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Teuerung - und kein Ende

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Er höre das Wort Inflation nicht gerne, hat vor einiger Zeit Finanzminister Androsch erklärt. Man solle lieber von Preisauftrieb sprechen, denn Inflation habe für den Mitteleuropäer einen unguten Beigeschmack.

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Er höre das Wort Inflation nicht gerne, hat vor einiger Zeit Finanzminister Androsch erklärt. Man solle lieber von Preisauftrieb sprechen, denn Inflation habe für den Mitteleuropäer einen unguten Beigeschmack.

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Nun, wie immer man es nennt, ein Anstieg des Verbraucherpreis-index um 5,1 Prozent innerhalb eines Jahres ist so und so nicht wohlschmeckend. Ob das „schon“ Inflation oder „noch“ Preisauftrieb ist, ist weniger wichtig.

Die Nationalökonomie unterscheidet lieber zwischen schleichender und galoppierender Inflation. Zugegeben, unsere Inflation galoppiert nicht, wenn wir unter Galopp das rasante Geldentwertungstempo nach dem ersten Weltkrieg verstehen. Aber ein Schleichen sind 5 Prozent auch nicht mehr.

Außerdem wurden in letzter Zeit des öfteren Zweifel an der Richtigkeit des Preisindex laut, der nach Meinung vieler Konsumenten die tatsächliche Preisbewegung unterschätze; die tatsächliche Teuerung sei noch um einiges größer.

Spürbar für die Hausfrau

Eine andere Sache ist die „Indexkosmetik“ — etwa in der Form, daß aus einer Gruppe von Waren diejenige, die im Index aufscheint, nur geringfügig oder gar nicht verteuert wird, die anderen dafür um so mehr. Derartige Manipulationen kommen vor, und wir erlebten sie im letzten Jahr etwa bei den Kraftfahrzeugen; aber die Möglichkeit für solche Operationen sind doch eher begrenzt.

Daß dem einzelnen Konsumenten die Teuerung noch ärger erscheint als sie in dem ohnehin im Vorjahr schon stark gestiegenen Index zum Ausdruck kommt, hat vor allem psychologische Gründe: die im Preis gleichbleibenden oder nur leicht steigenden Waren werden kaum beachtet, die stark verteuerten hingegen um so mehr, insbesondere dann, wenn es sich um Waren des täglichen Bedarfes handelt.

Das sind meist Preise, die vor allem die Hausfrau spürt, die ein tiefes Loch in ihr Haushaltsbudget reißen, Preise, die tagtäglich den Konsumenten belasten. Daß einige dauerhafte Konsumgüter im Preis gleichgeblieben oder sogar — In früheren Jahren öfter, im letzten Jahr kaum — billiger geworden sind, fällt subjektiv weniger ins Gewicht, denn solche Anschaffungen werden nur alle paar Jahre einmal gemacht und dann Preisvergleiche häufig unterlassen. Per saldo ist dies alles gleichfalls wichtig — zumindest dann, wenn man dem „Ideal“ des Durchschnittskonsumenten einigermaßen angepaßt ist.

Jedenfalls schlagen einzelne stärkere Verteuerungen nur relativ gering zu Buch; ihre „Indexwirksam-keit“ richtet sich nach der Bedeutung der betreffenden Ware im Rahmen der Gesamtausgaben.

Aber auch mehr als 5 Prozent Inflationsrate sind zuviel. Wenn der Leiter des Wirtschaftsforschungs-

Institutes, Prof. Nemschak, in seinem Konjunkturkommentar zum Jahreswechsel beschwichtigend feststellte, daß die Verbraucherpreise dm Durchschnitt des Jahres 1971 „nur“ um 4,7 Prozent höher waren als 1970, so ist das alles andere als tröstlich. Es zeigt vielmehr die unerfreuliche Tatsache, daß sich die Preissteigerung Im Lauf des Jahres beschleunigt hat — was noch unerfreulicher deshalb ist, weil sich gleichzeitig das Wirtschaftswachstum verlangsamt hat und derzeit trotz weiterer Verlangsamung kein Ende des Preisauftriebs abzusehen ist. Die Stagflation kommt auch auf Österreich zu.

Prof. Nemschak erwartet für 1972 einen annähernd gleich starken Preisauftrieb wie im letzten Jahr. War dieser aber schon für die erfahrungsgemäß inflationsanfällige Spätphase der Hochkonjunktur zu stark, so ist er dem Konjunkturab-schwung erst recht unangemessen. Dabei ist die Prognose des Wirtschaftsforschers noch eher optimistisch, geht sie doch von der Erwartung aus, daß von Weltmarkt und Binnenwirtschaft eine kalmje-rende Wirkung ausgeht und die starken Preissteigerungen der öffentlichen Hand kompensiert.

Und die nächste Lohnrunde?

Gerade die amtlichen Preise sind es nämlich, die nun den Inflationsreigen anführen. Im Dezember wurden bereits die Tabakwaren verteuert, zu Beginn des neuen Jahres sind Benzin, Straßenbahntarife (in Wien), Strompreise und Bahntarife an der Reihe. Für den Herbst erwartet Prof. Nemschak auch noch eine Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel im Gefolge der Lohnrunde in der Nahrungsmittelbranche.

Das sind alles Faktoren, die durchaus indexwirksam sind, nicht nur was den direkten Effekt auf die Verbraucherpreise betrifft; aber auch die indirekten Auswirkungen infolge der Verteuerung der Produktionskosten durch höhere Treibstoffpreise, Fracht- und Stromtarife usw., die in irgendeiner Form doch wieder ihren Niederschlag in den Verbraucherpreisen finden, dürfen nicht zu gering geachtet werden. Prof. Nemschak erwartet daher auch, daß die Teuerungsrate bis Jahresmdtte noch mehr als 5 Prozent betragen und erst nachher kompensatorisch auf unter 4 Prozent sinken wird

Voraussetzung für eine solche „günstige“ Entwicklung ist aber, wie Prof. Nemschak ausdrücklich betont, ein erhöhtes Maß an Preis- und Lohndisziplin der Sozialpartner. Es wird also weitgehend vom Verlauf der bevorstehenden Lohnrunde abhängen, ob die aus allen Nähten platzende Teuerung doch noch einigermaßen gedämpft werden kann. Bedauerlicherweise wird hingegen das Rekordbudget 1972 seinerseits den Preisauftrieb eher verstärken.

Österreich kann sich aber eine so hohe Inflationsrate in diesem Jahr eigentlich nicht mehr leisten, einfach schon deswegen, weil die Gefahr besteht, daß bei unstabilem Preisniveau alle Konjunkturimpulse (die an sich schon nötig werden könnten) inflationär verpuffen müssen. Dazu kommt, daß die weltweite Rezession und die unvermeidliche Umleitung der Handelsströme infolge der Währungsneuordnung die Exportwirtschaft vor schwere Probleme stellt, die durch überdurchschnittliche Kostenerhöhungen im Inland nicht noch vergrößert werden sollten. In vielen westlichen Industrieländern zeichnet sich schon eine Dämpfung des Preisauftriebes ab, so daß Österreich nicht mehr hoffen kann, mit einer jahresdurchschnittlichen

Teuerung von 4,7 Prozent noch im Mittelfeld zu liegen, sondern befürchten muß, damit in diesem Jahr schon ziemlich nahe an die Spitze der Inflationsskala zu geraten.

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