6989135-1986_38_15.jpg
Digital In Arbeit

Test für 725 MW

19451960198020002020

Der Kraftwerksgigant im Tullnerfeld gilt als der umweltfreundlichste Stromerzeuger seiner Bauart. Ein Drittel der Errichtungskosten floß jedenfalls in Anlagen zur - nur unvollständigen - Schadstoffreduzierung.

19451960198020002020

Der Kraftwerksgigant im Tullnerfeld gilt als der umweltfreundlichste Stromerzeuger seiner Bauart. Ein Drittel der Errichtungskosten floß jedenfalls in Anlagen zur - nur unvollständigen - Schadstoffreduzierung.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie ein riesiger Zeigefinger ragt er aus den Zuckerrüben- und Kukuruzfeldern des Tullnerf eldes. Imposante 210 Meter hoch ist der Turm des Kohlekraftwerkes Dürnrohr, von dem es heißt, es sei das modernste und umweltfreundlichste seiner Bauart.

Errichtet wurde der Gigant aus Stahl und Beton zweifellos aufwendig und teuer. Zwölf Milliarden Schilling verschlang der Ersatz für Zwentendorf, ein Drittel schluckten allein die technischen Einrichtungen zur Erfüllung der Umweltschutzauflagen.

Als nach dem Aus für ein österreichisches Kernkraftwerk die E-Wirtschaft mit der Planung Dürnrohrs begann, waren die Unkenrufe von Umweltschützern über Waldsterben und sauren Regen für Kraftwerksbauer noch kein Grund für schlaflose Nächte. Dementsprechend schubweise wurden auch nach zähem Ringen mit Anrainern, lokalen Umweltschutzinitiativen, grünen VolksVertretern und dem entsprechenden Medienrummel erst die Umweltschutzauflagen für Dürnrohr in die Höhe geschraubt.

Heute allerdings pilgern ganze Delegationen Kraftwerksbauer, Firmen und Schulklassen in das Tullnerfeld, um sich das Musterkraftwerk präsentieren zu lassen.

Was sie zu sehen bekommen, ist tatsächlich beeindruckend. 725 Megawatt beträgt die Kapazität Dürnrohrs. Das Kraftwerk könnte in Spitzenzeiten allein zehn Prozent des österreichischen Strombedarfes decken. Jährlich werden 1.500 Gigawattstunden erzeugt, die die Hersteller 1,30 Schilling pro Kilowattstunde kosten.

Die beiden Eigentümer Verbundgesellschaft und NEWAG produzieren zwar mit je einem eigenen Kraftwerksblock Strom, die technischen Einrichtungen benutzen sie gemeinsam.

Funktionieren wird Dürnrohr so: Täglich rollen drei bis vier Eisenbahnzüge mit je 27 Spezial-waggons zu den Kohlenhalden des Kraftwerkes und werden vollautomatisch entladen. Ebenfalls vollautomatisch kommt die Kohle auf einem Förderband in eine Mühle, wo sie zu feinstem Staub zermahlen und in die Kesselanlagen geblasen wird.

Ein hochmoderner Brenner soll dafür sorgen, daß von vornherein wenig Stickoxide bei der Verteuerung der ohnehin schwefelarmen, zur Gänze aus Polen bezogenen Kohle entstehen. Der teilweise entstickte Rauch passiert in der Folge japanische, 125 Millionen Schilling teure Katalysatoren. Spezielle Elektrofilter halten den Kohlestaub zurück. Eine dänische Rauchgasentschwefelungsanlage wird den Plänen entsprechend danach das im Rauchgas enthaltene Schwefeldioxid um maximal 90 Prozent reduzieren.

Dabei werden die Rauchgase durch einen Nebel aus zerstäubter Kalkmilch geschickt. Zurück bleibt im Schlot eine Mischung aus Kalk “und Flugasche.

Für diese Rückstände der Entschwefelung“ interessieren sich laut Verbundgesellschaft bereits die Baustoff- und die chemische Industrie. Die Dürnrohrrückstän-de können, so heißt es, als hochwertiges Baumaterial verwendet werden.

Für die Zwischenlagerung dieses Abfallproduktes wurden in Dürnrohr 70.000 Quadratmeter Boden mit Spezialfolien ausgelegt und abgedichtet. Probebrunnen sollen den Chemikern auch permanent Gewißheit über die Dichtheit des Zwischenlagers und Sicherung des Grundwassers geben.

Wenn die — falls alles funktioniert — großteils entstickten und entschwefelten Rauchgase den Schornstein des Kraftwerkes endgültig verlassen, werden sie von automatischen Meßstellen erfaßt und außerdem mit einem ungiftigen Gas „markiert“.

Ein Meßsystem aus sieben Immissionsstellen in der Umgebung des Kraftwerkes nimmt ebenfalls automatisch Luftproben und leitet sie an einen Computer zur Auswertung weiter. Durch die Markierung mit Gas kann mit Hilfe hochempfindlicher Meßgeräte die effektive Schadstoffbelastung, die Dürnrohr verursacht, gemessen werden.

Werden die behördlich festgelegten Grenzwerte überschritten, muß das Kraftwerk seine Leistung entsprechend drosseln.

Auch Pflanzen wachen über die Umwelt Dürnrohrs. In drei von den erwähnten sieben Meßstellen wird in einer Art Plastikzelt das Wachstum von hochempfindlichen Gewächsen beobachtet, die besonders schnell auf schlechter werdende Umweltbedingungen reagieren.

Auch für einen möglichen Ausfall der Primärenergie Kohle wollen die Kraftwerksherren gerüstet sein. Derzeit wird eine riesige Kohlenhalde aufgeschichtet Das Ziel: Bedarfsdeckung für zwei Jahre, das sind zwei Millionen Tonnen polnischer Kohle.

So ausgestattet und ausgerüstet müßte Dürnrohr eigentlich wirklich seinem Ruf als modernst ausgestattetes Kohlekraftwerk Europas gerecht werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung