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Termine, Termine

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Letzten Monat, am Zwanzigsten, passierte es endgültig. Ich hatte ja schon längere Zeit damit gerechnet, aber es blieb immer noch die Hoffnung, daß sich das Unerwünschte ■ nicht einstellen würde. Dann passierte freilich das Unabwendbare doch, wer hätte auch etwas dagegen tun können: Am Donnerstag, dem Zwanzigsten des letzten Monats, brach mein Terminplanungssystem zu-

sammen. Plötzlich, unwiderruflich, restlos.

Für Termin-Fachleute kam das nicht unerwartet. Ich selbst hatte bis zuletzt gehofft; durch geschicktes Terminmanipulieren war es mir tatsächlich gelungen, terminlich über die knappen Zeitrunden zu kommen. Längere Zeit war es mir nämlich, fast unbemerkt, geglückt, jeweils eine Terminverschiebung gegen eine andere auszuspielen: hier etwas später als geplant hin, dort etwas früher als gedacht weg, und zwischen die zwei angebissenen Termine noch einen zusätzlichen Besuch zwischengeschaltet.

Das klappte beruflich ganz gut, und auch privat merkte man lange Zeit nichts von meiner Termin- Spielerei. Ich vermute, das kam auch daher, daß alle die anderen, die über meinen Terminsalat und dessen pfiffige Bewältigung hinwegsahen, eben auch Terminprobleme hatten. Dieše in den Griff zu bekommen, nahm sie so sehr in Anspruch, daß sie mein Zuspätkommen und Zufrühweggehen nicht so recht zur Kenntnis nahmen.

Und da war ja auch noch die stereotype Ausrede vom zusammengebrochenen Straßenverkehr, von der erfolglosen Parkplatzsuche, von der Auseinandersetzung mit strafzettelbesessenen Polizei- Amazonen. Wenn gar nichts mehr glaubhaft war, weil die Terminverschiebung überdimensional ausfiel, mußte man eben von einem fiktiven Unfall berichten. Blechschaden nur, aber immerhin.

Was heißt hier „Blechschaden“! Meine Schilderungen fielen regelmäßig ergreifend aus. Alles litt mit mir und meinem beschädigten Auto. An Termine oder gar

an Terminversäumnisse wagte, niemand mehr zu denken. Man ließ mich in solchen Besprechungen meist in Ruhe. Wer wollte einen solchermaßen Leidenden noch mit schnöden Geschäften kränken?

Das war auch ganz gut so. Da konnte ich in Ruhe die Unterlagen für die nächste Sitzung durcharbeiten und Anweisungen vorbereiten. Denn auf dieser mußte ich mich ohnedies wiederum vertreten lassen. Aus Termingründen, versteht sich.

Ich wähnte mich schon in Termin-Sicherheit, so gut klappte mein berufliches und privates Termin-Verschleierungs- und Verschub-System. Ich hatte freilich nicht alles berücksichtigt, und das sollte sich an diesem denkwürdigen Zwanzigsten bitter bezahlt machen. Dieser Tag, er ist seitdem in den Kalendern meines Einzugsbereiches schwarz .eingekreist, brachte mein, wie ■man es seitdem schlimmerweise

nennt, kriminell-manipulatives Abwesenheits-System ans Licht. Ich wurde zum terminlichen Offenbarungseid gezwungen’

Dabei hatte auch dieser Tag zunächst ganz harmlos angefangen. Auch die Vorgeschichte war nicht ungewöhnlich. Etwa ein Jahr zuvor hatte mir eine eifrige Mitarbeiterin im Sekretariat ein Schreiben präsentiert: „… und dürfen Sie im Interesse der „go wichtigen Sache herzlichst einla- den ..“. Ein so wichtiges Interesse führte zum ersten Termin. Er wurde eingetragen und geriet in Vergessenheit.

Im Frühjahr sprachen mich alte Freunde an: „… und sollten wir doch wieder einmal die alten Zeiten ..“. Die alten Zeiten erforderten einen zweiten Termin. Auch er wurde eingetragen, auch er geriet in Vergessenheit.

Ende des Sommers kam ein Schreiben vom Stadttheater: „… und dürfen wir Ihnen den Spielplan und die Termine Ihres Abonnements vorlegen …“. Der städtische Theatertermin legte sich über die anderen. In jeder Hinsicht.

Eine Woche vor dem denkwürdigen Zwanzigsten rief mich mein Chef zu sich und strahlte: „… hatte meine Frau doch die Idee, Sie und Ihre weitaus bessere Hälfte …“. Ein solches Abendessen war nicht verschiebbar, auch wenn es genau auf den Zwanzigsten fiel.

An jenem Morgen streifte ich mit kurzem, forschem Blick meinen Terminkalender: Uber dip vier Termine hatte meine Seele von Mitarbeiterin noch drüber geschrieben: „… Blumen nicht vergessen: Hochzeitstag“.

Gegen zehn Uhr rief mich dann der Kapitän unseres weithin gefürchteten Kegelklubs an. Seine Stimme war wie immer freundlich, aber nicht ohne Nachdruck: „… es bestünde endlich wieder einmal die Möglichkeit… so lange hätte man schon nichts mehr von sich hören lassen … die Kegelkameradschaft sei doch etwas ganz Besonderes … nur wer sich selbst engagiert, der könne auch … und den heutigen Abend, den hätte doch wohl jeder noch …“.

Wie recht er hatte! Und doch: Ich riß das Telefon vom Anschluß. Seitdem habe ich nicht wieder ge- kegelt.

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