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Terror im Punjab

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Im Nordwesten Indiens gärt es. Der Punjab kommt nicht zur Ruhe. Extremistische Sikhs prolongieren die sechsjährige Krise. Alles blickt jetzt auf Delhi.

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Im Nordwesten Indiens gärt es. Der Punjab kommt nicht zur Ruhe. Extremistische Sikhs prolongieren die sechsjährige Krise. Alles blickt jetzt auf Delhi.

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In Amritsar stand an jeder Straßenecke ein Soldat. Ob dieses Militäraufgebot nur nächtens präsent war, wußten wir nicht. Denn wir durften den Punjab nur nachts durchqueren, im Autokon-voi, unter Polizeigeleit. Den Fahrern wurden die Reisepässe abgenommen. Terroristische Umtriebe militanter Sikhs seien der Anlaß, die Sicherheit ausländischer Touristen der Zweck dieser Maßnahmen. So hatte die Erklärung am pakistanisch-indischen Zoll gelautet.

Auf dem Rückweg gelang es uns durch eine List, den Konvoi und die Polizei abzuschütteln. Wir fuhren tagsüber durch die Sikh-Provinz. Die Menschen waren voll freundlicher Neugier.

Von Terrorismus merkten wir nichts. Scheut er das Tageslicht?

Nein, Überfälle ereignen sich auch am hellichten Tag. Wie jenes Massaker Anfang März, das Dutzende Hindus und Sikhs mitten aus einem Krischna-Fest in den Tod riß. Mehr als 400 Menschen wurden heuer bereits Opfer von Gewalttaten.

Doch die Aktivitäten der militanten Sikhs richten sich nicht gegen Ausländer. Im Kernland Punjab geht es um eine religiöse wie politische Abgrenzung von der indischen Hindu-Mehrheit. In der Realität des nordwestlichen Unionsstaates ist das separatistische Fernziel eines unabhängigen Khalistan allerdings der kleinste gemeinsame Nenner.

Die geistige Führung der Sikhs ist uneinig im Vorgehen gegenüber Delhi, und selbst im Goldenen Tempel liefern sich die obersten Priester einen erbitterten Machtkampf. Die Hüter des höchsten Sikh-Heiligtums machen Realpolitik und operieren mit zugkräftigen Feindbildern. Sie werfen einander vor, Handlanger der Zentralregierung zu sein.

Außerhalb des Punjab präsentieren sich die Sikhs freilich ganz anders. In den Restaurants von Delhi und Bombay, in den Geschäften überall im Lande begegnen uns die Sikhs als aufgeschlossene, erfolgreiche Elite. In Bildung, Wohlstand und gesellschaftlichem Status liegen sie durchwegs über dem indischen Durchschnitt. Sie sind Akademiker, Geschäftsleute, Militärs.

Dennoch lassen die äußeren Zeichen ihrer Würde keinen Zweifel an der Wahrung der strengen Traditionen der Sikh-Gemeinschaft aufkommen. Die Sikh-Religion, die Elemente von Islam und Hinduismus vereinigt, wurde im späten 15. Jahrhundert von Nanak, einem gläubigen Hindu, gegründet, und ist streng monotheistisch ausgerichtet.

Theologisch wendet sich die Sikh-Religion gegen Dogmen und Rituale. Die Erlösung liegt gemäß ihrer Heilslehre in disziplinierter Meditation und Konzentration auf den Namen Gottes.

Auffällig ist allerdings die starke soziale Komponente der Sikh-Lehre. Das Gesetz der Gleichheit und Brüderlichkeit verbietet das Kastenwesen, legt den Grundstein für eine Armenfürsorge und gewährt der Frau eine bessere Stellung als in den beiden Basisreligionen.

Die Sikh-Frauen sind vom öffentlichen Leben nicht ausgeschlossen. Begegneten uns Bart-und Turbanträger abends in einem Lokal, so waren sie zumeist von Frau und Kindern begleitet. Keine streunenden Bettler, keine verstoßenen Witwen; nicht bei den Sikhs.

Der Traum der Sikhs von einem unabhängigen Khalistan ist keine Idee der Gegenwart. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts lieferten die Sikhs den Briten im Norden Indiens blutige Schlachten, die mit der Annexion des Punjab endeten. Fast genau hundert Jahre später gehörte die Teilung der Sikh-Provinz zum Preis für die Unabhängigkeit.

