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Tassos Spaziergang durch Salzburg

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Das Ziel dieses nachmittäglichen Spazierganges eines Schriftstellers quer durch die Stadt und deren Wirtshäuser ist auf der letzten Seite im respektvollen Abstand zum Text des Buches in einem Goethe-Zitat zusammengefaßt: „... es ist alles da! und ich bin nichts!“ Peter Handke verzichtet auf die beiden Rufzeichen und gibt die Herkunft des Zitates nicht an: Torquato

Tasso, 5. Akt, Vers 3417, wo dieses Zitat als Aufschrei aus dem Abgrund einer Krise, aber keineswegs als Resultat zu verstehen ist. Indem Handke die beiden Rufzeichen wegläßt, macht er den Sinn für seine Zwecke dienlich und erspart sich die Gegenfigur zum hypochondrischen Tasso, zu Goethes anderer Hälfte, dem koordinierenden Menschen der Gemeinschaft: Antonio.

Sicherlich lag es nicht in Absicht des Autors, eine solche Selbstanalyse vorzunehmen und sich als Tasso mit all dessen Haß-tiraden darzustellen, dem es an einem objektbezogenen Antonio fehlt. Während wir auf diesem Spaziergang Handkes durch Salzburg sehr oft weiterhin Gelegenheit fänden, aus „Torquato Tasso“ zu zitieren, gehört es zum „wunschlosen Unglück“ des Autors, daß die andere, in Antonio verkörperte Seite gar nicht in seinen Bewußtseinshorizont eintritt.

Denn der hier beschriebene und schreibende Schriftsteller—er berichtet von sich in der dritten Person - ist eine narzißtische Persönlichkeit, die mit einiger Selbstzufriedenheit unterstreicht, wie wenig sie zur lebensgestaltenden Disziplin, zur sozialen und politischen Ordnung oder zu familiären Bindungen taugt. Freilich, dieser Narziß versenkt sich nicht mehr in das Spiegelbüd seines Gesichts, sondern in die Betrachtung seiner Fußsohlen, deren Abdruck in der Gartenerde dokumentiert, wie viele Stunden er Tag für Tag auf seiner Wort-Suche zubringt.

Nachmittags dann unterbricht er diesen kreativen Trott, verläßt seine Klause und setzt sich der Umwelt aus: „Er hält Einzug in der Stadt.“ Wenn es sich dabei auch nicht um Jerusalem, sondern bloß um Salzburg handelt, in der Funktion dieses „Einzuges“ besteht viel Ähnlichkeit.

Da begegnet er den Schülern, die soeben in harter Lernarbeit seine Texte sezieren mußten und sich dabei jenen Ekel eingewirt-schaftet haben, für den vor noch nicht allzu langer Zeit Goethes „Tasso“ so reichlich gesorgt hat. Nun fällt Handke beziehungsweise seinem anonymen und doch so hochberühmten Schriftsteller-Protagonisten in der vorliegenden Erzählung diese undankbare Rolle zu. Aber böse Blicke auf den Urheber der verordneten literarischen Übung darf man einer geschundenen Jugend nicht verargen.

Doch hat der „Einzug in der Stadt“ auch seine triumphalen Seiten: Begegnungen mit Frauen und Männern, bei denen diese Ur-polarität des Menschseins völlig gegenüber der glanzvollen Tatsache verblaßt, daß sie „Leser“ sind und, ihren Autor erkennend, ihn dankbar ermutigen, seinen inneren Weg fortzusetzen. Dieser Weg führt zunächst an Salzburgs Peripherie, wo sich der Landschaftsmaler H. auch als ausgezeichneter Genremaler erweist, so etwa in dem Bild einer alten Frau, die, dem Altersheim entflohen, sich in einer Hecke verfängt.

Aus solchen Miniaturen entsteht ein kleines Buch mit einem hochbedeutenden Konzept, nämlich mit der Frage nach Wert und Sinn des Erzählens, nach der Berechtigung des Sängers, der auf dem Titelblatt als homerischer Rhapsode in die archaischen Saiten greift.

„Doch, was bei Gelegenheit splitterhaft alles sagt, sagt als geplantes Ganzes gar nichts mehr.“ Diese Selbstkritik eines jüdischen Ubersetzers - in der letzten Begegnung des tief in die Nacht hinein verschleppten Nachmittags -enthält auch die Bedenken, die gegen die Genreszenen der Bilderpromenade vorgebracht werden könnten. Die Bedeutsamkeit des Buches liegt darin, daß Peter Handke nicht nur als Dichter seiner persönlichen Problematik, sondern auch als Seismograph der europäischen Kulturkrise wirkt, deren Verhängnis darin besteht, daß sie planlos in den offenen Ozean hinausstrebt und das Verhängnis nicht wie Goethe bändigt: „So klammert sich der Schiffer endlich noch / Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.“

NACHMITTAG EINES SCHRIFTSTELLERS. Von Peter Handke. Residenz-Verlag, Salzburg, Wien 1987. 91 Seiten, Ln., öS 168,-.

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