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Talent zur heiteren Balance

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Ist es leere Zeremonie? Nein, das gemeinsame Feiern ist ein kultischer, ein zutiefst sozialer Akt, in dem sich die Gemeinschaft ihrer selbst bewußt wird; sie träumt sich durch die eigene Entstehungsgeschichte und befreit sich von Neurosen, indem sie ihr Verhältnis zu ihren formenden Gestalten neu überdenkt; sie macht sich selbst, indem sie sich in ihrer Vergangenheit, besser kennenlernt, frei für die Zukunft. Wir brauchen die gemeinsamen Feste als Anlaß zur vergleichenden Büanz, getragen von Melancholie und Euphorie: Seht her, das sind wir gewesen, das sind wir, das könnten wir sein! Nicht die falschen Illusionen werden an solchen Tagen aufgebläht, sondern unsere Sinne für Würde geschärft. Nicht die Anhänger veralteter Lebensformen nähern sich mit neuer Hoffnung, sondern die Vorarbeiter der Zukunft gewinnen zusätzliche Kraft. Wenn wir in diesem Jahr 1980 über die Kaiserin Maria Theresia nachdenken, so können wir vielleicht über das heutige Österreich, über unseren Standort in einer krisenhaften Zeit einiges erfahren.

Die Kaiserin. Wie nahe sie uns noch ist: dafür gab uns eine kleine und groteske Diskussion den Beweis, in einigen Gazetten, nun, vor der Wiederkehr ihres 200. Todestages am 29. November 1980. Da haben die Zeitungen über verschiedene geplante Veranstaltungen im Andenken an die Kaiserin Maria Theresia berichtet, und sogleich erhoben da und dort Leserbriefschreiben die bange Frage: War sie denn wirklich Kaiserin? War sie nicht bloß Königin von Böhmen, Königin von Ungarn und gleichsam nebenbei Ehefrau des Römischen Kaisers? Besserwisserei, zwergenhafte Pedanterie, mißverstandene republikanische Gesinnung ergaben zum Fest eine gar lustige Ouvertüre.

War sie Kaiserin? Die Zeitgenossen hatten sie meistens so genannt und meinten damit weniger offiziellen Rang und Titel als das Wesen dieser einzigartigen Frau, ihre Härte in der Verteidigung ihrer Erbschaft, ihre mütterliche, also liebevolle und manchmal launische Art, das vielfach gegliederte Riesenreich zu regieren, ihren Fleiß, ihre Arbeitskraft, ihre Umsicht, ihren Sinn für das gerade noch Mögliche, ihre Vorhebe für den Ausgleich. Nur ihre Feinde nannten sie Königin. Von Ungarn noch dazu -was für manche exotisch klang, ein wenig obskur und reichlich barbarisch. Doch selbst der Todfeind, Friedrich II. von Preußen schrieb über sie schließlich in lobenden, schlichten, gerührten Worten. Er war ein exzellenter Stilist.

Es wird interessant sein, zu beobachten, welches Bild der Kaiserin all die Autoren, Wissenschafter, Regisseure entwerfen, die längst dabei sind, ihre Arbeit rechtzeitig unter Dach und Fach zu bringen. Am 13. Mai (des Jahres 1717) ist Maria Theresia zur Welt gekommen, am 13. Mai 1980 sollen einem Regierungsbeschluß gemäß die Feierlichkeiten des Gedenkjahres beginnen.

Doch etwas ist bereits heute zu spüren. Das Thema zündet. Die Aufgabe bezaubert. Der Stoff hat Ausstrahlung.

Die große Maria-Theresien-Aus-stellung in Schloß Schönbrunn wird von einer Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von Walter Koschatzky vorbereitet. Wie da Koschatzky in der Albertina werkt und grübelt! Leihgaben aus halb Europa sind unterwegs. Vergessenes wurde entdeckt und herbeigeschafft; die Architektur wurde nicht nur als Rahmen benützt, sondern als Szenerie eines Lebens. (Und wenn die Aktion der FURCHE Erfolg hat, wird auch noch das Schloßtheater rechtzeitig restauriert.)

