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Tanz ums Pulverfaß

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Zwei Ereignisse, die nur scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben, erregen und verdienen höchste Aufmerksamkeit: Die neue griechische Regierung steuert sachte, sachte auf blockfreiem Kurs. Um diesen zu gewinnen, legte sie zunächst vom recht unsicher gewordenen NATO-Steg ab. Beinahe gleichzeitig wurde in Jugoslawien eine „prosowjetische Verschwörung” aufgedeckt, die von größerer als bloß lokaler, montenegrinischer Bedeutung ist. Beide Vorgänge aber stehen in einem größeren Zusammenhang.

Diesen Zusammenhang zu erkennen, muß man sich einiges in Erinnerung rufen. Zum Beispiel, daß es zur immerwährenden russischen Politik gehört, sich die Meerenge des Bosporus zu öffnen. So wie es zur immerwährenden britischen, später westlichen, dann via NATO zuletzt auf die Amerikaner übergegangenen Politik gehörte, diese russische Absicht zu verhindern oder zu durchkreuzen. Nicht zuletzt deshalb wurde das sieche osmanische Restreich im Ersten Weltkrieg zerstört. Das zähe Feilschen während und nach dem Zweiten Weltkrieg, aus- geführ’t zwischen Churchill, assistiert von de Gaulle, und Stalin ging um dieselbe Sache. Das štame Engagement der Sowjetunion im Nahostkonflikt dient, neben anderem, auch dieser Frage der Beherrschung des Bosporus und an Zypern wird das neuerlich deutlich.

Die Herrschaft über den Bosporus (und die vorgelagerte Ägäis) war bis vor kurzem eine Domäne der NATO. Die Türkei und Griechenland bildeten darin Tür und Rahmen. So konnten die strategischen Herren des Mittelmeeres, die USA, repräsentiert durch ihre berühmte 6. Flotte, unbesorgt sein — unent- deckt und im Falle des (nicht wünsehbaren) Falles ungehindert würden die Russen nicht ins Mittelmeer gelangen, ein großer Sack, durch Gibraltar, Suez und Bosporus teils leicht zu schließen, teils längst verschlossen.

Dieses strategische und politische Panorama wurde durch die Folgewirkung aus Nahost und den nur dem Anscheine nach irrationalen Zypernkonflikt gründlich verändert. Die Nahostentwicklung stellt die baldige Wiedereröffnung des Suezkanals in Aussicht (mit der auch die sich überstürzenden Ereignisse in Äthiopien Zusammenhängen, das ja eine Schlüsselstellung am anderen, leicht verschließbaren Ende des Roten Meeres einnimmt, so wie die „Teilung des Jemen” kein Zufall gewesen ist) und damit gewinnt das Mittelmeer mit allen seinen Ausbuchtungen und Zugängen eine noch größere Bedeutung.

Am Zypemkonflikt zersplitterte die NATO in dieser Region. Die Griechen scherten aus. Nun kündigten sie an, nie wieder in dieses Bündnis zurückkehren zu wollen. Das kann auch nur eine Pression sein, aber man darf sich mehr erwarten. Nämlich eine allmähliche Blockfreiheit oder Neutralität des Inselstaates, worauf nur noch der türkische Besitzstand beiderseits des Bosporus den Riegel hält. Um den USA neues politisches Ungemach zu bereiten, bewegt ich die russische Politik im Falle Zyperns unverkennbar auf griechische Wünsche zu. Sollten die beiden Streitparteien und deren geschwächter britischer Schiedsrichter nicht bald eine „Lösung” finden, was indes nicht abzusehen ist, werden Athen und Moskau sich in dem Begehren treffen, die Frage zu „internationalisieren”. Moskau sicher auch mit dem Nebengedanken, durch eine Intemationalisierung dieses Falles auch eine solche der Meerenge in der nächsten, unausbleiblichen Phase zu erreichen. Eine gänzliche „Neutralisierung” des Raumes hätte zur Folge, daß der türkische Riegel fortgezogen wird. Die USA und die Sowjetunion stünden als „chancengleiche” Supermächte sich im Mittelmeer gegenüber. Dieses würde zu einem Gegenstand mehr im überlangen Katalog der Gegenstände, in welchem nur noch ein .„direkter Ausgleich” zwischen den beiden Supermächten möglich erscheint, was immer man darunter jeweils verstehen mag.

Was aber hat dies, muß man sich fragen, mit der „prosowjetischen Verschwörung” zu tun, die in Jugoslawien just zu dem Zeitpunkt entdeckt und öffentlich gemacht wurde, zu dem sich Titos Stellvertreter und wahrscheinlicher Nachfolger Edvard Kardelj in Moskau befand? Sind da nicht ganz andere Faktoren im Spiele?

