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Taizė: Wo jede Woche Ostern ist

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Die Flamme, von einer Kerze zur nächsten weitergegeben, vermehrte sich tausendfach, während die riesige, dunkle Versöhnungskirche in Taizė vom „Jubilate coeli” widerhallte. In diesem Augenblick empfang ich jenes Gefühl, das die Emmaus- Jünger mit „Und brannte uns nicht das Herz?” bezeichneten. Da waren 3000 junge Menschen aus vielen Nationen zusammengekommen, um sich zu Christus zu bekennen, ihre Einheit im Glauben mitzuteilen. Menschen mit den verschiedensten Erwartungen, Problemen und Ansichten reichten einander die Hände, beteten das Vaterunser (jeder in seiner Muttersprache) und umarmten einander zum Zeichen des Friedens.

Ich fragte mich gerade, wie es wohl möglich sein konnte, daß man sich wieder wie im Urchristentum als eine einzige große Familie fühlt, als P. Roger Schutz mit ein paar Kindern (einen kleinen Negeijungen am Arm) zum Altar nach vom ging.

Wenn ich die stattliche Zahl der Brüder betrachte, die heute in der Gemeinschaft von Taizė leben (es sind rund 60,20 weitere leben im Ausland in kleinen Fraternitäten, um an den Krisenherden mit den Ärmsten zu teilen und damit Christus sehr nahe zu sein), so fallt mir eines auf: ein Großteil dieser Männer ist unter dreißig. Wie ich erfahren habe, sind einige der jungen Novizen vorerst einmal bloß Besucher gewesen - genauso wie ich einer war. Allmählich wählten sie dann denselben Weg, den Frėre Roger gegangen ist.

Vor beinahe 40 Jahren ließ sich der damals Fünfundzwanzigjährige in einem fast völlig verlassenen Dorf, ungefähr 10 km von Cluny entfernt, nieder: Taizė. Er widmete sein Leben Jesus Christus, dem er im meditativen Gebet ständig nahe ist, für den er kämpft, den jer in den jüdischen Flüchtlingen des NS-Reiches wiedererkannte, welchen er oft über die Schweizer Grenze half.

Bald fanden sich einige seiner ehemaligen Studienkollegen, die bereit waren, dieses Leben mit ihm zu teilen. Nach Kriegsende trat Roger Schutz mit Jugend-Friedensorganisationen Frankreichs und Deutschlands in Verbindung, die einander in Taizė zum Gedankenaustausch trafen. Bald kamen auch junge Leute anderer Nationen zu diesem Treffpunkt.

Die Gemeinschaft in Taizė, die Brüder aller reformierten Kirchen vereinte, erhielt 1953 die von Roger Schutz verfaßten Ordensregeln. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil traten auch Katholiken dem Orden bei. Gleichzeitig wuchs die Zahl der jungen Gäste. Um dem Jugendtreffen ein Ziel zu setzen, berief Frėre Roger 1974 das „Konzil der Jugend” ein.

Jedes Jahr wird in einer großen Jahresversammlung das „Schwerpunktprogramm” für das darauffolgende Jahr besprochen und niedergeschrieben. Die „Briefe aus Taizė” dienen zur Verbreitung der Zielsetzungen des Konzils und berichten gleichzeitig von den Tätigkeiten der Fraternitäten im Ausland. Es sollte keine Jugendbewegung sein, unter allen Umständen mußte es ein zwangloser Gedankenaustausch zwischen Jugendlichen bleiben.

„Am besten ist, du erwartest dir gar nichts”, sagte mir ein Theologiestudent vor meiner Abreise. Ich hatte es mir zu Herzen genommen. Die Ankunft auf dem riesigen Zeltlager wurde für mich schon zum eindrucksvollen Erlebnis. Ich hatte das Anmeldeformular auszufüllen, Essensgeld für die ganze Woche zu bezahlen, bekam einen Lageplan in die Hand gedrückt, einen Platz in einem Zelt zugewiesen.

Das silles geschah in Windeseile, zusammen mit anderen 500 bis 600 Neuankömmlingen. DELB da auch tatsächlich eine Liegestatt auf mich wartete, ich eine große Portion zu essen bekam, empfand ich als kleines Wunder. Nun galt es, mich mit meinen Mitbewohnern, ab nun meine neuen Freunde (etwa 20 an der Zahl), bekanntzumachen.

Dieses erste Betasten, schüchterne Fragen: „… und was machst du?” entwickelten sich zu einem Entdek- kungsabenteuer. Im Laufe der Woche vertieften sich die Gespräche; manchmal ging es dann auch hart auf hart.

Wenn um acht Uhr morgens die Glocken zum Gottesdienst läuteten, belebten sich mit einem Schlag die Wege zwischen den Zelten, alles strömte der Kirche zu. Es war mir ein Bedürfnis, ein Verlangen, den Tag mit einer Eucharistiefeier zu beginnen. Ich habe oft mit meiner Gruppe über die Gottesdienstordnung in Taizė gesprochen. Sie ist ungewohnt, und ich meine, daß gerade das mich aus meinem Trott gerissen hat.

Besonders eindrucksvoll war für mich die wöchentliche Osterfeier. Jeder Freitag ist ein Tag der Stille, der Einkehr, der Versöhnung mit Gott und den Menschen. Abends wird das Kreuz im Altarraum auf den Boden gelegt, jeder darf die Last der ganzen Woche, seines Lebens, auf Christus abwälzen, indem er die Stirne auf das Holz des Kreuzes drückt und so einige Zeit im Gebet verharrt. Der Samstag wird zum Tag der Erwartung, es wird in der Kirche Nachtwache gehalten. Der Sonntag- ein Freudentag, Tag des Jubels und des Gotteslobes.

Aber nicht nur Tiefergreifendes und Ernstes erwartete mich in der Versöhnungskirche, die übrigens von jungen Deutschen aus Beton er richtet wurde. Da war vor allem Frėre Robert, ein kleiner, drahtiger, temperamentvoller Franzose mit einem absoluten Gehör, der innerhalb einer Woche ein Orchester von ungefähr 20 Instrumenten und einen Chor von ungefähr 600 Stimmen auf die Beine stellte.

Die Singproben gestalteten sich besonders aufregend, galt es doch nicht nur, Sprachbarrieren zu bewältigen (was heißt denn bloß „F-Dur” auf Französisch?), sondern auch den „kleinen Chor” (600 Stimmen) mit dem „großen Chor” (1000 Stimmen) in Einklang zu bringen. Die beiden Chöre unterschieden sich bloß durch das Durchhaltevermögen der Beteiligten. Der kleine Chor probte zwei Stunden täglich, während der große Chor es bei einer Stunde bewenden ließ. Mit viel Humor und Temperament wurde dieses Problem glänzend gelöst. Die Feier am Samstagabend wurde zu einem Erlebnis, als die Flamme, von einer Kerze zur nächsten weitergegeben, sich tausendfach vermehrte…

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