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„Von den erstarrten Formen des Barockballetts befreit, nahm es anmutig den Ausdruck an, der dem Liebessehnsucht-Charakter der Romantik entsprochen hat. Mondlicht überschien alles Weh, zauberte Feen und Sylphen hervor und ließ Irdisches in höheren Sphären verträumen.“

Bis heute haben diese Worte Riki Raabs aus dem Buch „Fanny Elßler“ als Definition des klassischen Balletts nichts an Zauber und Faszination verloren. Auch beschreiben sie - im schönsten Sinn des Wortes - das „Weibliche“.

Die Weiblichkeit von Tänzerinnen des Balletts scheint etwas Selbstverständliches. Susanne Kirnbauer, ehemalige Solotänzerin der Wiener Staatsoper, heute Ballettchefin der Wiener Volksoper und künftige Assistentin der Ballettdirektorin der Wiener Staatsoper: „Die Mutter schickt das kleine Mädchen ins Ballett, wegen der guten Haltung, der graziösen Bewegungen, auch im Alltag, weil das Kind gerne tanzt, wenn es Musik hört.“ Diese Gründe hätten fürs erste noch viel mit dem sogenannten Weiblichen zu tun. Sehr schnell wird aus dem Vergnügen aber Ernst.

Auch Susanne Kirnbauers Ausbildung begann im Volksschulalter. „Das arme dünne Kind!“ meinten bedauernd die Verwandten. Aber dünn sein, lange schlanke Gliedmaßen zu haben ist eines der ersten Kriterien auf dem Weg zum Erfolg. Das Kind lernt sich intensiv mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen, eine sehr ichbezogene Ausbildung beginnt. Ein Studium, bei dem es vor allem auch an Ausdauer nicht mangeln darf. Wenig Freizeit, keine Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen außerhalb des Balletts zu treffen, keine Freundin (die einem häufig auch nicht abgeht). Die intensive Ausbildung läßt keine anderen Interessen zu.

In der Beschäftigung mit dem eigenen Körper spielt das Gewicht eine besondere Rolle, dünn, schmalhüftig, möglichst geringer Brustumfang sind gefordert. Wo bleibt da die Weiblichkeit? Betrachtet man Bilder Fanny Elßlers, springt einem ihre uneingeschränkt weibliche Erscheinung ins Auge: ein pausbäckiges charmantes Gesichtchen, ein weicher Hals, runde Schultern. Sicher waren die technischen Ansprüche an die Tänzerin Fanny Elßler niedriger als an ihre Kolleginnen von heute, war es leichter „weiblich“ auszusehen.

Zur Entwicklung der Ballettausbildung meint Karl Musil, ehemaliger Solotänzer der Wiener Staatsoper: „George Balanchine gründete 1933 die American School of Ballet und 1948 das New York City Ballet. Gemeinsam mit Tanaquil Le'Clerque, Solotänzerin des New York City Ballet und später seine Frau, prägte er als erster den Stil der langgliedrigen schlanken Tänzerin. Aber immerhin bestand er darauf, daß seine Tänzerinnen auch eine weibliche Ausstrahlung hatten. Maurice Bejart hingegen gibt seinen Tänzerinnen kaum die Möglichkeit weiblich zu wirken.“

Im täglichen harten Training erleben die Frauen und Männer des Balletts eine ständige Herausforderung an ihren Körper, sie eignen sich im Umgang miteinander eine gewisse Sachbezogenheit, fast Geschlechtslosigkeit an, sehen im Partner, in der Partnerin nur die Form des Körpers, das Können. Das verändert sich erst wieder, wenn im Training die großen Sprünge, der Spitzentanz auf dem Programm stehen. Oder bei der Rollenverteilung in den verschiedenen Ballettstücken, da gibt es wieder Frauenrollen, Männerrollen. Aber anders als im täglichen Leben.

Giselle, Julia, der Weiße Schwan, diese klassischen Frauenrollen im Ballett sind unglaublich zarte, zerbrechliche und unschuldsvolle Wesen, von Männern verehrt, beschützt. Und die Tänzerinnen dieser Partien versuchen sich ganz mit ihnen zu identifizieren.

Aber auch sie sind mit der völlig andersgearteten Wirklichkeit des Alltags konfrontiert. Manchmal habe ich den Eindruck, daß solche Tänzerinnen die Feenhaftigkeit ihrer Bewegungen auch dann nicht ablegen. Es ist für sie sicher schwierig, sich an die Realität anzupassen, sich zu emanzipieren.

Susanne Kirnbauer meint, daß aber auch die sich in vielen modernen Tanzproduktionen und -gruppen widerspiegelnde gesellschaftliche Aggressivität auf der Bühne problematisch sei, kaum eine Chance biete, „weiblich“ zu sein.

Der „weibliche“ Wunsch, eine Familie .zu gründen, ein Kind zu haben, stellt Tänzerinnen vor weitere Probleme, beendet häufig Karrieren. Noch im frühen zwanzigsten Jahrhundert wurden Tänzerinnen, die ein Kind erwarteten, aus der Kompanie verwiesen, oft geschah dies schon, wenn sie heiraten wollten. Der Staatsopern-Solotänzerin Susanne Kirnbauer wurde es leichtgemacht. Mit Beginn der Schwangerschaft zog sie sich von der Bühne zurück, bereitete sich in Ruhe auf ihr Kind vor, kehrte dann wieder auf die Bühne zurück.

Zweifellos ist es merkwürdig, daß die Tänzerinnen des 19. Jahrhunderts wohl weiblicher ausgesehen haben, aber in dem Augenblick als Frauen nicht akzeptiert wurden und das Ballett unwiderruflich verlassen mußten, in dem sie durch Heirat und Schwangerschaft der herrschenden Frauen- und Mütterrolle entsprachen. Heute sehen Tänzerinnen infolge der ungeahnt höheren technischen Ansprüche weniger „weiblich“ aus, gestalten dafür aber ihr persönliches Leben nach ihren Vorstellungen, können als Frauen mehr sie selbst sein.

Mag sein, daß ihre äußere Erscheinung die Tänzerin unter Umständen für den Betrachter zwiespältig macht, für ihn ihre Kraft im Gegensatz zur Sanftheit und zarten Anmut ihrer Bühnenrolle steht. „Weiblich“ ist sie jedenfalls in ihrem Geist, ihrem Herzen, wie sie das in ihrem Leben verwirklicht, ist ihre Sache - wie die Öffentlichkeit sie sieht, ist eine andere. Und Tanz ist „weiblich“, insoferne er aus Eleganz, aus Charme und aus einer unglaublichen inneren Kraft besteht, egal ob als klassisches oder modernes Ballett, als Volkstanz oder als Gesellschaftstanz.

Die Autorin hat Tanz am Konservatorium studiert und unterrichtet derzeit Ballett an der Musikschule der Stadt Wien.

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