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Teamgeist statt Wolfsgesinnung
Für ihre Kritiker ist eine marktwirtschaftliche Wirt- schaftsordnung nach wie vor eine „Ellbogengesellschaft", für die nur Profit und Eigen- interesse stehen, in der sich immer nur der Stärkere durchsetzen kann. Meist wird dabei vergessen, daß auch die Marktwirtschaft nicht allein vom Wettbewerb beherrscht wird. Im Gegenteil. Viele Pro- bleme können nur durch Part- nerschaft und Kooperation ge- löst werden.
Für ihre Kritiker ist eine marktwirtschaftliche Wirt- schaftsordnung nach wie vor eine „Ellbogengesellschaft", für die nur Profit und Eigen- interesse stehen, in der sich immer nur der Stärkere durchsetzen kann. Meist wird dabei vergessen, daß auch die Marktwirtschaft nicht allein vom Wettbewerb beherrscht wird. Im Gegenteil. Viele Pro- bleme können nur durch Part- nerschaft und Kooperation ge- löst werden.
Trotz des eindrucksvollen öko- nomischen, sozialen, politischen und damit moralischen Erfolgs der marktwirtschaftlichen Wirt- schaftsordnung in aller Welt diffa- mieren sie ihre hartnäckigen Kriti- ker immer noch als „Ellbogenge- sellschaft" (zum Beispiel die Re- form-Sozialisten der DDR), als „ Pharisäer-Gesellschaft", die allein von Gier und Eigeninteresse be-
stimmt sei (zum Beispiel der Erzbi- schof von Canterbury, Oberhaupt der Church of England) oder als „Wolfsgesellschaft mit rücksichts- loser Durchsetzung des Stärkeren" (zum Beispiel der Wirtschaftsethi- ker Herwig Büchele) oder als Ge- sellschaftsordnung des „Sozialdar- winismus" der „rückgratwendig- sten" Opportunisten und Garanten dafür, daß die kapitalistische Indu- striegesellschaft die Darwinschen Theorien mit aller Schärfe und Stärke erfüllt" (wie jüngst zwei Mitarbeiterinnen des SPÖ-Um- weltbüros), wobei nicht selten so- gar „die Anpassungsfähigeren" in ähnlichen Fällen freiweg mit „die Rücksichtslosesten " übersetzt wer- den.
Dieses Mißverständnis ist auf den
historischen Verlauf der Auseinan- dersetzung zurückzuführen. Das beginnt schon mit Adam Smith, dessen 200. Todestag kürzlich er- neut die Aufmerksamkeit auf die- sen schottischen Moralphilosophen gelenkt hat. Smith hat die Quelle des Wohlstandes in der menschli- chen Arbeit und deren rationeller Organisation in Form der Arbeits- teilung entdeckt. Er hat das ökono- misch-rationale Verhalten in die- sem „System der natürlichen Frei- heit" als abgehoben gegenüber dem zeitgenössischen Merkantilismus (des Wohlstandes durch Förderung des Gewerbes) und der physiokra- tischen Lehre (des Wohlstandes durch Förderung der Landwirt- schaft) als Folge des Wettbewerbs und diesen damit als die dritte Quelle des Wohlstandes entdeckt.
„Geteilt Arbeitende" können miteinander in Wettbewerb treten oder miteinander kooperieren. Da der Unterschied zu der Marktwirt- schaft den genannten und allen anderen folgenden Koordinations- systemen von Unternehmungen und Haushalten im Wettbewerb liegt, hat sich die wissenschaftliche wie auch die politische Diskussion bis- her fast ausschließlich mit dem Wettbewerb beschäftigt.
Damit hat die nicht informierte Öffentlichkeit den auch für das marktwirtschaftliche System eben- so wichtigen Bereich der Arbeits- teilung aufgrund der bewußten
Kooperation übersehen oder sich lediglich (was allerdings auch not- wendig ist) mit jenen Kooperations- formen befaßt, die sich mit der Zusammenarbeit zum Zwecke der Einschränkung des Wettbewerbs ' beschäftigt.
Es gibt aber auch weite Gebiete in der Zusammenarbeit, die auch und gerade in einer Wettbewerbs- wirtschaft ebenso wesensnotwen- dig sind wie der Wettbewerb selbst. So ist es mehr als eine werbende Formulierung, wenn von einer län- gerfristigen Zusammenarbeit mit Lieferanten oder Kunden gespro- chen wird. Sie wird begründet, sobald der Suchprozeß des Wettbe- werbs die optimalen Partner fin- den ließ. Sie kann unterschiedlich lang dauern. Solange der Markt- wettbewerb besteht, ist sie eine „Kooperation auf Widerruf". Das schützt sie vor einer Versteinerung nicht optimaler Beziehungen. Viele ökonomische Leistungen kämen ferner ihrer Natur nach ohne Zu- sammenarbeit mehrerer Unterneh- mungen überhaupt nicht zustande, wie zum Beispiel Bauvorhaben, die die Zusammenarbeit einer großen Anzahl verschiedener Gewerbetä- tigkeiten notwendig machen.