Zwei Zusammenhänge werden durch besondere Ausstellungen beleuchtet. Still, umsichtig und fleißig stellt Karl Gutkas seine Ausstellung über Josef II. in Stift Melk zusam-

men; Hans Magenschab, Autor der neuen Biographie des Kaisers, begleitet die Ausstellung mit einer Ton-Bild-Show. In Schloß Halbturn, im Burgenland, wird ein weiteres Gebiet behandelt in der Ausstellung „Maria Theresia, Königin von Ungarn".

Drei Bücher sind anläßlich des Jubiläums bereits erschienen: ein großer, viel umfassender Band mit gründlichen Studien, ein wahres Monument der Wissenschaft, herausgegeben von Walter Koschatzky (im Residenz Verlag, Salzburg); ein vielseitiger, von einem informativen Textteil begleitender Bildband von Gerda und Gottfried Mraz (im Süddeutschen Verlag, München); und das entzückende kulturhistorische Bildbändchen voll lebendiger Einzelheiten von Monika J. Knofler, „Das theresianische Wien" (Verlag Hermann Böhlaus Nachf., Graz). Eine Maria- Theresien-Biographie, vielleicht in Romanform, hat Gertrud Fussenegger verfaßt, sie soll demnächst bei Fritz Molden, Wien, erscheinen. Vielleicht kommt auch

noch ein Bändchen „Maria Theresia in Anekdoten".

Der zweiteilige Maria-Theresien-Film des Fernsehens, der auch während der Ausstellung in Schloß Schönbrunn täglich gezeigt wird, ist (wie ich hoffe, denn ich habe das. Drehbuch geschrieben) ein lyrisches Lebensbild, voll Fakten und Gefühlen. Die Selbstbiographie einer bedeutenden Frau. Der umsichtige, kultivierte, einfühlsame Kurt Junek führt Regie.

Und vielleicht'wird auch noch dies und jenes ausgebrütet. Irgendwo wirbt ein Kaffeesieder bereits für seinen „Maria-Theresien-Kaffee". Der kleine Mozart, den die Kaiserin angeblich herzhaft koste, wird bei dieser Gelegenheit mit seinen beliebten Schokoladekugeln auch noch spielen dürfen.

Wie wird man sie, wie werden wir sie zeigen? Als Herrscherin, die den mystischen Absolutismus Leopolds I. und die zaudernde Souveränität Karls VI. vermenschlicht hat und die Idee des Kaisertums durchtränkt hat mit der Weisheit der praktischen Vernunft?

Als beispielhafte Wienerin, von den Tugenden und den Lastern dieser Stadt gezeichnet? Als Politikerin von großer Begabung und also als Leitbild der Frauenemanzipation (was sie nicht sein wollte)? Im zögernden Zustand ihres Alters als Gegnerin der radikalen Ideen ihres Sohnes? Als Ehefrau eines wagemutigen Industriellen und Spekulanten? Als pflichtbewußte, liebende und durch Gefühle doch niemals bestochene Mutter ihrer sechzehn Kinder? Als Mittlerin, als Fürstin der Mitte, selten hart, öfter um Verständnis werbend, Staatskünstlerin des Machbaren, meistens sehr menschlich, manchmal (mit Vorsatz) weinerlich, immer würdig, von einer heiteren Frömmigkeit erfüllt, standhaft noch in den letzten Stunden, so daß sie den geliebten Sohn Leopold bittet, die zu erwartende Nachricht ihres Todes mit Fassung zu tragen?

Vielleicht erfaßte Maria Theresia zum ersten Mal in der Geschichte die sehr österreichische Chance, durch standhafte Bescheidenheit eine besondere Begabung zu entwickeln: das Talent zur heiteren Balance.

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