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Tanz auf dem Vulkan

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Dies ist der 2. Band einer Trilogie über Wien unter der nationalsozialistischen Herrschaft, der die Jahre 1940—43 umfaßt. Der 3. Band mit dem Titel „Finale in Wien“ ist bereits erschienen und wurde an dieser Stelle besprochen, der erste, der mit der Schilderung des Anschlusses beginnt, wird noch folgen.

Was macht die Bücher des Wiener Zeithistorikers und Publizisten Fritz Rebhann, der im Wiener Rathaus als höherer Beamter seinen Dienst versieht und sich auch als Naturschützer betätigt, so interessant, ja spannend? Das ist, natürlich, in erster Linie die Zeit, die er schildert, die jenen, die sie erlebt haben, in der Retrospektive so unwahrscheinlich und gespenstisch vorkommt, wie den jüngeren Lesern — die durch diese Bücher erfahren, wie es wirklich war. Denn Rebhann, ein auf Aktenbergen thronender Mann in mittleren Jahren, umgeben von Zeitungsbänden aus jener Zeit, hat auch Einblick in vielerlei Berichte, offizielle und vertrauliche. Und er ist ferner ein Mann, der jene Jahre, die er fast genießerisch schildert, nicht geliebt hat. Und er ist ein glänzender Stilist, der den sachlich völlig Unbeteiligten mimt und der seine Pointen in einem perfekten Amtsdeutsch versteckt.

Man gerät als Leser bei der Schil-

derung der Taten dieser vielen Dumm- und Wirrköpfe, dieser Abenteurer und Kriecher, dieser betrogenen Betrüger, bald in einen Zustand grimmiger Heiterkeit. Denn Rebhanns Hauptanliegen ist, zu zeigen, wie während der entscheidenden Kriegs jähre, als Göbbels bereits den totalen Krieg ausgerufen hatte, der Kulturbetrieb in der Gauhauptstadt krampfhaft weitergeht, freilich im-' mer mehr auf KdF-Niveau sinkend, wo jene Kunst dominiert, die das Volk vom Denken ablenkt, da Experimente und Provokationen verpönt sind, da sie ihre Autoren und Interpreten sofort ins KZ oder an die Front gebracht hätten, was in jenen kritischen Jahren den ziemlich sicheren Heldentod bedeutete — und zu dem fühlten sich nur wenige berufen.

Es wird also pausenlos irgend etwas betrieben oder gefeiert: lokal wienerisch, auf Gau- oder Reichsebene. Es gibt Grillparzer- und Mozart-Wochen, Richard Strauss und Gerhart Hauptmann feiern hier ihre hohen Geburtstage, es gibt Hebbel-und Johann-Strauß-Gedenkfeiern und Veranstaltungen. Natürlich werden auch lebende Künstler, die dem Regime gefällig oder aus irgendeinem Grund nützlich waren, mit Ehrungen aller Art bedacht, auch mit finanziellen, doch wollen wir hier nicht ihre Namen ausposaunen, da noch viele am Leben sind. Aber man kann sie in einem sauberen, 14 Druckseiten umfassenden Register am Ende des Refohannschen Buches leicht finden... So wurde zum Beispiel Anfang März, nachdem die Kohleferien ausgesetzt werden konnten, Weinhebers 50. Geburtstag ausgiebig gefeiert. Nach Rebhann spielte sich eine Episode folgendermaßen aib (der poeta laureatus lieferte deren mehrere):

„Thomas, der Generalkulturreferent, brachte den betrunkenen Dichter mühsam ins Palais Lobkowitz, wo ihn die gesamte braune Haute-

volee erwartete. Auch Richard Strauss und F. K. Ginzkey waren erschienen. Der Reichsstatthalter feierte den ,Herold der deutschen Sprache' und steckte ihm den Ehrenring der Stadt Wien an den Finger. Der Herold aber benahm sich beim Festessen im Rathaus den Repräsentanten des Regimes gegenüber recht ungebührlich und ließ allerlei alkoholische Äußerungen hören, obwohl er bereits ein Geldgeschenk von Goebbels, das Ehrendoktorat der Wiener Universität sowie manche Festgabe aus Niederdonau eingesteckt hatte...“

Im Großen Saal des Reichssenders in der Argentinierstraße veranstaltete das Kulturamt gemeinsam mit dem Wiener Männergesangverein einen Festakt zur 75-Jahr-Feier des Donauwalzers aus der Feder des judenstämmigen Johann Strauß (dessen Personalakten man vorsorglich hatte verschwinden lassen), so daß ihn Stadtrat Blaschke jetzt, zusammen mit Straußens Vaterstadt Wien, in seiner Laudatio als „klassischen Urgrund deutscher Volksmusik“ preisen konnte. Auch hier wurde wie so oft ein von Darbietungen der Sängerknaben und der Wiener Opernprominenz flankiertes Gedicht Weinhebers rezitiert. Dann sauste Blaschke zu einer Veranstaltung der Deutsch-Bulgarischen Gesellschaft, deren Präsident er eben geworden war; aber bei einer bulgarischen Gemäldeschau wurde ihm von Gruppenführer Kaltenbrunner die Show gestohlen ...

Zu den groteskesten Aspekten dieses nicht abreißenden Kunstbetriebes gehören nämlich die harten Rivalitäten zwischen Gemeinde Wien, Gau Oberdonau (von der Ostmark wollte man nichts mehr hören) und dem Reich — alle drei durch ehrgeizige Männer vertreten, die wie in der Arena um den ersten Platz beim Re-

präsentieren kämpften, wobei es oft zu Kollisionen . kam, über die man heute lachen kann, die aber für manche, die beteiligt waren, gefährlich sein konnten...

Der makabre Witz dieses Buches besteht darin, daß neben der Schilderung dieses hektischen, kleinkar-rierten Kulturbetriebes immer wie-1 der Nachrichten von den europäischen und überseeischen Kriegsschauplätzen stehen. Während im Rathaus Trompeterchöre schmettern und die Wiener Sängerknaben auf Kreisfeiern zwitschern, leitet Rommel seine meisterhaften, aber letztlich erfolglosen Wüstenschlachten und die Deutsche Wehrmacht rückt auf Charkow und Kertsch vor. Dann werden die diesbezüglichen Nachrichten freilich immer trüber. Die russischen Truppen unter den Generälen Popow, Sokolowski, Watutin und Konjew bereiten eine große Offensive vor, an deren Ende Stalingrad steht. Aber der Generalreferent Thomas bereitet eine Verdi-Woche vor, Dr. Karl Schönherr wird in einem Gemeindegrab beigesetzt und im Rathaus wird mit einer Festmusik von Richard Strauss der 5. Jahrestag des Führereinzugs in eben dieses Haus gefeiert. Und nur wenige Schritte weiter, im Landesgericht, ist gleichfalls Hochbetrieb: Gefangene kommen und werden entweder dort vom Leben zum Tod befördert oder auf weite Reisen, ostwärts, geschickt, und vier Tage vor dem Heiligen Abend jenes Jahres, mit dem Rebhanns Bericht schließt, findet im Wiener Landesgericht eine Massenhinrichtung statt. So war das eben damals. Keine schöne Zeit. Aber einen guten Chronisten hat sie gefunden...

DAS BRAUNE GLÜCK VON WIEN. Von Fritz Rebhann. In der Sammlung „Das einsame Gewissen“. Beiträge zur Geschichte Österreichs, 1938—1945. Herold-Verlag. Preis 198 Schilling.

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