Die Marktkonkurrenten sind sel- ten Einzelpersonen, sondern in der Regel Unternehmungen mit unselb- ständig Beschäftigten. Ebenso wichtig ist daher die Frage, in wel- cher Weise die Arbeitsteilung in- nerhalb dieser koordiniert wird. Das kann nur die Koope- ration sein, gleichgültig zunächst, ob sie hierarchisch verfügt, durch Arbeitsplatz-
wähl ausgewählt oder in irgendei- ner anderen Form mit bestimmt ist.
Das Unternehmen und seine Organisation wird im deutschspra- chigen Raum zwar nicht von der Volkswirtschaftslehre sondern von der Betriebswirtschaftslehre unter- sucht, ist aber für eine marktwirt- schaftliche Ordnung ebenso wich- tig wie der Wettbewerbsmarkt, ja macht diesen eigentlich erst wirk- lich möglich. Die noch sehr junge „Theorie der Unternehmung" geht der Frage nach, wie es zur Entste- hung von Unternehmungen in ei- nem Markt mit freier Vertragsbil- dung kommt: Weil die täglich neue Kombination der Produktionsfak- toren infolge der mit den zahlrei- chen einzelnen Verträgen verbun- denen Such-, Abschluß- und Risi- kokosten (die „Transaktionsko- sten") nur einen geringeren Nutzen bringen als Vertrauen begründen- de Arbeitsverträge, bereichert um die Erzielung von Skalenerträgen durch regelmäßig wiederholte Pro- duktionsvorgänge aller Art.
Die Bedeutung der internen Kooperation hat auch die moderne Managementlehre erfaßt: Das „Betriebsklima" aufgrund einer Teamgesinnung der Mitarbeiter aller Stuf en der Unternehmenshier- archie ist heute auch als ein Faktor erkannt worden, der den Erfolg wesentlich mitbestimmt. Diesen Gedanken hat auch der jüngste Sozialhirtenbrief der österreichi- schen Bischöfe aufgegriffen: „Eine menschengerechte Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft führt auf weite Sicht auch zum besten wirt- schaftlichen Erfolg." Daran ändert auch der Umstand nichts, daß in einem Unternehmen, welches sich im Wettbewerb bewähren muß, auch jeder einzelne Arbeitsplatz unter der Notwendigkeit einer
Dauerbewährung steht. Soweit ist bisher nur die notwendige Koope- ration innerhalb des Wettbewerbs- marktes behandelt.
Auch eine noch so sehr auf Wett- bewerb beruhende Marktwirtschaft braucht darüber hinaus aber weite Bereiche, die außerhalb ihrer Pro- blemlösungskapazität liegen und die nur durch Kooperation geregelt werden können: Zunächst zur Schaffung der notwendigen Rah- menbedingungen (von der Erhal- tung des Wettbewerbs über die Rechts- und Währungsordnung bis zur notwendigen Infrastruktur).
Das System der Sozialen Markt- wirtschaft beinhaltet darüber hin- aus auch die Einbeziehung aller derer in den Einkommenskreislauf, die noch nichts, vorübergehend nichts oder nichts mehr auf den Märkten anzubieten haben: im Wege der Gewährung von direkten finanziellen Sozialleistungen.
Die Zusammenarbeit in diesem Teil der Wirtschaft (der heute in Österreich 27 Prozent des Sozial- produktes erreicht!) ist nur durch Kooperation möglich, die-wieauch die Schaffung von Rahmenbedin- gungen - nicht den Regeln des Mark- tes, sondern den Regeln der parla- mentarischen Demokratie folgt.
Ein weiteres Gebiet freiwilliger Kooperation ist erst in jüngster Zeit erkannt worden: Die sogenannte „Dritte" Einkommensverteilung durch freiwillige Eigentumsüber- tragung in Form privater caritati- ver Leistungen, die auch der Grö- ßenordnung nach eine Bedeutung erreicht, für die es zwar noch keine statistischen Daten gibt, deren Wachstumsrate aber von der des Sozialproduktes nicht weit entfernt sein dürfte.
Die Wirtschaftsordnung der So- zialen Marktwirtschaft ist also sowohl infolge der sozialen Funk- tionen des Wettbewerbes (von der effizienten Nutzung knapper Res- sourcen bis zur Gewährung der Verbrauchs- und Produktions- freiheit) wie auch aufgrund ihrer Sachzwänge zu verschiedenen For- men der Zusammenarbeit als „System" nicht nur nicht ethisch suspekt, ja nicht einmal neutral, sondern entspricht in ihren Grund- zügen an sich einem humanitären Postulat.
Der Autor, Finanzminister und Nationalbank- präsidenta.D., ist Mitherausgeber der FURCHE.
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