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Tag des Lobens, Tag des Lebens

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„Sonntag“ (Jahresthema der Erzdiözese Wien) könnte für Christen bedeuten: Tag des Lobens, der Liebe, der Labung und des Lebens. Die Sabbatkultur könnte Vorbild sein.

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„Sonntag“ (Jahresthema der Erzdiözese Wien) könnte für Christen bedeuten: Tag des Lobens, der Liebe, der Labung und des Lebens. Die Sabbatkultur könnte Vorbild sein.

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Zwischen 100 und 110 n. Chr. wurde der greise Bischof Ignatius von Antiochien, vermutlich der zweite Nachfolger Petri auf dem Bischofstuhl dieser Stadt, gefesselt zu Schiff nach Rom überführt. Auf der Fahrt schrieb er mit gebundenen Händen sieben Briefe an verschiedene Gemeinden. Er spricht darin auch von der Bedeutung des Sonntags für die Christen und sagt unter anderem: „Wir feiern nicht mehr den Sabbat, sondern leben unter Beobachtung des Herrentages (Sonntags), an dem auch unser Leben aufgegangen ist.“

Zwei Generationen nach Tod und Auferstehung Jesu werden die.Christen hier beschrieben als Menschen, die vom Sonntag her leben — und dies inmitten einer heidnischen Umwelt. Ihr Lebensstil, ihre Lebenskultur bestimmt sich von diesem Tag her, der den Namen ihres Herrn trägt („dies dominica“). Er ist ihr Lebenstag, der Tag ihrer Hoffnung. Darum begehen sie ihn in spezifischer Weise und stechen so aus ihrer Umwelt heraus.

Heute, in „post-christlicher“ Ära, ist für uns Westeuropäer der Sonntag nur mehr der Schlußteil eines langen Wochenendes, das mit dem Freitag(-Mittag) beginnt. Jeder gängige Kalender weist ihn aus als den siebenten Tag der Woche und läßt jene mit dem Montag als dem ersten Arbeitstag beginnen. In kirchlichen Binnenkreisen weiß man zwar noch, daß der Herrentag an die Auf er weckung Jesu erinnert, doch ist selbst ihnen großteils entfallen, daß mit ihm die Sieben-Tage-Woche anhebt.

Gegenüber der säkularisierten Sicht springt ein fundamentaler Unterschied ins Auge. Die christliche Sieben-Tage-Reihe stellt den Sonntag voran, den Tag der Ruhe und des Lassens; die säkularisierte hingegen den Montag, den Tag der Arbeit. Tun und Lassen sind verschieden gewichtet: für Christen geht das Lassen (oder Uber-Lassen) dem Tun voraus; für sie bleibt alles Tun und Schaffen ins Lassen (zu Gott hin) und Empfangen (von ihm her) hineingegründet; beim säkularisierten Menschen dagegen dominieren Tun und Schaffen. Er erwartet alles von seiner eigenmächtigen Leistung und erholt sich über das verlängerte Wochenende neu, um wieder ins Leisten einsteigen zu können.

Schon an dieser Stelle wird sichtbar, welche Herausforderung inmitten einer säkularisierten Welt eine christliche Sonntagskultur darstellt (oder darstellen könnte).

Der Vorläufer des christlichen Sonntags ist der alttestamentli-che Sabbat. Die semitische Wortwurzel geht in die zweifache Richtung von „ruhen“ bzw. „vollendet werden“. Bringt man beide Bedeutungen zusammen, so ergibt sich die fundamentale Aussage im Blick auf den Menschen oder die Welt: „Der Mensch (die Welt) wird vollendet, wenn er (sie) zur Ruhe kommt.“

Israels Überlebenskraft

Im Jahre 70 n. Chr. eroberte der römische Feldherr Titus die Stadt Jerusalem. Der Tempel ging in Flammen auf, die heiligen Geräte und Gefäße, vorab die Menorah, fielen ihm in die Hände und fanden den Weg nach Rom. Der Titusbogen am Eingang zum Forum Rom'anum weiß noch heute anschaulich davon zu berichten. Für das jüdische Volk begann die fast 2000 Jahre währende Zeit der Diaspora, der Zerstreuung. Daß es in ihr überleben konnte, das verdankt es vor allem seiner Sabbat-Kultur.

Der Sabbat war und ist das große Öffentlichkeitszeichen des jüdischen Glaubens. Darin verleiblicht er sich, nimmt er Gestalt an. Spätestens ab dem babylonischen Exil 586 v. Chr. hat das alttesta-mentliche Volk Israel ganz vom Sabbat her gelebt. Dieses Glaubens- und Lebensgut ging über auf seine Nachfahren, die Juden, und gab ihnen die Kraft, zu überleben (trotz Auschwitz, Buchenwald und Mauthausen).

Israel und seine Nachfahren lebten (leben) den Sabbat als Zeichen der Hoffnung. Für sie kommt darin zum Ausdruck, daß von Gott her in der Welt- und Menschheitsgeschichte bereits Entscheidendes zu ihrer Vollendung geschehen ist. Sie bekennen weiter: Entscheidendes steht noch bevor, wird uns noch geschenkt.

