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Terror mit „Qualität"

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Nichts ist furchterregender als gezielte Gewalt, die gleichwohl wie blinder Zufall zuzuschlagen scheint: In einem Streifenwagen werden mitten in Mailand drei Polizisten erschossen; in Palermo treffen den Parteivorsitzenden der sizilianischen Democrazia Cristiana auf dem Heimweg vom Kirchgang tödliche Kugeln; ein betriebswirtschaftliches Institut in Turin wird plötzlich überfallen, zehn Studenten und Dozenten liegen mit zerschossenen Beinen in ihrem Blut.

Drei besonders erschreckende Fälle der letzten Wochen - drei von über 2150 Terroranschlägen und Attentaten in Italien, bei denen während eines Jahres 40 Menschen getötet und 54 schwer verletzt wurden.

Vor fünf Jahren, als die Welle des Terrors einen ersten Höhepunkt erreichte, waren es „nur" 628 Gewalttaten in zwölf Monaten gewesen, die das Land beunruhigten. Doch nicht so sehr die wieder wachsenden Ziffern machen Italiens Terrorszene

zum besonders erregenden Schauplatz (in der Türkei etwa liegen die Zahlen um ein Vielfaches höher); es ist die „Qualität" dieser mörderischen Spirale:

In sie ist nicht nur die gesellschaftliche, wirtschaftliche und staatliche Dauerhse daatLanies verwickelt, sondern auf kaum entwirrbare Weise auch die aktuelle Führungskrise der großen Parteien und ihre Ohnmacht, regierungsfähige Mehrheiten zu bilden und überzeugende Reformkonzepte vorzulegen. Allzu nahe liegt die Versuchung, den Terror als Alibi, als Vorwand oder Rechtfertigung zu benutzen - sowohl für starre Machtbehauptung wie für radikalen Machtwechsel, für Grundsatztreue wie für Kompromißbereitschaft.

Als die „Roten Brigaden" im Frühjahr 1978 Aldo Moro entführten und ermordeten, sah es zunächst so aus, als hätten sie dadurch die Solidarisierung der großen Parteien und damit die Stabilisierung des Landes wider Willen gefördert. Die innenpolitische Entwicklung der letzten eineinhalb Jahre zeigte jedoch, daß die Terroristen die langfristige Wirkung dieses bis heute spektakulärsten Attentats gar nicht so falsch errechnet hatten.

Mit dem christdemokratischen Parteipräsidenten verschwand nicht nur der Architekt des bislang aus-

sichtsreichsten Plans von der politischen Bühne, den Italokommunis-mus durch Einbindung zu zähmen und Italiens Demokratie funktionsfähig zu machen; der Mord an Moro, der untergründig weiterschwelende Streit, ob er nicht vermeidbar gewesen wäre, ob die Regierung den Forderungen der Entführer nicht hätte nachgeben sollen, die Jagd nach den Tätern und ihren Hintermännern haben seitdem das innenpolitische Klima, aber auch das Verhalten der Parteien und des Staatsapparats wesentlich bestimmt.

Die Terroristen, deren Organisationen unter den verschiedensten Namen aktiv bleiben, nahmen danach nicht mehr Spitzenpolitiker

aufs Korn. Das hatte seinen Grund nicht nur darin, daß diese seit Moro besser geschützt sind; Attentate auf Richter, Polizisten, Journalisten, Fabriksdirektoren, Parteifunktionäre verstärken vielmehr das Gefühl der allgemeinen Unsicherheit, den Groll gegen den ohnmächtigen und den Ruf nach dem starken Staat, sie vergrößern die Polarisierung und Einschüchterung. Eine Folge dieser Berechnung dürfte sein, daß es den Sicherheitskräften, zumal den Karabi-nieri, an Nachwuchs fehlt: 13.000 Planstellen sind unbesetzt.

Aber es gibt auch ganz andere Folgen. Unter dem Kommando des forschen Generals Dalla Chiesa ist die Polizei in letzter Zeit sehr viel aktiver, rigoroser und fündiger geworden. Was zunächst nur eine naheliegende Arbeitshypothese war, erweist sich immer mehr als greifbare Tatsache: Der Terrorismus in Italien rekrutiert mehr als irgendwo sonst seine Aktivisten unter Zehntausenden von Umsturzideologen und Rechten.

Gleichzeitig hat sich herausgestellt, daß hier die Grenze zwischen Theorie und Praxis, damit auch zwischen „Meinungsdelikt" und krimineller Tat, oft verschwommen, ja unsichtbar ist. „Einer Angriffsaktion, die roter Terror sein muß, gelingt es entweder, sich dialektisch mit der Arbeitermacht zu verbinden, oder sie riskiert, ein isoliertes Faktum zu bleiben..."

Wer solche „akademischen" Ergüsse jenes Professors Toni Negri nachliest, der jetzt, schwer belastet auch von einem eigenen Genossen, als Zentralfigur und „Gehirn" der Roten Brigaden angeklagt ist, wird noch hellhöriger, wenn er dann das Töhband eines aufgezeichneten Telefongesprächs zwischen einem Terroristen und Frau Moro mit der Stimmprobe Negris vergleicht.

Da wird angekündigt, die „Vollstreckung des Todesurteils" an Moro

aufzuschieben, wenn die christdemokratische Parteiführung mit den Roten Brigaden verhandle; die Stimme ist der Negris verblüffend ähnlich. Zur Verurteilung vor Gericht wird dies aber schwerlich ausreichen, wenn die Verhaftungen der vergangenen Wochen nicht andere Indizien zutage gefördert haben.

Erschwert wird jede Durchleuchtung der Terrorszene auch dadurch, daß es mancherlei Kontakte zwischen Extremistengruppen, legalen wie illegalen, und manchem honorigen, aber vielleicht naiven Parlamentarier, Staatsfunktionär, Wirtschaftskapitän oder sogar weniger honorigen, aber unpolitischen Mafiaboß gab. Solche Zwielichtigkeiten und Verfilzungen, die in Italien stets neuralgische Punkte der Innenpolitik berühren, fördern die Tendenz zur Mystifizierung oder auch zur Scheinnationalisierung des Terrorismus.

Die Presse, die in Italien vorwiegend Intellektuelle anspricht, garniert jede Gewalttat mit vielen soziologischen und ideologischen Klugheiten. Denn nur selten läßt sich ein Sachverhalt so dingfest machen wie bei dem Gewaltideologen Pifano, der mit einer sowjetischen Bodenrakete im Auto erwischt wurde.

Ob eine „ausländische" Zentrale den italienischen Terrorismus steuert, wie jetzt sogar Staatspräsident Pertini öffentlich vermutet, wird man kaum aufklären können - vielleicht auch gar nicht wollen; ohne die „hausgemachten" Voraussetzungen müßte der Terror jedenfalls politisch ins Leere schlagen.

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