6847985-1976_32_01.jpg
Digital In Arbeit

Tel Zaatar

Werbung
Werbung
Werbung

Im palästinensischem Flüchtlingslager Tel Zaatar sterben Frauen und Kinder im Granathagel christlicher Milizen, scheiterte die Rettung verwundeter Zivilisten tagelang an der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation als Vorbedingung jader Feuerpause und an der Weigerung des „harten Kerns“ der Lagerinsassen, diesem Verlangen nachzukommen. Da der Ausbruch des Spanischem Bürgerkrieges in diesen Tagen genau 40 Jahre zurückliegt, bietet sich der Vergleich von Tel Zaatar mit Alcazar an. Hier wie dort wunde ein isoliertes Kampfgeschehen im einem unbarmherzigen Bürgerkrieg plötzlich zum Symbol.

Vor wenigen Wochen durfte man aufatmen, als sich im Libanon das Blatt wendete. Die militärischen Erfolge der christlichen Milizen und der mehrheitlich christlichen Armee auf der einen Seite, auf der anderen die Niederlagen der Palästinenser in Verbindung mit ihrer politischen Isolierung, kündigten eine Entschärfung der gesamten nahöstlichen Situation an. Aber dieser Entschärfung kann man Sich nicht mehr freuen, deren was sich im Libanon und vor allem um das Flüchtlingslager Tel Zaatar abspielt, macht es schwer, in dem sich abzeichnenden endgültigen Sieg der christlichen Libanesen über die islamisahen Palästinenser wirklich einen Sieg der humaneren Sache zu sehen.

Die Einkesselung und Beschießung von Tel Zaatar hat aufgehört, Kriegshandlung zu sein — sie wurde längst zum Massaker. In diesem Massaker sind aber die Palästinenser, die jahrelang den Part des Aggressors spielten und an deren Einordnung als Bedrohung des Weltfriedens wir uns gewöhnt haben, nun plötzlich die Opfer. Sind sie es allgemein — oder sind sie es nur in Tel Zaatar?

Daß Verstehen und Rechtfertigen grundverschiedene Dinge sind, wird viel zu oft vergessen. Das Verhalten der Christen, die Tel Zaatar eingeschlossen hatten und das Rote Kreuz an der Rettung verwundeter Frauen und Kinder hinderten, ist allenfalls zu verstehen. Tel Zaatar ist, ungeachtet der Frauen und Kinder, mehr ein Alcazar, eine Festung, als ein Flüchtlingslager, ist zumindest beides in einer Doppelf unktiom. Die Palästinenser haben im Libanon zunächst einen Staat im Staate errichtet und dann diesen Staat zu zerstören versucht, was ihnen noch nicht politisch, aber physisch weitgehend gelang. Die Frauen und Kinder (und auch die Männer) von Tel Zaatar haben keine Flugzeuge entführt und keine Attentate in westlichen Län-

dem verübt, aber die Verbindung zwischen ihren politischen Führern und den Terroristen war zeitweise sehr eng, und sie waren lange Zeit die Sympathie-Basis der Terroristen.

Statt Israel zu zerstören, was ihnen zum Glück für Israel und die Welt nicht gelang, haben sie Beirut in Schutt und Asche gelegt, und als Ergebnis ihrer politischen Wühlarbeit stehen nun auch die oingises-senen islamischen Libanesen vor dem Scherbenhaufen ihrer Hoffnungen auf Aufstieg und Emanzipation. Niemand kann wünschen, daß die Palästinenser noch einmal die politische Isolation überwinden, noch einmal militärisch erstarken, und die Mitwirkung der arabischen ^Brudervölker“ an ihrem Schicksal stärkt die Hoffnung auf eine Beilegung des arabisch-israelischen Konfliktes.

Aber keine nüchterne politische Analyse kann und soll die tragische Dimension des palästinensischen Schicksals verhüllen, Sie sind Vertriebene, Entwurzelte, die Hin- und Hergeschobenien dieser Region, und ihr antiisraelischer Fanatismus ist das Zuchtprodukt eines Nasser, der die Flüchtlinge in Lagern zusammenpferchte und fanatisierte, statt sie nach Ägypten einreisen und sich in einer neuen Umgebung integrieren zu lassen. Nun stehen die Palästinenser vor der Asche aller Hoffnungen. Der Terrorismus war ein taugliches Werkzeug einiger Demagogen, zu Macht und Ansehen zu gelangen. Sie zahlen die Zeche.

Verstehen läßt sich also der Haß der christlichem Libanesen, Ihr Land und ihre Hauptstadt werden nie wieder sein, was sie waren.

Rechtfertigen aber läßt sich das Verhalten der Belagerer von Tel Zaatar nicht. Wer christliche Libanesen kennengelernt hat, kennt auch ihren (Anspruch, den intelligenteren und lernfähigeren Teil der libanesischen Bevölkerung zu repräsentieren, aber diese Salfosteinschätoumg steht im (Widerspruch zu ihrer Blindheit ge-(genüiber der Tatsache, daß der Tod der Frauen und Kinder von Tel Zaatar, auch wenn es sich bei ihnen „nur“ um palästinensische und nicht um libanesische Moslems handelt, neue Wunden schlägt, und die Hei-ilung der alten noch schwieriger imacht.

Die Behinderung humanitärer Aktionen steht aber auch im tiefen Widerspruch zum christlichen ßelfostverständmis dieser Libanesen. Der Haß, der die beschränkte Rettungsaktion erst nach einem zähen Widerstand ermöglichte und auch jetzt zu einem erheblichen Risiko für die Retter macht, ist verständlich, aber weder christlich noch menschlich, und daß die Milizen der Christen so reagierten, ist vor allem deshalb so tragisch, weil beim Wiederaufbau des Landes die entscheidenden Leistungen nur vom christlichen Bevölkerungsteil erwartet werden können, er aber ohne Frieden mit den Moslems kaum denkbar erscheint.

Und diese Feststellungen bedeuten keine Rechtfertigung „der Terroristen“ oder ,4er Araber“ oder wie (immer Ettikettierter, aber es läßt isich auch kein wie immer ausspiel-ibares europäisches Überlegenheitsgefühl daraus ableiten. Denn über dhrer Empörung über ein Verhalten, das zeitweise an eine Endlösung der Palästinenserfrage auf Libanesisch denken ließ, vergessen allzuviele, wie wenig Zeit seit einer sehr viel schrecklicheren Endlösung vergangen ist, die sie nur zu gerne verdrängen und vergessen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung