6873417-1978_34_08.jpg
Digital In Arbeit

Terror wirkt wie eine Lawine

19451960198020002020

Wo liegen die Ursachen des Terrors? Wie konnte der Terrorismus jetzt und hier, unter uns, gleichsam inmitten unserer eigenen Kinder hochkommen? Diese Frage beschäftigt heute, angesichts der Terroraktionen des letzten Jahrzehntes, in der Bundesrepublik Deutschland bereits einen eigenen Zweig wissenschaftlicher Arbeit - die Terrorforschung. Die Psychologin Dr. Wanda von Baeyer-Katte (Heidelberg) analysiert die psychologische Ausgangsbasis.

19451960198020002020

Wo liegen die Ursachen des Terrors? Wie konnte der Terrorismus jetzt und hier, unter uns, gleichsam inmitten unserer eigenen Kinder hochkommen? Diese Frage beschäftigt heute, angesichts der Terroraktionen des letzten Jahrzehntes, in der Bundesrepublik Deutschland bereits einen eigenen Zweig wissenschaftlicher Arbeit - die Terrorforschung. Die Psychologin Dr. Wanda von Baeyer-Katte (Heidelberg) analysiert die psychologische Ausgangsbasis.

Werbung
Werbung
Werbung

In welchen Formen kann Terrorismus überhaupt - transkulturell, transepochal - auftreten? Terrorismusphasen kennt die Geschichte der ganzen Welt, nicht etwa nur Europa. Als Motive geben die Terroristen je nach Zeit, Kultur und Ideologie oder Glaubensrichtung verschiedene Ursachen an. Es ist aber immer Terror, was sie ausüben. Es sind immer die gleichen Grundmuster des Verhaltens: die Negierung, die Nichtbeachtung der üblichen und kulturspezifisch vorgegebenen normativen Grundmuster des Verhaltens. In Rechtsstaaten verläßt der Terrorist die Regeln, die auch bei kontroversen Interaktionen zu gelten haben. \

Interaktionen im Rechtsstaat sind immer Austausch auf der Ebene der gleichberechtigten Gegenseitigkeit. An ihre Stelle treten die terroristischen Monoaktionen: unvorhersehbare einseitige Gewalttaten. Ihnen entspricht der Terroristenmonolog. In der Auseinandersetzung gilt bei den Terroristen nur: völlige Unterwerfung des Standpunktes des Gegners. Dieser hat immer Unrecht, auch in allen Einzelaussagen, denn er hat das ,sfalsche Bewußtsein“. - .suarti;

Das Terrorverhalten drückt sich dementsprechend nur durch unvorhersehbare Einbrüche in die normale

Situation aus. Es sind systemfremde Eingriffe von außen. Beispiel: In einem Verkehrsmittel detoniert eine

Bombe und verletzt Fahrgäste. Oder: Die Mehrheit einer Bevölkerung hat einen Repräsentanten gewählt - er wird von einer verschwindenden Minderheit gekidnappt und ermordet. Zwischen der gegebenen Situation und den Handlungen der Terroristen fehlt jeder Zusammenhang.

Für Terroristen gilt kein Kriegsrecht

Meinungsgegner, die eine geistige Auseinandersetzung suchen, handeln so nicht. Auch unter Feinden, im Kriegsfall, ist der Kriegsschauplatz vom zivilen Leben getrennt oder sollte es wenigstens sein; beide Teile sind bewaffnet und auf die Anwendung der Gewaltmittel eingestellt. Zudem gilt Kriegsrecht als eine von beiden Seiten angenommene Kriegskonvention. Die Situation ist für beide Seiten gleichartig bestimmt. Terror ist also weder Krieg, noch meinungspolitische Auseinandersetzung. Er ist ein Vorgang mit eigenen, unverwechselbaren Kennzeichen.

Der Terror unserer Tage arbeitet nach dem Typus des Fanals: Eine Terrorform, die häufig zu Beginn von Umsturzversuchen auftritt. Auch Gewaltphasen nach revolutionären Prozessen oder die Ausschreitungen von Anhängern militanter politischer Heilslehren oder Guerilla-Unternehmen sind Terrorformen.

Ihnen allen ist gemeinsam: Die Opfer sind nur im Sinne der Terrorideologie „Schuldige“. De facto - im Urteil der Geschichte - sind es Pseudogegner. Je deutlicher in der Verfolgungswelle selbst die faktische persönliche Schuldlosigkeit des einzelnen hinter den beschuldigten Terrorideologie hervorleuchtet, umso größer ist der Schrecken und die einschüchtemde Wirkung. Die Opfer erscheinen wie Preisgegebene. Die Macht der Terroristen ihnen gegenüber erscheint in ih rer ganzen zufälligen und unbegründeten Furchtbarkeit.

Die Terrorideologie muß zwar für die Bevölkerung das Motiv für die Unterwerfung liefern, sie darf also nicht völlig im Zynismus untergehen. Aber je deutlicher es wird, daß diese Terrorideologie nur ein Vorwand ist, daß praktisch eigentlich jeder willkürlich bedroht ist, umso stärker ist die Angst und der Schrecken.

Es scheint so, als ob diese Schrek- kenswirkung vor allem als Fanalwirkung vereinzelter Aktionen auf Jugendliche einen anderen Eindruck macht als auf die ältere, beruflich und weltanschaulich gefestigte Generation. Bei Jugendlichen, vor allem in der Vorpubertät und in Reifekrisen, kann der Impuls erwachen, mitzumachen. Die Attraktion ist nur politisch überformt, es handelt sich im Grunde um die allbekannten Reizwirkungen der Räuberromantik. Heute heißt das „Untergrund“, „Konspiration“ und „Logistik“.

Der vernünftige Erwachsene hat vor allem den Wunsch, nicht zufällig Betroffener zu sein. Bilden sich aber erst am eigenen Ort Nachahmer-Banden mit gewalttätigen Aktionen, dann wächst die Bedrohungsempfindlichkeit der Erwachsenen noch stärker an.

Als die Nationalsozialisten jeden, der gegen die Judenverfolgung auftrat, als einen „Judenhörigen“ mitbedrohten, übernahmen viele Verängstigte oder Gleichgültige die Sprache des Antisemitismus. Der zunächst nur verbalen Gleichschaltung folgte in vielen Fällen dann auch eine innere Verunsicherung. Ständig anders zu reden, als man wirklich denkt, ist nur von sehr bewußt lebenden Personen langfristig durchführbar. Terrorismus als Fanal bewirkt teils Attraktivität, teils Unterwerfung.

Diese Femwirkung entwickelt der Terror zu allen Zeiten und unter den wechselnden kulturellen und sozialen Verhältnissen. Dies ist der Terrorforschung auch bekannt, insbesondere ist es den Terroristen selbst bekannt: In ihren Schriften beziehen sie sich darauf. Schon Lenin sprach von der Femwirkung des „exzitatorischen Terrors“, den die heutigen Terroristen ihren „agitorischen Terror“ nennen. Lenin lehnte diese Begleiterscheinung der Revolution ab. Er hielt nichts von der Wirkung des einzelnen Fanals, und er hatte, auch von seiner Sicht aus gesehen, recht. Denn die schuldlosen Opfer, die von sich selbst wissen und von denen die Umwelt weiß, daß sie nur herausgegriffen wurden, weil sie einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen und weil deswegen ihre Femwirkung als besonders hoch eingeschätzt wird oder aber weil sie eben zufällig erreichbar waren, diese unschuldigen Opfer bringen das Vorhaben der Revolution in Mißkredit. Sie wirken immer gegen die Terrorabsicht, auch wenn kurzfristig der Schrecken, der von diesen Taten ausgeht, augenfälliger in Erscheinung tritt. Langfristig ist der Zynismus der Terroristen entlarvt. Denn es zeigt sich, daß es ihnen um die Macht geht und um den Umsturz und nicht um die

Menschen, mit denen sie es zu tun haben. Wer unter humaner Begründung, also um einer besseren sozialen Gerechtigkeit willen, inhuman handelt, hat seine Humanität total in Frage gestellt.