Im Zuge der Teilung des Punjab wurden 1947 grausame Massenmorde an moslemischen Flüchtlingen verübt. Später richtete sich die Hetze der in Indisch-Punjab konzentrierten Sikhs gegen die Hindus und die Zentralregierung in Delhi. Hungerstreik wurde zu einem probaten Druckmittel.

Fateh Singh erreichte auf diese Weise, daß Premier mini Sterin Indira Gandhi das Gebiet in das mehrheitlich von Sikhs bewohnte Punjabi Subha und das von Hindus besiedelte Haryana teilte.

Doch die Sikh-Führer stellten immer neue Forderungen politischer Natur. So sollte Amritsar den Status eines Kirchenstaates ä la Vatikan erhalten. Eine Minderheit mit nur zweipr ozentigem Anteil an Bevölkerung und Religionszugehörigkeit, aber von erheblichem wirtschaftlichen Einfluß setzte Delhi unter Druck. Bis zum Gandhi-Attentat rekrutierten sich zwölf Prozent der Soldaten und Offiziere der indischen Armee aus den Reihen der Sikhs.

Der Sturm auf den Goldenen Tempel, zu dem die Regierungschefin im Juni 1984 blies, leitete die Wende zum offenen Krieg ein. Bis dahin war Indira kompromißbereit gewesen, und die Sikhs waren trotz allem mehrheitlich indische Patrioten. Doch der fanatische Extremistenführer Sant Jar-nail Singh Bhindranwale überspannte den Bogen; religiös betrachtete er sich als Reinkarna-tion des letzten Guru, politisch erklärte er den heiligen Krieg für das nationale Selbstbestimmungsrecht der Sikhs. Der exterritoriale Tempelbezirk wurde in eine militärische Festung umgewandelt. Indira Gandhi sah die nationale Einheit bedroht und glaubte, aus Gründen der Staatsräson hart durchgreifen zu müssen.

Nicht nur die Sikhs nennen Gandhis Befehl zum Tempelsturm einen schweren politischen Fehler. Das Blutbad im Allerhei-ligsten der Sikhs, im Akal Takht, mit tausend Toten beiderseits, entfachte eine Welle religiöser Gewalt, der Indira selbst noch im selben Jahr durch Schüsse ihrer Sikh-Leibwache zum Opfer fiel.

Seither ist der Punjab nicht zur Ruhe gekommen. Die Fronten blieben verhärtet. Die Entweihung ihres Tempels machte die Sikhs unversöhnlicher denn je. Indiras Sohn und Nachfolger Rajiv Gandhi sah sich im Mai 1987 veranlaßt, die Regierung der Unruhe-Provinz zu entlassen und diese direkt der Kontrolle Delhis zu unterstellen.

Dort hat im Grunde niemand ein Interesse daran, das vom Terrorismus geprägte Punjab-Bild zu entkräften. Im Gegenteil, re-, gierungsnahe Blätter bezichtigen militante Sikhs offen der Spionage für das Feindesland Pakistan.

Letztlich profitiert die Zentralregierung, die auch in anderen Landesteilen mit nicht gerade gewaltlosem Widerstand zu kämpfen hat, auch von den häufigen Zwistigkeiten der religiösen Führer. Die Konfrontation zwischen dem moderaten Darshan Singh Ragi und dem militanten Gurba-chan Singh Manochal im Goldenen Tempel lieferte monatelang Schlagzeilen.

Zudem verschaffen die Gewaltakte rivalisierender extremistischer Sikh-Gruppen Delhi ein Motiv zum Eingreifen. Die offizielle Propaganda tut ein übriges; was auch immer im Punjab geschieht, schuld sind die „Terrori-, sten“.

Nun aber gerät die Zentralregierung unter Druck. Unter dem geltenden „President's Rule“ wurde die Sikh-Partei Akali Dal ausgeschaltet und dieser Tage das Parlament aufgelöst. Doch Mitte Mai läuft die Direktverwaltung aus. Dann bedarf es einer Verfassungsänderung oder der Ausschreibung von Neuwahlen.

Gandhi muß handeln, um die aufmüpfige Provinz im Zaum zu halten. Er werde einen Friedensplan vorlegen, heißt es. In einer ersten Geste zur Beruhigung der Gemüter wurden jetzt fünf hohe Priester aus der Haft entlassen. Weitere Konzessionen sind zu erwarten.

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