Ausgefaltet lebt und sagt Israel mit' der Feier des Sabbats folgendes: Unsere Schöpfung ist Jahwes großes Geschenk, ein Lebenshaus voller Pracht und Schönheit; sie ist den Menschen anvertraut, damit sie sie behüten und bebauen (Gen 2,15); die Menschen „ver-gehen“ sich immer wieder an (in) der Schöpfung; deshalb berief Jahwe das Volk Israel zu seinem Mitarbeiter; es soll die verwundete Schöpfung heilen helfen (Gen 12,lff.); am Ende der , Tage wird Jahwe seinen Messias schicken, das Schöpfungswerk zu vollenden.

Die Feier des Sabbats stellt also das Volk Israel und seine Nachfahren in die große Perspektive ihres Lebens: wir sind von Gott Beschenkte; wir sind zu seinen Mitarbeitern berufen; wir halten die Hoffnung aufrecht auf den Schalom (die Gänze - von „ganz“), den Jahwe der Welt und den Menschen schenken wird.

Gegen Ende des ersten Jahrhunderts, nach der Zerstörung der Stadt Jerusalem, setzen sich die Anhänger Jesu von den Juden ab. Der Sonntag wird zu ihrem Tag. Begehen die Juden den Sabbat noch als Tag der Hoffnung -für sie, die Christen, ist der erwartete Messias schon da, setzt er sich schon durch. Also ist der „Hoffnungstag Sabbat“ mit vollem

Recht durch den „Erfüllungstag Sonntag“ abgelöst.

Was Israel und die Juden am Sabbat erwarten, das erfüllt sich schon im Machtkreis des Auferstandenen, wird Wirklichkeit am Sonntag. Alles, was die Juden am Sabbat erhoffen, das sehen sie schon anbrechen, sich erfüllen unter ihren gläubigen Augen und Händen: an ihrem (und der Welt) Sonntag schafft sich der Herr schon sein Neues Reich, den erwarteten Schalom. Deshalb konnte Ignatius von Antiochien sagen, daß den Christen am Sonntag „das Leben aufgegangen ist“.

Wie könnte eine hoffnungsstif-tende Sonntags-Kultur von Christen heute aussehen, die ihnen hilft, von diesem Tag „her zu leben“? Dazu einige Anregungen, die sich an Äußerungen Heinrich Spämanns in seinem Büchlein „Wiederentdeckungen“, Freising 1977, anlehnen, das dem Leser empfohlen wird.

1. Beginne den Sonntag am Vorabend; nutze schon diese Abendstunden, um in die innere Bewegung der Erwartung, der Hoffnung zu kommen und gehe so in den Schlaf. Nicht von ungefähr fängt für die Bibel der Tag mit dem Abend an. Ist das, was die jüdische Familie Vergleichbares zum entsprechenden Zeitpunkt setzt, für Christen nicht möglich: z. B. ein festlicheres Essen, ein gemeinsames Gespräch über das Sonntagsevangelium, eine Atmosphäre des Zeit-Habens füreinander?

2. Ruhe am Sonntag aus, als sei die ganze Arbeit getan. Komme so in eine Atmosphäre des Zeit-Habens, des Abstandes, des Lassens, des Vertrauens.

3. Nütze die Stunde im Gotteshaus zur Einübung in den ganzen Tag; bringe so das „Gottes-Lob“ („Eucharistie“) mit der Gutheißung von Welt und Mensch zusammen. Im Mittelpunkt des sonntäglichen Gottesdienstes steht der Lobpreis auf unseren Gott („lasset uns preisen den Herrn, unsern Gott“; „das ist würdig und recht“). Wir geben unserem Gott Antwort, der sich in Jesus Christus unter unser Leben stellt, es gut-heißt, es mit seinem Ja unterschreibt. Das ist Echo, Uraus-druck unseres Glaubens.

Diese Preisung will sich fortsetzen in der Gutheißung unserer Mitmenschen, unserer Welt. Nicht nur von Gott, auch von den Mitmenschen und von der Welt her wächst uns Leben zu. Das „Lob“ ist, auch seiner Wortwurzel nach, mit der „Liebe“ verwandt und ruft „Leben“ hervor. Wer hätte das nicht schon bei sich oder bei anderen wahr-genommen? So ist der christliche Sonntag darauf angelegt, ein „Lob“-Tag zu sein, ein Tag der offenen Augen und offenen Herzen füreinander, ein Tag der „Liebe“, der „Labung“, des „Lebens“.

4. Darin ist ein Weiteres eingeschlossen: Verzichte am Sonntag auf alle negative Kritik.

5. Versuche am Sonntag neu das Geschenk der Schöpfung zu sehen. Die Ahnung des Schöpfers soll dich wieder schöpferisch machen für deinen Umgang mit Mensch und Welt.

6. Jeder sollte am Sonntag auch eine Zeit finden für sich persönlich, eine Zeit der Einsamkeit.

7. Das wahllose Sich-füttern-Lassen mit den Angeboten der Unterhaltungsindustrie löscht den Sonntags-Geist aus.

Der Sonntag will zu Freiheit des Lobes und Lebens führen. Dies geht wohl nur schwer alleine über ein strenges Gesetz, denn zum Lob und zur Liebe will der Mensch gelockt, eingeladen werden.

Nach einer alten und wohl echten Uberlieferung rief Jesus einem Manne zu, der am Sabbat arbeitete: „Mensch, wenn du weißt, was du tust, bist du selig; wenn du es aber nicht weißt, bist du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes.“ (Lk 6,5 nach der Handschrift D aus dem 5. Jahrhundert)

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