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Tageslicht auf dem Zauber des Königlichen

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Es war ein Tag wie jeder andere. Die königliche Pferdenärrin ließ es sich nicht nehmen, zusammen mit ihrer greisen Mutter dem Epsom Derby beizuwohnen. In Londons Hyde Park krachten vierzig Kanonenschüsse zum Andenken daran, daß der jungen Elizabeth vier Jahrzehnte zuvor in der Westminster-Abtei die Krone von Eduard dem Bekenner aufgesetzt worden war.

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Es war ein Tag wie jeder andere. Die königliche Pferdenärrin ließ es sich nicht nehmen, zusammen mit ihrer greisen Mutter dem Epsom Derby beizuwohnen. In Londons Hyde Park krachten vierzig Kanonenschüsse zum Andenken daran, daß der jungen Elizabeth vier Jahrzehnte zuvor in der Westminster-Abtei die Krone von Eduard dem Bekenner aufgesetzt worden war.

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In der Elisabethanischen Ära hat sich das Königreich in einer Weise verändert, die vor vierzig Jahren von niemandem hätten vorausgesagt werden können. Ein Weltreich hat sich aufgelöst, die zahlreichen Kolonien sind mit kaum nennenswerten Ausnahmen in Unabhängigkeit entlassen worden. Die politische und wirtschaftliche Großmacht vergangener Tage ist längst ins zweite Glied der Weltmächtigen zurückgetreten. Und auch die Monarchie, das glanzvolle Symbol des nationalen Bewußtseins, hat an Glorie eingebüßt.

Immer noch ist der Brite vor allem Untertan der Krone und dann erst Bürger seines Heimatlandes. Immer noch wird der Monarchin wie am Beginn des Zeitalters Loyalität und Achtung entgegengebracht. Denn jedermann ist überzeugt, daß Elizabeth II. dem Lande Halt, Kontinuität und einen Brennpunkt gegeben hat. An die Stelle unkritischer Ehrerbietung, ja Unterwürfigkeit ist indes rationales Abwägen der monarchischen Bilanz getreten.

Können wir uns, so fragen sich die Inselbewohner, das Königshaus mit all seiner Prachtentfaltung, seinem Reichtum und seinen Privilegien überhaupt noch leisten? Viele meinen, die Flucht in eine märchenhafte Welt, das royale „Opium für das Volk", käme denn doch zu teuer.

Über das Materielle hinaus steht die Existenz der Monarchie in ihrer erstarrten Form auf dem Prüf stand. Fragen werden gestellt, die noch vor nicht allzu langer Zeit als Sakrileg verdammt worden waren. Der in diesen vier Jahrzehnten unübersehbar vollzogene soziale Wandel hat den Untertanen die Zunge gelöst. Klassenschranken, die im klassenbesessenen Königreich immer noch eine große Rolle spielen, sind abgetragen

worden, persönliche Leistung und individueller Erfolg zählen mit einemmal mehr als ererbte Macht und überkommener Einfluß.

Mehr denn je wird die konstitutionelle Monarchie als ein - wenn auch liebgewonnener - Anachronismus erachtet. Den Republikanern, allemal noch Angehörige einer kleinen Minderheit, schlägt die Tatsache aufs Gemüt, daß eine Person „von keineswegs größerer Tugend und Fähigkeit als ihre Landsleute" am Gipfel der Struktur von Macht, Autorität und

Reichtum thront und zum Bewahrer der Demokratie bestellt ist. Die Monarchie, so klagen sie, verewigt das verdammte Klassensystem und straft de facto das Recht auf Demokratie und Gleichheit Lügen.

Zögernd wird der Vorhang vor dem mystisch-entrückten Königtum weggezogen. Gerade davor hat der Vater der englischen Verfassungsinterpreten, Walter Bagehot, in viktoriani-scher Zeit gewarnt, als er sich verbat, „das Tageslicht auf den Zauber des Königlichen fallen zu lassen". „My-

stique", der geheimnisvolle Nimbus der Monarchie, hat sich tatsächlich verflüchtigt. Und das ist nicht allein das zweifelhafte Verdienst respektloser Medien und schnöder Buchautoren, die ohne Unterlaß im Privatleben der Royais schnüffeln. Die Angehörigen des königlichen Klans tragen selbst die Schuld.

Das Feuer im Schloß Windsor hat dazu geführt, daß es die allemal geduldigen Untertanen einfach nicht mehr hinnehmen wollten, die Kosten für die Reparatur den Reichsten der Reichen abzunehmen. Der Brand war

der Höhepunkt jenes - nach den Worten der Queen - „annus horribi-lis", als so ziemlich alles aus den Fugen geriet, was die Bürger an der englischen Vorzeige-Familie zu schätzen wissen.

Das moralische Vorbild für die Nation hat sich als ein Hirngespinst herausgestellt. Das von Königin-Mutter Elizabeth in den dreißiger Jahren entworfene Image des royalen Familienideals ging vor aller Augen in die Brüche: die Ehen der Königskinder liegen in Scherben, moralisch freizügige Eskapaden und enthüllende Telefongespräche, von Unbefugten abgehört und der Allgemeinheit weitervermittelt, beweisen, daß auch die Royais nur schwache Sterbliche sind.

Schwerenöter, Schwächlinge und Lüstlinge auf dem Thron hat es immer wieder gegeben. Nur wußten die Untertanen nichts darüber. Bei aller Öffnung ist der Palast auch heute noch von Geheimnissen umgeben. Dafür sorgt schon der Rattenschwanz von Hofschranzen, Günstlingen und adeligen Nichtstuern, der den Monarchen von der Wirklichkeit abschirmt. Unzeitgemäßes feiert weiterhin fröhliche Urständ. Die weiblichen Mitglieder zelebrieren bei jeder zufälligen Begegnung auch heute noch ihren Knicks. Die Belegschaft ist blütenrein weißer Hautfarbe, in einer multiethnischen Gesellschaft sicherlich fehl am Platz.

Das Muster einer englischen Monarchie im 21. Jahrhundert? Sicherlich nicht. Auch die Königin hat den Anforderungen der Moderne zu entsprechen. Und wäre es auch nur, daß sie zur Eröffnung des Parlaments nicht mit der goldenen Staatskarosse, sondern im Rolls-Royce kutschiert wird.

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