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Tendenz zu mehr Vernunft…

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Wann immer in den letzten Jahren die Wirtschaft oder die Bundeswirtschaftskammer als deren Interessenvertretung vor den Gefahren und Konsequenzen einer bedenkenlos expansiven Wirtschaftspolitik gewarnt und in jüngster Zeit wirksame Vorkehrungen gegen eine stärkere Konjunkturabschwächung verlangt haben, begegneten sie dem stereotypen Vorwurf von Regierung und Arbeitnehmerorganisationen, die Wirtschaft klage unbegründet und in Wirklichkeit sei alles in allerbester Ordnung. Dem Präsidenten der Arbeiterkammer, Hrdlitschka, blieb es Vorbehalten, auch dann noch mit rosarot optimistischem Unmut die Bundeskammer zu schelten, als die ersten Betriebsrats- und Gewerkschaftsdelegationen bereits bei Kanzler, Finanz- und Handelsminister vorsprachen, um dort nachdrücklich die Sorge um ihre Arbeitsplätze zu deponieren.

Weit früher schon — im November und Dezember 1974 — hat das Dr.-Fessel- und GFK-lnstitut eine Befragung durchgeführt. Die deutlich gewordene Vorsicht und Besorgnis, die auch in der geringen Investitionsneigung zum Ausdruck kam, wurde inzwischen von einer Analyse des Instituts für Wirtschaftsforschung im wesentlichen bestätigt. Aber auch in der Stimmung der Bevölkerung ist ein merklicher Wandel eingetreten, wie die Untersuchung des Fessel-Instituts im Vergleich zu einer gleichartigen Befragungswelle im Juli des vergangenen Jahres festgestellt hat.

Wirtschaftslage und Arbeitsplatz

Die überwiegend positive Einschätzung der wirtschaftlichen Lage im Sommer 1974 hat sich bis gegen Jahresende deutlich verschlechtert. Im Sommer waren noch 55 Prozent optimistisch, gegen Jahresende waren es nur mehr 37 Prozent. Insbesondere Arbeiter, Angestellte und Beamte schätzten die wirtschaftliche Zukunft wesentlich schlechter ein als im Sommer.

Dieser Umschwung gegenüber Juli 1974 zeigt sich auch in der Beurteilung der allgemeinen Arbeitsplatzsicherheit. Während im Juli des vergangenen Jahres noch 16 Prozent der Befragten die österreichischen Arbeitsplätze im allgemeinen als „sehr sicher“ und 62 Prozent als „eher sicher“ einstuften, und nur rund 20 Prozent Unsicherheiten wahmahmen, glaubten gegen Jahresende nur noch fünf Prozent an sichere, 47 Prozent an eher sichere und schon 43 Prozent an eher unsichere Arbeitsplätze in Österreich. Die Unsicherheit hat sich also mehr als verdoppelt.

Lohnwelle und sonstige Forderungen

Trotz der hohen Lohnabschlüsse im Herbst 1974 vertraten rund 57 Prozent der Befragten die Auffassung, daß diese in Anbetracht der Teuerung zu gering seien. Am häufigsten wird diese Ansicht bei den Arbeitern vertreten (77 Prozent), dann folgen die Hausfrauen (64 Prozent), während die Landwirte (34 Prozent), Selbständigen und Freiberufler diese Auffassung weit seltener teilen (30 Prozent).

Diese Beurteilung dürfte unter anderem darauf zurückzuführen sein, daß ein Drittel der Befragten die Meinung vertritt, daß in der letzten Zeit die Löhne weniger als die Preise gestiegen seien, was eindeutig im Widerspruch zur tatsächlichen Entwicklung steht Ein Drittel der Befragten teilt die Auffassung, daß die Lohnerhöhungen im Hinblick auf die Wirtschaftslage zu hoch seien.

Obwohl man der Ansicht ist, daß die Teuerung durch Lohnerhöhungen abgegolten werden soll, ist man sich dessen bewußt, daß die Belastbarkeit der Wirtschaft Grenzen hat: 68 Prozent der Befragten vertraten die Meinung, daß die Wirtschaft höhere Abschlüsse nicht verkraftet hätte und 65 Prozent der Befragten meinen, es wäre besser gewesen, bei den Lohnforderungen zurückhaltender zu sein, weil als Folge stärkere Preiserhöhungen zu befürchten seien.

Das im November 1974 gerade aktuelle Gesamtpaket von Forderungen an die Wirtschaft (Lohnerhöhungen, Einführung der 40- Stunden-Woche und Bildungsurlaub) bringt nach Ansicht vieler Befragter Schwierigkeiten mit sich, 43

Prozent glauben, daß die Realisierung dieser Maßnahmen mit „einigen wenigen“ Schwierigkeiten, und 44 Prozent, daß sie mit vielen und zum Teil gravierenden Schwierigkeiten verbunden wäre. Nur acht Prozent der Befragten sahen darin keine Probleme.

Auf die Frage, welche der gewerkschaftlichen Forderungen selbst dann verwirklicht werden sollten, wenn in der Folge größere wirtschaftliche Schwierigkeiten auftre- ten würden, stehen Lohnerhöhungen mit 31 Prozent an der Spitze vor der Einführung der 40-Stunden-Woche (22 Prozent). Die Forderung nach einem Bildungsurlaub wird nur von 12 Prozent als unbedingt notwendig angesehen. Überraschend hoch ist der Prozentsatz jener, die bei großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten überhaupt von solchen Forderungen Abstand nehmen wollten (26 Prozent).

Für Selbständige und freiberuflich tätige Personen sowie für Landwirte ist vor allem die Verlängerung des Urlaubes das primäre Anliegen.

Wirtschaftspolitische Prioritäten

Die Reihung der wirtschaftspolitischen Prioritäten hat sich bei beiden Erhebungen nicht wesentlich verändert. Nach wie vor sind Preisstabilisierung (91 Prozent) und Arbeitsplatzsicherung (86 Prozent) subjektiv am vordringlichsten. Einschränkungen, wenn die Gastarbeiterzahl verringert werden müßte, würden 45 Prozent in Kauf nehmen. Weitere Prioritäten sind: Bevorratung (35 Prozent), Beschränkungen des wirtschaftlichen Wachstums wegen der Erschöpfung der Energie- und Rohstoffquellen (21 Prozent) und Produktionserweiierungen zur Verbesserung des Lebensstandards (11 Prozent).

Aussichten der Expoirtwirtschaft

Ein neuer Aspekt in der November-Untersuchung betraf die Einschätzung der Zukunftsaussichten der österreichischen Exportwirtschaft. Mehrheitlich wird angenommen, daß sich die Exportsituation für Österreich etwas verschlechtern werde. Wesentliche Gründe seien: Die steigenden Rohstoffpreise (65

Prozent), die schlechtere Wirtschaftslage der Handelspartner (42 Prozent), die hohe Steuerbelastung der Exportwirtschaft (39 Prozent), die steigenden Löhne (32 Prozent), ‘die ScKüTingäüfwenung (20 Prozent) und die mangelnde Unterstützung der Exporturirtschaft durch den Staat (15 Prozent).

Inflationserwartung und Teuerungsursachen

Die Inflationserwartung für die nächsten sechs Monate ist im Vergleich zum Sommer 1974 deutlich pessimistischer Igeworden. Während im Juli nur 13 Prozent der Befragten eine stark steigende Inflationsrate erwarten, sind es im November bereits 21 Prozent. Nur 13 Prozent (gegenüber 18 Prozent im Juli) erwarten eine gleichbleibende Inflationsrate. Besonders pessimistisch sind Landwirte, Selbständige, Freiberufliche und Hausfrauen. Die Inflation wird von 47 Prozent der Befragten als größte Gefahr für die Arbeitsplätze angesehen. An zweiter Stelle rangieren Wirtschaftskrisen im Ausland (45 Prozent).

