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Testwahl für Mitterrand

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Die Hälfte der französischen Bevölkerung wird am 10. März zur Wahlurne gerufen. Alle drei Jahre muß die Hälfte der Abgeordneten der Generalräte, der für die Verwaltung der Departements zuständigen parlamentarischen Versammlungen, erneuert werden. Auf dem Spiele stehen rund 2.000 Mandate. Anwendung findet das Mehrheitswahlrecht, wonach im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erforderlich ist. Sonst findet eine Stichwahl statt. In ihr genügt die relative Mehrheit.

Im allgemeinen schwankt bei diesen lokalen Abstimmungen die Beteiligung zwischen 55 und 65 Prozent. Die häufig im Vordergrund stehenden lokalen Erwägungen waren bisher nicht allzu mobilisierend. Allerdings besitzen seit der Dezentralisierung die Generalräte vermehrte Befugnisse.

Diesmal ist außerdem die Wahl ein politischer Test, denn sie gestattet Rückschlüsse auf das Gewicht der Linken und der Opposition. Deshalb wird der Wahlkampf sehr intensiv und mit politischen Argumenten geführt. Die Spitzenpolitiker der Parteien reisen durch das Land, um vor allem dort, wo die bisherigen Mehrheiten auf dem Spiele stehen, ihre Kandidaten kräftig zu unterstützen.

Die Sozialisten wissen, daß sie größere Verluste nicht vermeiden können. Der Vergleich mit den Ergebnissen der letzten Wahl 1979 ist für sie unglücklich, denn damals hatten sie einen Höhepunkt erreicht, als Vorbote des Sieges Mitterrands in der Präsidentenwahl 1981. Ihr Ziel ist es, ihren Anhängern verständlich zu machen. daß sie nicht aus Enttäuschung über die Regierungspolitik zu Hause bleiben dürfen, um so ihren Niedergang in politisch tragbaren Grenzen zu halten.

Ein massiver Stimmenverlust hätte wahrscheinlich ungünstige psychologische Auswirkungen auf die Parlamentswahl im März 1986, worin nicht nur die kleine politische Welt, sondern auch die breite Öffentlichkeit schon jetzt einen Wendepunkt sieht.

Mit einem Gefühl der Unsicherheit erwarten auch die Kommunisten den Spruch des Volkes. Sie hoffen natürlich, daß ihnen die Rückkehr zu einem eindeutig oppositionellen und revolutionär angehauchten Kurs Auftrieb gibt und ein Teil der sozialistischen Wähler in ihr Lager übergeht.

Im Gegensatz zu den Sozialisten ist für sie ein Stimmengewinn nicht ausgeschlossen, zwar nicht gegenüber der Wahl von 1979, als sie den Wind noch einigermaßen gut in den Segeln hatten, wohl aber gegenüber ihrem Tiefstand von rund elf Prozent in der Europawahl 1984. Eine jüngste Meinungsbefragung verspricht ihnen 13 Prozent der Stimmen.

Aufschlußreich ist ferner das Verhalten der Linkswähler in der Stichwahl. Es entsprach stets der sogenannten republikanischen Tradition, daß sich hierbei die Kommunisten und die Sozialisten gegenseitig unterstützten. Diesmal wird es aber keine offiziellen Vereinbarungen in diesem Sinne zwischen den Spitzengremien der Parteien geben.

Lediglich im lokalen Rahmen sind Absprachen möglich. Die Sozialisten glauben, mit den vernünftigen Reaktionen eines großen Teiles der kommunistischen Wähler rechnen zu können, die Bereitschaft der Sozialisten, für einen Kommunisten zu stimmen, ist jedoch weit geringer. Die Linke wird infolge ihrer unverkennbaren Spaltung fühlbare Mandatsverluste kaum vermeiden können.

Mit Sorge beobachten alle politischen Parteien die Entwicklung der äußersten Rechten, der Nationalen Front von Le Pen. Sie beschloß, überall mit eigenen Kandidaten aufzutreten. Das Mehrheitswahlrecht läßt ihr jedoch nur eine geringe Chance.

Die demokratischen Oppositionsparteien lehnen es auf nationaler Ebene ab, mit Le Pen irgendeinen Handel abzuschließen, im lokalen Rahmen gelten jedoch einige Vereinbarungen als möglich. Die Folge hiervon wäre der Einzug einer sehr geringen Zahl von Anhängern Le Pens in einige Generalräte des Mittelmeerraumes.

Nur ein Zwischenakt

Das Interesse gilt vor allem dem Stimmanteil der äußersten Rechten. Er liegt zur Zeit in den Meinungsbefragungen bei 9 Prozent. Die von den Sozialisten gestartete Propagandaaktion gegen diese unerfreuliche Bewegung könnte zu ihrer Aufwertung führen. Bis auf weiteres muß man damit rechnen, daß aus widersprüchlichen Gründen rund 10 Prozent der Franzosen bereit sind, vorläufig der politischen Vernunft den Rük-ken zu kehren.

Die demokratische Opposition bildet eine geschlossene Einheitsfront. Die beiden sie tragenden großen Parteien, die Gaullisten und die Union für die Französische Demokratie (UDF), werden ergänzt durch kleinere konservative Gruppen. Zusammen erreichen sie, stets nach den jüngsten Meinungsbefragungen, einen Stimmanteil von 49 Prozent, der ihnen selbst beim Ubergang zum Proportionalwahlrecht mit der dann als gewiß geltenden Mindestgrenze von 5 Prozent die absolute Mehrheit im Parlament sichern würde.

Trotz ihres Testwertes ist die bevorzustehende Lokalwahl für die politischen Kreise nur ein Zwischenakt. Ihr Interesse konzentriert sich voll und ganz auf die Erneuerung des Parlaments in einem Jahr. Das Mehrheitswahlrecht würde nach der jetzigen Einstellung der öffentlichen Meinung der Linken nur etwa ein Fünftel der Mandate belassen.

Ein derartiger Zustand wäre für Mitterrand als Präsident untragbar, daher sein Bestreben, den drohenden Rückschlag so weitgehend wie nur möglich zu lindern. Ein Mittel hierfür ist ein neues Wahlsystem, dessen Einzelheiten in Kenntnis des Ergebnisses der bevorstehenden Lokalwahl festgelegt werden sollen. Sicher ist bereits, daß die Regierung den Sprung in das reine Proportionalsystem nicht wagen wird, weil sie sich damit dem Vorwurf aussetzen würde, die Stabilität des Landes ernstlich zu erschüttern.

Eine derartige Reform könnte sich daher als Bumerang erweisen. Es ist lediglich von einer Dosis Proportionalität die Rede, wobei man daran denkt, den größeren Teil der Abgeordneten nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmen zu lassen und einen kleineren Teil in Anwendung des Proportionalsystems.

Mitterrand rechnet andererseits mit seinem persönlichen Prestige, damit im entscheidenden Augenblick die Sozialisten die unentschlossenen Franzosen für sich mobilisieren können, weil sie, wie er vermutet, den ihm von der Opposition immer gröber nahegelegten vorzeitigen Rücktritt nicht wünschen. Dann könnte er versuchen, mit einer neuen Mehrheit bis zum Ende seines Mandats 1988 weiter zu regieren.

Allein auf weiter Flur

Die Opposition würde jedoch, was sie nicht verkennt, eine Zusammenarbeit mit Mitterrand um die psychologische Schockwirkung des Wechsels bringen, so daß es ihr infolge mangelndem Vertrauens nicht gelingen könnte, das wirtschaftliche Tief zu überwinden.

Inzwischen stehen die Sozialisten allein auf weiter Flur. Die Kommunisten kritisieren tagaus tagein erbarmungslos den Staatschef und seine Regierung. Die linke Mitte, auf die sich Mitterrand gerne stützen möchte, besteht nur aus Splittergruppen, die es insgesamt unter günstigen Bedingungen einschließlich der Umweltverteidiger lediglich auf 5 Prozent bringen dürften.

Es ist nicht einfach, ein Land zu regieren, wenn man sich lediglich auf etwa ein Viertel der Wähler zu stützen vermag. Unter diesen Umständen wäre eine Tendenzwende fast ein Wunder.

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