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Technischer Fortschritt: Anders arbeiten

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Das technische Wissen, sagt man heute, verdopple sich innerhalb eines Jahrzehnts. Die zeitliche Distanz zwischen Gegenwart und Zukunft wird kleiner, die Prognostizierbarkeit nimmt ab. Was wird wirklich in neun, zehn Jahren sein?

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Das technische Wissen, sagt man heute, verdopple sich innerhalb eines Jahrzehnts. Die zeitliche Distanz zwischen Gegenwart und Zukunft wird kleiner, die Prognostizierbarkeit nimmt ab. Was wird wirklich in neun, zehn Jahren sein?

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Technischer Fortschritt hat sozialen Fortschritt ermöglicht: Verkürzung der Arbeitszeiten, höhere Einkommen, bessere Arbeitsbedingungen. Jeder wirtschaftlich-technische Fortschritt hat auch destabilisierende Folgen gehabt: Was für die 100 Jahre Industrie-Revolution galt, die uns Dampfmaschine, Dampfschiff und Eisenbahn bescherte, gilt erst recht für die neuen Technologien und ihre Auswirkungen.

Die Veränderungen vollziehen sich zusehends rascher, die Anpassungszeiten werden immer kürzer: Das technische Wissen, sagt man heute, verdopple sich innerhalb eines Jahrzehnts. Die zeitliche Distanz zwischen Gegenwart und Zukunft wird kleiner, die Prognostizierbarkeit nimmt ab. Was wird wirklich in neun, zehn Jahren sein?

Die Dynamik der Entwicklung läßt sich nicht voraussagen, schon gar nicht mehr auf Zehntelprozentpunkte genau errechnen. Niemand kann das, auch das Institut für Höhere Studien nicht. Was soll dann die Rechnung, daß bei einer schrittweisen Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden bei teilweisem Lohnausgleich in den nächsten neun Jahren 200.000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten? Daß die Arbeitslosenrate dann statt bei 8,6 Prozent bei vier Prozent läge?

Die Zukunft wird nicht die Fortschreibung der Gegenwart sein, wird bisherige Erfahrungswerte, die einer Prognose zugrunde gelegt werden können, über den Haufen werfen. Trotzdem: Für eine überschaubare Zukunft wird man unterstellen dürfen, daß Arbeitslosigkeit ein zentrales gesellschaftliches Problem bleibt. Dazu kommt, daß technologische Neuerungen es weiterhin ermöglichen werden, mehr und mehr menschliche Arbeitsfunktionen durch Maschinen und automatisierte Prozesse zu ersetzen: Substitution von Arbeitskraft durch Betriebsmittel.

Aus diesem Grund ist es nicht unverständlich, wenn die Gewerkschaften die wöchentliche Arbeitszeitverkürzung zum Mittelpunkt ihrer Forderung machen: Weniger arbeiten, damit mehr Arbeit haben, Rationalisierung schon eingeschlossen! Für die Vergangenheit mag diese Überlegung gegolten haben. Aber für die Zukunft mit dem unabsehbaren technologischen Entwicklungsschub könnte eine Arbeitszeitverkürzung für die Wirtschaft zur Rationalisierungspeitsche werden, die das Entfalten von Substitutionsmöglichkeiten erst recht vorantreibt: makroökonomisch, also volkswirtschaftlich insgesamt. Doch der grobe Raster führt — wie bei Prognosen — auch hier nicht zur entscheidenden Fragestellung. Und die ist: Wie könnte ein Betrieb die Arbeitszeitverkürzung konkret umsetzen?

Was im günstigen Fall bei Großbetrieben tatsächlich zu mehr Arbeitsplätzen führt, unabhängig einmal davon, ob die mit einer Arbeitszeitverkürzung bei teilweisem oder vollem Lohnausgleich verbundenen Folgen wirtschaftlich verkraftbar sind, ist auf das Gros der Klein- bis Mittelbetriebe, die das Bild der österreichischen Wirtschaftsstruktur prägen, kaum übertragbar: Wahrscheinlicher wäre es, eine höhere Arbeitsintensität anzunehmen. Ist das gewerkschaftliche Intention?

In anderen Bereichen, etwa im öffentlichen Dienst, vom Gendarmen bis zur Krankenschwester, fände eine Arbeitszeitverkürzung dagegen wiederum unmittelbaren Niederschlag: nicht nur in zusätzlichen Dienstposten, wohl auch im Zusatzbedarf beim Steueraufkommen. Die Wirtschaft steuert ein zusätzliches Argument bei: Die Arbeitszeitverkürzung würde die Schattenwirtschaft forcieren. Mehr Freizeit, mehr Pfusch.

So kann man es sehen. Man könnte aber ebenso die Chancen erkennen, die darin liegen: Für die Betriebe die Herausforderung, Leistungen besser und zügiger als bisher zu erbringen. Und ganz allgemein aber den ungebrochenen Arbeitswillen, die Initiative und Kreativität, die damit signalisiert werden.

Arbeitslosigkeit ist ein Problem, Unterbeschäftigung, also Arbeit, die die eigenen produktiven Fähigkeiten nicht auslastet, verschärft es zunehmend. Die Triviallösung einer generellen Arbeitszeitverkürzung entspricht vielleicht gerade noch dem pragmatischen Politikmuster, das zuletzt in Frage gestellt wurde. Wo bleibt da nur die eingeforderte Phantasie?

Wenn wir nicht jeder Tätigkeit außerhalb bezahlter Arbeit ihre Würde und ihren Wert absprechen wollen, müssen wir zu einem neuen Verständnis von Arbeit finden, müssen den quartären, also den dem sozialen Zusammenhalt von Nachbarschaften und Kleingemeinschaften dienenden, und den quintären, also den familiären Sektor der Hauswirtschaft neu entdecken, Sektoren, ohne die es keine Gesamtwirtschaft gibt, obwohl sie die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung noch immer ausklammert.

Anders arbeiten, flexibler und damit effektiver; da geht es um „jede Arbeit, die der Mensch verrichtet, unabhängig von ihrer Art und den Umständen" („Laborem exercens"): Höhere Studien sollten sich einmal dieses Anliegens annehmen.

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