Gewiß, hier gibt es ideologische Faktoren, die in der Meerengen- und Zypernfrage keine Rolle spielen. Der „Titoismus” bleibt für Moskau eine säuerliche Sache, und selbst wenn er dem Sowjetkommunismus im Grunde egal wäre, er bliebe Häresie und Protestantismus von nie ganz abschätzbarer Qualität und einer Wirkung, die sich der Kontrolle häufig entzieht, wie man aus der Geschichte weiß. Und vom „cuius regio, eius religio” mag man in Moskau schon aus Gründen des historischen und dialektischen Materialismus nicht viel halten.

Doch gibt es auch noch anderes. Zu keiner Zeit der Regierung Titos war der Bund der Kommunisten Jugoslawiens frei von prosowjetischen Elementen. Sie mögen lange Zeit von der Oberfläche verschwunden sein, aber es gibt sie. Dies wird auch aus der Tatsache ersichtlich, daß bei politischen Säuberungen des Bundes stets auch „Altstalinisten” und „prosowjetische Elemente” oft mit nur dürftigen Umschreibungen, mitunter aber auch direkt genannt wurden. Zu keiner Zeit auch war Jugoslawien — und das schon lange vor Tito, ja, vor der Gründung dieses Staates — frei von aktiv pansla- wistischen und in logischer Folge prorussischen Elementen und Bestrebungen. Am häufigsten fanden (und finden) sich diese in Serbien und Montenegro, aber es gibt (und gab) sie auch unter allen anderen jugoslawischen Völkern. Es ist nicht verwunderlich, daß • man auch jetzt solche Kreise herausgefunden hat. Wundern muß man sich nur, warum gerade jetzt, denn daß die Sicherheitsbehörden dieses Staates eben erst darauf gekommen sind, möchte man nicht glauben. Und es ist noch sehr die Frage, wer an der nunmehrigen „Entdeckung” und wer an der Veröffentlichung des Entdeckten das größere Interesse gehabt haben mag: Moskau oder Belgrad.

Beides könnte sehr gut zusammengetroffen sein. Moskaus Mittel- meerpolitik bezieht die Adria ebenso ein, wie jene der USA. Indem in Jugoslawien „prosowjetische Verschwörungen” veröffentlicht werden, kann es sich um ein Signal Moskaus, handeln, das jedem Jugoslawen das russische Interesse daran nahebringt, daß sich dieser Balkanstaat nicht zu weit von der Randzone des sozialistischen Lagers absetze; es kann aber auch ein jugoslawisches Signal sein, daß seine Blockfreiheit relativ ungesichert sei. Etwa, um Entspännungs- und Sicherheitskonferenzen, um die es reichlich stille wurde, wieder zu aktualisieren und in deren Folge größere Sicherheit zu erlangen.

Jugoslawien lag bisher zwischen zwei NATO-Staaten: Griechenland und Italien. Griechenland gehört nicht mehr dazu, und von Italien darf man im gegenwärtigen Zustand kaum sehr viel erwarten. Ungarn und Bulgarien sind Anrainer des sozialistischen Lagers, Rumäniens Situation ist besonders genug, um in Belgrad keine Illusionen keimen zu lassen. Die jederzeit ausspielbare ,,mazedonische Frage” — die ja nicht nur Bulgarien und Jugoslawien entzweit, sondern ebenso Griechenland und sogar Albanien, die chinesische Europaresidenz, betrifft — mag ebenfalls mitwirken, daß sich Stimmen im Lande erheben, die zu einer Umorientierung raten. Zu einer in Richtung Sowjetunion als mächtige „Realität”.

Es entspräche der schon erwähnten „immerwährenden” russischen Politik, solche Stimmen in Jugosla wien nicht nur gelassen zu hören, sondern wohlwollend. Speziell zu einem Zeitpunkt, in dem die Nachfolge Titos zu einem Prozeß mit vielen unterschiedlichen Möglichkeiten kulminiert.

Wer. da wem immer „etwas gezeigt” hat: Kardeij seinen russischen Gastgebern oder diese ihm, sichtbar wurden die Umrisse einer historisch und ideologisch begründeten Politik und deren aktuelle Zusammenhänge. In diesen verschränken sich die Dinge von Nahost über Zypern, Türkei und Griechenland bis hin zum Balkan zu einem Geflecht äußerlich zwar unterschiedlicher Anlässe, doch von gemeinsamer innerer Wirkkraft. Ein Faß wird wieder sichtbar, in welchem man eine Menge Pulver vermuten darf.

Anlaß genug für alle Anrainer, sich darüber mehr als einen bloß flüchtigen Gedanken zu machen oder mit selig-insularem Gleichmut die Nachricht zu empfangen, daß „weit hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen”.

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