Auch das Steigen der Rohstoffpreise wird als Faktor der Arbeitsplatzgefährdung im November häufiger \genannt als im Sommer (Anstieg von 37 auf 41 Prozent). Drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Geldentwertung werden hinsichtlich ihrer arbeitsplatzgefährdenden Wirkung ebenso wie im Juli nicht allzu hoch eingeschätzt (11 Prozent).

Inflation und Sparen

Bei der Beurteilung des Fragenkomplexes über die Einstellung zum Sparen waren 42 Prozent zinsenbewußt und positiv eingestellt und erklärten, man müsse das Geld so günstig wie möglich anlegen. 32 Prozent sprachen sich wegen der hohen Inflationsraten dafür aus, mit dem Geld in den Konsum zu jgehen, 21 Prozent äußerten Ressentiments gegen eine längere Geldbindung in einer Sparform und zehn Prozent plädierten überhaupt fürs Schuldenmachen.

Zur Frage von Einsparungsmöglichkeiten des Staates, um die Teuerung besser unter Kontrolle zu bringen, ergibt sich folgendes Bild: Reduktion der Beamten (54 Prozent), Einschränkungen des Repräsentationsaufwandes der Regierung (50 Prozent), Einsparungen bei der

Schulbuchaktion (49 Prozent) und bei der Unterstützung unrentabler staatlicher Betriebe (39 Prozent), Kürzurigen im Sozialbereich (fünf Prozent), beim Straßenbau und beim Wohnbau (vier bzw. zwei’ Prozent) werden jedoch kaum ins Kalkül gezogen.

Zur Frage der Einsparungsmöglichkeiten des einzelnen Österreichers würden Ausgaben für das Auto (50 Prozent), für das Essen (41 Prozent), Bekleidung (26 Prozent), technische Einrichtungsgegenstände (21 Prozent), Möbel (15 Prozent) angeführt.

Lebensstandard und Znkunfts- erwartungen

30 Prozent der Befragten erklärten, daß sie sich im Jahr 1974 etwas weniger und elf Prozent sogar „viel weniger“ als im Jahr 1973 leisten konnten. Rund 44 Prozent halten ihren Lebensstandard gegenüber 1973 für unverändert, rund 14 Prozent glauben, daß sie sich 1974 mehr als 1973 leisten konnten.

Schlechter wird auch die eigene finanzielle Lage gegenüber dem Juli eingeschätzt. Glaubten im Juli noch 25 Prozent an eine bessere künftige Finanzlage, waren es im November nur noch 19 Prozent, 24 Prozent erwarteten ein schlechteres Einkommen, im Juli waren es 21 Prozent. Rund die Hälfte nimmt allerdings an, daß die Finanzlage ungefähr gleichbleiben werde.

Wirtschaftliche Interessen und Konfliktlösungen

Noch deutlicher als im Juli sprach sich die Bevölkerung für ruhige und sachliche Verhandlungen zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen in der gegenwärtigen Lage aus (91 Prozent). Ausübung von Druck auf Verhandlungspartner wird ebenso selten (drei Prozent) gefordert, wie Demonstrationen (drei Prozent), Streikdrohungen oder die Durchführung von Streiks (je ein Prozent).

Fragt man, wer wirtschaftliche Auseinandersetzungen am besten beilegen könnte, gewinnen im Vergleich zum Juli die Wirtschaftsexperten und Sozialpartner erhöhtes Gewicht (Anstieg von 23 auf 28 Prozent bzw. von 24 auf 27 Prozent). Mit einigem Abstand mißt man der Regierung (21 Prozent) und den politischen Parteien (17 Prozent) ein Potential zur Konfliktlösung im wirtschaftlichen Bereich bei.

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