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Taizé ruft die Jugend

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Wien und Umgebung werden zum Jahreswechsel nicht nur von Touristen, sondern auch von mindestens 80.000 Jugendlichen bevölkert sein, die zum 15. Europäischen Jugendtreffen der ökumenischen Taize-Bewegung in die österreichische Bundeshauptstadt kommen.

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Wien und Umgebung werden zum Jahreswechsel nicht nur von Touristen, sondern auch von mindestens 80.000 Jugendlichen bevölkert sein, die zum 15. Europäischen Jugendtreffen der ökumenischen Taize-Bewegung in die österreichische Bundeshauptstadt kommen.

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Junge Menschen aus ganz Europa werden vom 28. Dezember bis 2. Jänner 1993 in Wien „auf dem Pilgerweg des Vertrauens" zusammenkommen. Die Vorbereitungen für das Treffen laufen bereits auf Hochtouren. Im „Koordinationsbüro Taize", das an der Wiener Votivkirche untergebracht ist, arbeiten bereits seit Oktober acht Brüder der Taizö-Gemein-schaft.

Vor allem geht es darum, für die jungen Leute aus ganz Europa in Wien und Umgebung geeignete Quartiere zu finden. Ideal wären dabei, nach den Worten der Brüder, Familien, die den Gästen etwas von ihrem eigenen Leben und ihrer Liebe zur Heimat und zu Gott vermitteln können. Denn damit werde, so Frere Wolfgang, der Leiter der Wiener Gemeinschaft, ein gegenseitiges Geben und Nehmen bei der Begegnung zwischen den Nationen besonders gefördert. Aber auch einfache Lager in Pfarr- und sonstigen Sälen wird es beim Treffen geben. In den nächsten Wochen werden daher die Brüder aus Taize „wie die Pilger in den Wiener Pfarren unterwegs sein und an viele Türen klopfen" um Quartier zu finden.

Begonnen hat die Bewegung im Zweiten Weltkrieg. Im August 1940 ließ sich der 25jährige Frere Roger allein in dem fast ausgestorbenen französischen Dorf Taiz6 nieder. Er wollte eine Gemeinschaft von Männern ins Leben rufen und diese mitten in die Not der Zeit stellen. Zwei Jahre lebte der Gründer von Taize allein, bevor sich ihm die ersten Brüder angeschlossen haben.

Ostern 1949 banden sie sich endgültig zum gemeinsamen Leben in Ehelosigkeit. Seitdem treten Jahr für Jahr Brüder in die Communaute ein. Nach einigen Jahren der Vorbereitung engagieren sie sich für ihr ganzes Leben. Über achtzig Brüder aus zwanzig Ländern, darunter auch Österreicher, sind es heute: Katholiken oder aus den evangelischen Kirchen. In kleinen Fraternitäten ieben einige unter den Ärmsten in Asien, Afrika und Lateinamerika pißBrü-der akzeptieren für sich keine Spenden und legen keine Rück lagen an. Ihren Lebensunterhalt und den anderer bestreiten sie mit dem Erlös ihrer Arbeit. ' Seit 1966 wohnt im Nachbardorf auch xr eine Schwesterngemeinschaft. Das ganze Jahr über finden in Taize Interkontinentale Treffen statt, mit Jugendlichen aus 35 bis 60 Nationen. Schon bald wuchs der Plan, auch außerhalb Frankreichs Begegnungen zu organisieren.

Bis Ende der achtziger Jahre gab es solche Veranstaltungen in London, Rom, Barcelona und Köln. In den Jahren nach der Wende waren die Treffen in Polen, Prag und Budapest. Wien soll in diesem Jahr als Brücke zwischen Ost und West dienen. Wie bereits in den Jahren zuvor, werden am Ankunftstag Tausende Jugendliche bis spät in die Nacht in der jeweiligen Stadt eintreffen. AI s Pilger überschwemmen sie Bahnhöfe und U-Bahn-Stationen, Buslinien, Pfarrkirchen und die Empfangszentren. In London etwa merkte die Tageszeitung „The Times" an, daß seit dem Zweiten Weltkrieg nie mehr so viele Menschen in einer einzigen Nacht den Ärmelkanal überquert hatten. In Prag war wiederum die Kirche, die als Empfangsort diente, bereits am Morgen so gefüllt, daß nur noch der Altarraum freigehalten werden konnte, während die Fahrkartenautomaten der nächstliegenden U-Bahn-Station längst ihre letzten Karten ausgegeben hatten.

Das Europäische Treffen ist keine isolierte Begegnung von Mitgliedern einer fest orga- nisierten Bewegung, sondern eng

mit dem Leben der jeweiligen Kirche am Ort verbunden. Es ist auch nicht als anonyme Massenveranstaltung gedacht, sondern stützt sich auf die Offenheit eines jeden einzelnen. Es wird zu einem guten Teil von den Verhältnissen der gastgebenden Stadt, den Sorgen und Hoffnungen des jeweiligen Landes geprägt. Die jungen Gäste sollen ein „Gesicht" Österreichs mit nach Hause nehmen, wie sie selbst auch als „Botschafter" ihres Heimatlandes anreisen. Das Treffen ermöglicht eine einfache aber konkrete Verständigung von Nation zu Nation und vermittelt durch das mehrtägige Mifleben in einer Pfarre etwas vom Leben der Kirche, der Gemeinschaft der Christen.

Das Programm sieht vor, daß die Teilnehmer am Vormittag in überschaubaren Gruppen über ihre Erfahrungen mit dem Glauben sprechen. Schauplatz der großen Begegnungen wird das Wiener Messegelände im zweiten Bezirk sein. Hier werden die Jugendlichen täglich zum gemeinsamen Gebet und Mittagessen zusammenkommen. Bibeleinführungen und Gesprächsgruppen - nach Sprachen getrennt in verschiedenen Hallen -stehen am Nachmittag auf dem Programm. Am Silvesterabend gibt es um 23 Uhr in den Pfarrkirchen ein gemeinsames Gebet zum Jahresschluß und ein „Fest der Nationen".

Einige Jugendliche sagten spontan, was sie vom Europäischen Treffen in Wien erwarten: „Das Treffen ist eine große Chance für unsere Kirche, die auch zu leiden hat, wo immer wieder Spaltungen zu spüren sind. Die vielen Jugendlichen, die uns von außerhalb besuchen, werden uns helfen, über unsere internen Konflikte hinauszuschauen."

„Ich arbeite seit Jahren am Messegelände in Wien und freue mich, seit ich gehört habe, daß das Treffen bei uns ist, sehr darauf, die Hallen einmal ohne Messestreß, Hektik und grelles Licht zu sehen: einfach gefüllt mit betenden Jugendlichen, die in Ruhe zusammensitzen und miteinander feiern."

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