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Tastenkünste, Lockerungsübungen

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In der schon recht schütter besetzten Galerie berühmter Pianisten hat er noch immer einen besonders glanzvollen Namen: Shura Cherkassky, Perfektionist in der Beherrschung seines Tastenreichs, einer jener Pianisten, für die technische Probleme einfach Lockerungsübungen zu sein scheinen, spielte wieder im Musikverein. Sein Angebot: ein Reiseprogramm von Scarlatti über Chopin (Opus 28), Ravel (Sonatine) bis zu den Bravourstücken eines Canaille Saint-Saens und Liszt (Con-solations, Bearbeitung des Hochzeitsmarsches von Mendelssohn). Daß dieser Abend dennoch einen sehr persönlichen Zuschnitt bekam, war der Persönlichkeit Cherkasskys zu danken.

Denn er ist nicht bloß ein fabelhafter Techniker. Er hat wie wenige Pianisten der jüngeren romantischen Schule den Sprung über den eigenen Schatten geschafft. Sein Chopin beweist das: eine Deutung von klarem Zuschnitt. Kein Parfüm, keine Sentimentalitäten, kein Hauch Salonmusik. Nur ungemein sachlich 'modellierte Preludes, die er mit kritischer Distanz sieht. Mit der Lupe seziert. Oder Ravel: glasklar. Ein vibrierender Organismus. Nur bei

Liszt und Saint-Saens gönnt er sich ein bißchen Auslauf fürs Herz. Spaß mit Sentimentalem, Freude an der Virtuosengeste. Da badet er richtig im Wohllaut.

Ein paar Tage vorher hörte man ihn überdies Liszts Es-Dur-Klavier-konzert in der „Großen Symphonie“ spielen. Und da bewies er, daß er dieses lange verkannte Meisterwerk ungemein modern behandeln kann. Als intellektuelles Spiel mit Formen, Farben, Valeurs.

Horst Stein assistierte ihm übrigens mit den Symphonikern sehr korrekt, erwies sich auch für Mozarts „Idomeneo“-Ballettmusik und Theodor Bergers noch immer eindrucksvolle „Homerische Symphonie“ als versierter Führer durch Antikenstoffe aller Art.

*

Friedrich Cerha feiert seinen 50. Geburtstag. Und als „reihe“-Chef ließ er es sich nicht nehmen, eine Bilanz seines Schaffens zu dirigieren. Attraktion dieses ORF-Konzerts im vollbesetzten Sendesaal war die Uraufführung seines Konzerts für Violine, Cello und Kammerorchester (1975/76), ein Stück, das mir wie eine geistvolle Marginalie vorkommt. Oder eine Glosse darüber, was der Musiker Cerha liebt und wie er sich selbst sieht. Nicht von ungefähr widmete er das Stück dem genialen musikalischen Witzbold und Kritikerkauz der französischen Musikgeschichte, Erik Satie, zum 50. Todestag und sich selbst zum 50. Geburtstag.

Aber es ist auch ein Stück des Abschieds, meint Cerha. So wie er da komponiert, wird er kaum wieder schreiben. Eigentlich schade. Denn mehr als in anderen Werken spielt Cerha hier mit musikalischem Esprit: in der Verwendung von Zitaten aus Saties prominentesten Werken, oder auch in der Art, wie er die Kunst der Celloartistik an die Grenzen der Auflösung, des Absurden, führt.

Ein Blick in einen musikalischen Rückspiegel, könnte man zwar sagen. Aber da ist unserer Meinung nach dennoch mehr Zukunft drin als in manchem tollkühnen Experiment um seiner selbst willen. Denn Form, Ausdruck, Emotion, Virtuosität... sie ergeben ein Ganzes. Und auch in der fulminanten Wiedergabe durch Ernst Kovacic (Geige) und Heinrich Schiff (Cello) spürte man das deutlich. Jedenfalls ein Stück, in dem Cerha klanglichen Wohllaut und feine Empfindungen in einer neuen Art kultiviert.

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