Die Terroristen machen uns den Vorwurf der Inhumanität. Sie bezeichnen unseren Lebenszustand als den blutrünstigsten und inhumansten, den der Kapitalismus je hervorgebracht habe. Die Bevölkerung in allen Staaten des „Kapitalismus“ bejaht jedoch ihre Staatsform. Die Mehrheit wünscht zwar Veränderungen und Verbesserungen, aber keinen revolutionären Umsturz. Es ist also offenkundig, daß die Inhumanität, die die Terroristen praktizieren, gegen die Wünsche und die wahren Bedürfnisse der Bevölkerung gerichtet ist. Dementsprechend werfen die anderen ebenfalls revolutionär gesinnten „K- Gruppen“ - Linksextreme verschiedener Herkunft - in der Bundesrepublik Deutschland bisweilen den Terroristen vor, sie hätten nur aus bürgerli chen Rachegelüsten gehandelt Dies ist sicher nicht richtig. Die Terroristen handeln aus ideologischem Fanatismus. Ihre subjektive Motivation wird aber unglaubwürdig, sobald sie ihre Opfer unter persönlich Schuldlosen willkürlich heraus greifen. Sobald Fanatismus in Zynismus und Menschenverachtung umschlägt, ist er keine ideale Gesinnung mehr, sondern Verbrechen.

Ohne Zusammenhang mit dem Willen der Bevölkerung, mit den individuellen Situationen ihrer Opfer, mit der Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft handelt der Terrorismus als systemfremder, zerstörerischer Eingriff von außen. Er antwortet auf keinen politischen Zusammenhang, sonr dem er isoliert sich von der Realität seiner Mitmenschen ebenso wie von deren Willensbildung. Allenfalls werden noch die „Aufstände der Dritten Welt? als angeblich „objektive Anlässe“ hpchstilisiert und als ein abstrakter Ersatz für Klassenkampf eingeführt.

Ist noch ein Gesprächmöglich?

Sie denken und handeln außerhalb des Kontextes unserer geistigen Entwicklung. Es wäre trotzdem gut, wenn man mit ihnen reden könnte. Die Hoffnung, Irrtümer mit klaren Worten und gutem Willen aufzuhellen, sollte man nie aufgeben. Aber wer kennt schon einen Terroristen? Sie leben und handeln so sehr in Isolierung, daß unsere Worte nie an sie herankommen. Sie wenden sich ihrerseits auch nicht an uns. Vielleicht sind wir für sie keine Menschen mehr.

Aber die Femwirkung des Fanals ist stärker als alle verbalisierte Ideologie, falls sie eine verunsicherte Jugend trifft. Der Pubertierende, der Jugendliche in der Reifekrise ist ein potentieller Bewunderer der Gewalt. Dies kann ausgenutzt und durch Entfremdung vom Elternhaus verstärkt werden.

Es gibt heute viele Vorgänge, die das Unverständnis zwischen den Generationen vertiefen. Notwendig ist, der Jugend zu verdeutlichen, daß unsere Gesellschaftsordnung mehr für die Humanisierung der Gegenwart getan hat als jede andere, und daß die Wirtschaftskraft unseres Wirtschaftssystems besser geeignet ist, für die Probleme der Dritten Welt Lösungen herbeizuführen, als jedes andere. Für uns selbst und für die Dritte Welt - in beiden Hinsichten bieten wir das ethisch und technisch bessere System. Die „Ausbeutung“ ist in anderen Systemen ebenso enthalten, aber versteckt und nicht durch Gesetzgebung und Öffentlichkeit kontrolliert

Terror gewinnt seine Attraktivität nicht durch seine Ideologie, denn diese ist irreal. Er gewinnt durch die Femwirkung des Fanals auf potentielle junge Fanatiker. Die Bösartigkeit und die Sinnlosigkeit des Terrors ist ihnen nicht unbekannt. Sie reizt trotzdem das Abenteuer. Terror ist wie eine Lawine; eigengesetzlich verstärkt er sich, alle wissen, daß er nur Zerstörung bringt, aber er reißt immer mehr mit sich fort.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung