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Technik macht den Körper zum Instrument

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Wissenschaftliche Anstrengungen um eine Geschichte des Körpers haben erst in jüngster Zeit begonnen. Damit einher geht die kritische Reflexion heutigen Umgangs mit dem Körper. Tradition dagegen hat jene Vorstellung, die eine Hierarchie und Trennung von Körper und Geist aufbaut; also alles Körperliche und Sinnliche vernachlässigte, negierte, abqualifizierte, als sündig und verwerflich einstufte, den Geist oder die Vernunft dagegen über die Maßen als Erkenntnisträger und Fortschrittspromotor verherrlichte.

Es kann deshalb nicht überraschen, wenn sich allmählich Verhaltenstechniken entwickelten, die diesem Umstand auch Rechnung trugen. Damiteinhergehtaberauch - quasi als Kehrseite der Medaille -die Fähigkeit der Langsicht und

des Kalkulierens. Und die ist nur möglich, wenn Menschen spontane Empfindungen zurückhalten, Affekte kontrollieren, freie Emotionen unterdrücken, Triebverzicht leisten, mit anderen Worten ihre Verhaltenstechniken werden Körperbeherrschungstechniken.

Ist es nicht geradezu konsequent, wenn im Gefolge dieser Entwicklungslogik der Körper immer mehr zum Instrument der Leistungssteigerung und im Sinne der Verwertbarkeit behandelt wird? Heute sind wir an diesem Punkt angekommen. Menschen sind immer weniger in der Lage, mit und durch den Körper zu leben, zu erleben, ihn und durch ihn zu genießen. In der Aufzucht unserer Kinder wiederholen wir heute wie zu früheren Zeiten den jeweiligen Zivilisationsprozeß unserer Gesellschaft, treiben ihnen dabei die Sinnlichkeit und Unmittelbarkeit zum Körper aus. Der einseitig funktionelle und instrumenteile Umgang mit dem Körper ist das Ergebnis. Aber das Zum-Verstummen-Bringen gelingt nicht total. Auf die Vernachlässigung körperlich-seelischer Bedürfnisse reagiert der Körper mit Krankheit.

In dieser Diskussion um krankmachende gesellschaftliche Umstände wird der Sport immer wieder als Retter auf den Plan gerufen. Sport als Ausgleich für die Mängel industrieller Gesellschaften. Eine überreichlich strapazierte Hoffnung und Forderung. Diesen Vorstellungen soll im folgenden weitgehend widersprochen und deutlich gemacht werden, daß im heutigen Sport, auch und speziell im Frauensport, der instrumenteile Umgang mit dem Körper auf die Spitze getrieben wird, eine Behauptung, die insbesondere am sogenannten Leistungs- beziehungsweise Hochleistungssport zu illustrieren ist.

Obwohl es das Turnen und das Spiel, den Tanz und die Gymnastik auch gibt, hat sich für diese unterschiedlichen Bewegungstraditionen heute ein Einheitsbegriff „Sport“ durchgesetzt. Damit ist die Annahme berechtigt, daß das sportive Prinzip in unserer Körper- und Bewegungskultur dominant und am bedeutungsvollsten geworden ist. Mit anderen Worten gemäß dem sportiven Prinzip bestimmt das schneller - höher - weiter die sportliche Praxis; eine Praxis, die durch das Streber nach technischem Können, nach Leistung beziehungsweise Hochleistung und Leistungsvergleich im Wettkampf gekennzeichnet ist.

Der Leistungs- und Hochleistungssport beziehungsweise Profisport stellt die unverfälschte Umsetzung des sportiven Prinzips dar, denn er ist seiner spielerischen oder kreativen Momente beraubt. Es ist einleuchtend und fast banal zu erwähnen, daß eine solche Praxis auch einen sportlichen Körper benötigt. Die Modellierung und Herrichtung des „Sport-Körpers“ geschieht in eigens dafür vorgesehenen Trainings. Der Sport-Körper allein kann aber ohne sportive Umgebung und entsprechende Hilfsmittel keine Höchstmarken beziehungsweise Rekorde (also noch nie dagewesene Leistungen) erzielen. An der Modellierung des Sportkörpers, der Herstellung der sportlichen Umgebung und den sportlichen Hilfsmitteln ist nun in höchstem Maße Technik beteiligt, eine Technik, die einer Rationalität folgt, die körperliche Vorgänge, einschließlich der äußeren Bedingungen, optimal regelt, auf sie einwirkt, um zu immer besseren Leistungen zu führen.

Die Überlegungen zur Entkörperlichung und zur Versportung sind im wesentlichen an männlicher Technik- und Körpergeschichte gewonnen und aufgezeigt worden. Es stellen sich deshalb eine Reihe von Fragen: Inwieweit sind Frauen an dieser Entwicklung beteiligt gewesen, waren sie weitgehend ausgeschlossen oder haben sie an ihnen mitgewirkt, gibt es weibliche Traditionen des Körperumgangs, der Bewegungskultur?

Frauen, die Leistungssport auf hoher und höchster Ebene betreiben, tun dies verglichen mit Männern zwar in weit geringerem Umfang (sechs Prozent Frauen zu 33 Prozent Männern), umgerechnet machen aber alle Wettkampfsport betreibenden Frauen in der BRD immerhin etwa eine Million aus.

Die Wettkampftätigkeiten von Mädchen und Frauen bezieht sich aber nicht nur auf die traditionellen Wettkampfsportarten, sondern hat in der rhythmischen Sportgymnastik inzwischen auch die sogenannten weiblichen Bewegungstraditionen erfaßt.

Was geschieht mit weiblichen Körpern und Frauen im Hochleistungssport?

Das sportliche Leben von Sportlerinnen auf höchstem Niveau -auch jener, die erst danach streben - spielt sich im wesentlichen in Trainingszusammenhängen ab. Wettkämpfe sind jene Zielpunkte, an denen sie dieses Trainingsleben ausrichten; ein Leben, das unter dem Diktat der Perfektionierung des Körpers steht. Die Leistuhgs-maschine Körper muß bis zum Start auf Hochtouren kommen.

Tägliches Training bis zu mehreren Stunden ist in fast allen Sportarten die Regel, in intensiven Phasen beispielsweise bei Turnerinnen bis zu sechs/sieben Stunden. Wochenendlehrgänge, Kompakttrainingseinheiten in Leistungszentren kommen hinzu, eine 42- bis 52-Stunden-Woche ist keine Seltenheit. Das bedeutet: Zeit, Lebenszeit wird diktiert vom Trainingsplan der jeweiligen Sportart.

Aus dem Kapitel „Technik hnd weiblicher Körper im Sport“ in „Frauen - Bewegung -Sport“, herausgegeben von Sylvia Schenk, VSA-Verlag, Hamburg 1986.

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