danach sollen zur Vermeidung von strafrechtlichen Verurteüungen Jugendlicher Strafverfahren bei minderschweren Delikten probeweise dann eingestellt werden können, wenn der Jugendliche bestimmte Bedingungen erfüllt, wie zum Beispiel Wiedergutmachung des angerichteten Schadens oder Arbeit für die Allgemeinheit.

Nur: diese, für viele Jugendliche überaus wichtige Gesetzesinitiative teilt seit Beginn dieser Legislaturperiode das Schicksal anderer wichtiger gesetzgeberischer Vorhaben. Die Beratungen über das neue Jugendgerichtsgesetz werden trotz grundsätzlicher Ubereinstimmung aller Parteien

im zuständigen Justizausschuß des Parlaments verschleppt, das Gesetz kann vom Nationalrat nicht beschlossen werden (FURCHE 43/1985).

Dessen ungeachtet läuft — nach einer Versuchsperiode in Linz zwischen März und August 1985 — seit 1. September 1985 in Wien, Salzburg und Linz das Modellpro-

jekt „Konfliktregelung statt Strafe“. Träger des Projekts ist der „Verein für Bewährungshilfe und soziale Arbeit“. Insgesamt acht Richter und sechs Staatsanwälte konnten in den drei Städten zur Zusammenarbeit mit den sogenannten Konfliktreglern, meist Sozialarbeiter oder Bewährungshelfer, gewonnen werden.

Das Projekt versteht sich als „prüfende Vorwegnahme“ des zentralen Aspekts der geplanten Jugendgerichtsgesetz-Reform, allerdings auf der Basis der geltenden Rechtslage: der Verzicht auf strafrechtliche Konsequenzen für den jugendlichen Rechtsbrecher, wenn der Konflikt zwischen dem Täter und dem Geschädigten im beiderseitigen Einvernehmen außergerichtlich beigelegt werden kann.

Damit geht das Projekt „Konfliktregelung“ über den Jugendgerichtsgesetz-Entwurf noch hinaus. Die Befriedung der Situation, der Ausgleich des Täters mit dem Geschädigten, die persönliche Initiative des Täters zur Wiedergut-

machung eines Schadens rücken in den Mittelpunkt, Richter und Staatsanwalt treten bei der Ahndung einer Straftat zurück.

Das Modell geht von der Erfahrung vieler Bewährungshelfer aus, daß unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten die Konfrontation des straffälligen Jugendlichen mit den konkreten menschlichen Folgen seiner Handlungen und mit den Schwierigkeiten einer Konfliktbereini-gung entscheidender und der weit wirkungsvollere Lernprozeß ist, als die Konfrontation des Jugendlichen mit einer gerichtlichen Strafdrohung als Maß für sein Unrecht.

Die bisherigen Ergebnisse geben den Initiatoren des Projekts „Konfliktregelung“ jedenfalls recht. Grob gerechnet, mußten mehr als zwei Drittel aller angefallenen Straffälle, auf die die Voraussetzungen für das Tätigwerden eines,.Konfliktreglers“ — Geständnis des Täters, eindeutige Beweislage, Bereitschaft des Geschädigten zum Ausgleich mit dem Täter - zutrafen, nicht weiter verfolgt und konnten von den Staatsanwälten oder Richtern eingestellt werden.

Eine eben veröffentlichte Telefonumfrage der „Arbeitsgemeinschaft für Sozialforschung und Bildstatistik in ganz Osterreich“ bestätigt die grundsätzliche Bereitschaft der Bevölkerung, Straftaten von Jugendlichen anders zu beurteilen und zu ahnden als die Straftaten Erwachsener.

Jetzt fehlt nur noch das ernsthafte Bemühen der Parlamentarier, das neue Jugendgerichtsgesetz auch tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung