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Testwahl in SPD-Hochburg

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Am kommenden Sonntag, dem 12. Mai, finden die entscheidendsten „Zwischenwahlen” in der Bundesrepublik statt. Es geht um die Zusammensetzung des Landtages des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen und damit auch um die Entscheidung, wer dort Ministerpräsident wird. Diese Wahlen haben nicht nur landespolitische, sondern auch große bundespolitische Bedeutung, da sie ungefähr in der zeitlichen Mitte der Legislaturperiode des Bundestages liegen.

Das sogenannte „Bindestrich-Land” Nordrhein-Westfalen ist eine Schöpfung der britischen Besatzungsmacht des Jahres 1946. Es wurde aus dem nördlichen Teil der ehemaligen preußischen Rheinprovinz (Regierungsbezirke Köln und Düsseldorf), der preußischen Provinz Westfalen (in deren westlichem Teil das Ruhr-Gebiet liegt) und dem Land (ehemals Fürstentum) Lippe (Detmold) gebildet.

Bei der Gründung der Bundesrepublik und im ersten Jahrzehnt des Wirtschaftswunders war Nordrhein-Westfalen durch seine Industriestruktur (Ruhr-Gebiet) zweifelsohne das wirtschaftlich stärkste Bundesland. Durch Rezession, Wirtschafts- und Strukturkrise wurde es im Laufe der letzten 20 Jahre von Süddeutschland (Bayern, Baden-Württemberg) eindeutig überholt.

Von den Flächenstaaten hat daher Nordrhein-Westfalen am stärksten unter der Arbeitslosigkeit zu leiden. Insoferne ist die kommende Landtagswahl auch ein Prüfstein für die Bundesregierung und deren wirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen.

Mit wenigen Ausnahmen stellte bis jetzt die SPD den Ministerpräsidenten, gegenwärtig Johannes Rau, zugleich stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Mit ihm besitzt die SPD einen optimalen Kandidaten. Er wirkt nicht nur sehr telegen und sympathisch, er hat es auch verstanden, sich aus den Flügelkämpfen der SPD herauszuhalten.

Aufgrund seiner Herkunft und seines Habitus ist er sicherlich nicht zum linken Flügel der Partei zu rechnen. Diese Umstände und der Bonus als Regierungschef machen sehr wahrscheinlich, daß die SPD stärkste Partei wird.

Die CDU hat es weitaus schwerer. Denn wie die allgemeine Erfahrung lehrt, hat es eine Regierungspartei bei Zwischenwahlen meistens schwerer. Dazu kommt, daß der CDU-Spitzenkandidat Bernhard Worms im Gegensatz zum amtierenden Ministerpräsidenten bieder wirkt und — wie Umfragen zeigen — auch nicht an die Sympathiewerte eines Johannes Rau herankommt. Daß die CDU die SPD überflügelt, damit rechnet keiner. Ein Halten beziehungsweise nur ein geringes Abbröckeln des Erfolges von 1981 wäre schon ein Gewinn.

Die FDP wurde vor vier Jahren aus dem Landtag herauskatapultiert. Die inzwischen stattgefundenen Wahlen (Bundestag, Europa, Kommunal) zeigten die FDP deutlich unter der 5-Prozent-Marke. Es mag daher wie ein Wunder aussehen, offenbar unter dem Eindruck des Erfolges in Berlin und im Saarland, daß alle Meinungsforschungsinstitute und politischen Beobachter der FDP um 5 Prozent liegen sehen, mit Tendenz nach oben. Ein Einzug der FDP wird wahrscheinlicher denn je.

Obwohl zum Zeitpunkt der letzten Landtagswahlen die Grünen bereits in einigen Landtagen saßen (Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen), schafften sie den Einzug nicht Bei den Bundestagswahlen, Kommunal- und Europawahlen schnitten sie in Nordrhein-Westfalen gut ab, jedoch bescheinigen ihnen die Meinungsforscher eine abnehmende Tendenz bei fünf Prozent. Ihr Nicht-Einzug wird wahrscheinlicher.

Durch verschiedene Aktionen (etwa den Brief der Fraktionssprecherinnen an inhaftierte Terroristen) haben die Grünen im ersten Quartal dieses Jahres einige Sympathie verloren; in Nordrhein-Westfalen besonders, denn dort wurde in das Wahlkampfprogramm eine Passage aufgenommen, nach der Sexualverkehr zwischen Erwachsenen und Kindern straffrei bleiben sollte. Aufgrund des öffentlichen Druk-kes wurde dies zwar zurückgenommen, doch die baden-württembergischen Grünen kündigten erneut einen Beschluß dieser Art an.

Darüber hinaus hat vergangene Woche ein grüner Abgeordneter im Gütersloher Kreistag ein zweieinhalb Jahre altes Mädchen mißbraucht und derart verletzt, daß er inhaftiert wurde. Daß dadurch die Wahlchancen der Grünen weiterhin schwinden, liegt auf der Hand. Für sie wird die Wahl sicherlich eine Wendemarke darstellen: entweder sie konsolidieren sich im Rahmen des Parteiensystems, oder es läuten die Glok-ken ihre Endrunde ein.

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