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Terror - oder Völkerrecht

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Die Befreiung der Geiseln in Entebbe kann ein wichtiger Wendepunkt im Kampf gegen den weltweiten Terror sein. Unbestritten wind das Beispiel der Israelis Ermutigung für jene Regierungen in aller Welt — vor allem aber in Europa — sein, die die Bekämpfung des Terrorismus mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln jetzt für ein Gebot der Stunde halten. Und auch die Terroristen — seien es Palästinenser oder europäische Desperados — mögen sich klar geworden sein, daß ihr Einsatz immer auch den Einsatz ihres eigenen Lebens bedeutet.

Die Affäre hat nun eine andere Dimension erhalten, seit sich die Dritte Welt — und für sie — UNO-Generalsekretär Waldheim auf das Völkerrecht berufen, das durch den Überfall der Israelis in Entebbe verletzt wurde.

Die Rolle des Völkerrechts hat im Laufe der letzten Jahrzehnte stark an Bedeutung gewonnen. Die Erarbeitung von Normen für die Beziehungen zivilisierter Staaten war von der Notwendigkeit wachsender internationaler Dependenz gekennzeichnet. Schon der Völkerbund, vor allem aber die Vereinten Nationen, die zahlreichen Spezialorganisationen und die vielen regionalen Organisationen (vom Buroparat bis zur Organisation Afrikanischer Einheit) haben ein dichtes Netzwerk rechtlicher Beziehungen 'geschaffen; freiwillig befolgte maai schon deshalb eingegangene Verpflichtungen und Vorschriften, um nicht der Vorteile internationaler Reputation verlustig zu gehen; überhaupt dann, wenn — wie bei vielen Entwicklungsländern — mit der gelegentlichen Mühe, die solche Normen auf lasten, auch noch Vorteile der Entwicklungshilfe und billiger Kredite einhergeihen. Tatsache ist: das Völkerrecht ist nie ein geliebtes Kind der Regierungen rund um den Erdball gewesen — aber es war zweckmäßig und cft mehr als notwendig.

Dieses Völkerrecht wurde aber nicht erst am vergangenen Sonntag in Entebbe verletzt Es wird laufend, stündlich verletzt. Man muß nur die letzten Monate Revue passieren lassen, um die ständige Mißachtung dieses nicht verpflichtenden und nicht sanktionierbaren Rechts zu erkennen:

• Die Invasion Nondvietnaims mit der endgültigen De-facto-Einverlei-bung des Südens Vietnams war der letzte spektakulärste Bruch mit dem Völkerrecht und diversen internationalen Vereinbarungen.

• Die Behandiliung der PLO als „Staat“ und ihres Führers Jassir Arafat als; ,,Regienungscbef“ wurde mit einem Mehrheitsbeschluß der UNO vollzogen — unter eklatanter Mißachtung völkerrechtlicher Grundsätze.

• Mit Mehrheit setzte sich die UNO auch immer dann über Völkerrechtsnormen hinweg, wenn diese Israel oder Südafrika schützten; das ging soweit, Südafrika geradezu als „Nichtstaat“ zu betrachten. Das Ansinnen, den von der UNO geschaffenen Juldensitaat aus der Weltorganisation überhaupt auszuschließen, spricht ja auch für sich.

• Auch in Angola wurde das Völkerrecht durch den Einsatz fremder Soldaten — im speziellen Fall von Kubanern und Sowjets, eklatant verletzt. Die Banmung jeglicher Kano-nenlbootpolitik war ja nicht zuletzt der Motor für die Schaffung vieler

neuerer völkerrechtlicher Bestimmungen.

• Der Einmarsch syrischer Truppen in den Libanon war nur der letzte Verstoß gegen die Scuveränitatsbe-stimmungen des Völkerrechts.

Aus all dem geht eindeutig hervor, daß das Völkerrecht dort seine Wirkung verliert, wo es nicht freiwillig anerkannt wird. Das Völkerrecht ist — mangels Sanktionen — so lange etwas wert, als zivilisierte Beziehungen zwischen Völkern herrschen. Die Durchbrechung macht aus dem wohlgefonmten Verträgen und Übereinkünften, Rechtssätzen und Normen Fetzen von Papier.

Nun haben die Israelis ihre Aktion mit einer Art von Notwehrrecht entschuldigt. Sie seien — ebenso wie zahlreiche westliche Regierungen — seit Jahren Opfer der Erpressung von Terroristen, die sich auf eine politische Bewegung berufen, der die UNO ofiizAeilen Charakter zugesprochen hat. Geht man nach der Nomenklatur der UNO nämlich logisch vor, dann erpreßt der „Staat“ PLO laufend andere Staaten durch direkte Eingriffe in deren Hoheitsrechte. Und Israel hat demnach auf diese — völkerrechtswidrigen — Repressalien der Geiselnahme ur.d der Erpressung — gleichfalls durch eine entsprechende Repressalie geantwortet.

Solche juristische Spitzfindigkeit macht allerdings das Problem nicht leichter lösbar.. Weil es iiämilich — grob gesprochen — zwei Formeln gibt, unter denen dar Völkerrecht in der Weit gesehen wind: unter einer opportunistischen — und einer ideologischen.

Die demokratischen Staaten des Westens seihen sich bei der Anwendung des Völkerrechts von der eigenen Öffentlichkeit kontrolliert; und ihr hoher technologischer Standard sowie ihre starke Abhängigkeit vom Welthandel lassen es ihnen sinnvoll erscheinen, sich positiv zum Völkerrecht au • verhalten. „Pacta sunt servanda“ ist zu einer — weitgehend — substantiellen Grundlage der internationalen Politik des Westens geworden.

Sowohl die kommunistischen als auch die jungen nationalistischen Regime in aller Welt seihen sich hingegen als Vollstrecker ideologischer oder nationaler Aufgaben. Für sie kann das Völkerrecht daher auch logischerweise nur soweit sinnvoll sein, als es ihrem ideologischen Kampf und Auftrag dienlich und nützlich ist. So ist zum Beispiel für die Sowjets die völkerrechtliche Neutralität eines Landes auch nur so lange beachtenswert, als im Rahmen einer sozialistischen Weltstrategie neutrale Staaten einen gewissen politischen Nutzwert darstellen. Das Völkerrecht ist der Diener der Politik — und dicht die Grundlage.

Reden sozialistische Regierungen mit demokratischen 'über das Völkerrecht, dann meinen beide etwas anderes. Und spricht Marschall Idi Amin darüber, dann meint er etwas anderes als ein Völkerrechtsprofssor in Westeuropa oder der Generalsekretär der Vereinten Nationen.

Man sollte das bedenken, wenn man mit der roten und der dritten Welt an einen Tisch sitzt. Machtpolitik und weltweiter Klassenkampf sind heute die eigentlichen Zündkapseln auf diesem explosiven Planeten» Und wenn man den Zündlern gelegentlich vor Augen führt, daß auch sie in die Luft gehen können, dann imag das für sie lehrreich sein.

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