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Thatcher und der Falkland-Faktor

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Großbritanniens Parteien rüsten sich zur Kampagne für die nächsten Wahlen, voraussichtlich im Oktober nächsten Jahres. Fänden die Wahlen heute statt, dann würden die Konservativen ohne Zweifel ihre zweite Legislaturperiode erreichen. DerSieg im Falkland-Konflikt, Thatchers starke Hand als militärische Führerin machen es möglich.

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Großbritanniens Parteien rüsten sich zur Kampagne für die nächsten Wahlen, voraussichtlich im Oktober nächsten Jahres. Fänden die Wahlen heute statt, dann würden die Konservativen ohne Zweifel ihre zweite Legislaturperiode erreichen. DerSieg im Falkland-Konflikt, Thatchers starke Hand als militärische Führerin machen es möglich.

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Im Vertrauen darauf strahlte auch der Tory-Parteikongreß in Brighton reichlich Selbstbewußtsein und Siegessicherheit aus, genährt durch die Tatsache, daß vorderhand noch eine glaubhafte Alternative fehlt. Die Labourpartei hat ihre inneren Spannungen und Flügelkämpfe wohl gemildert, aber dem Burgfrieden ist noch nicht zu trauen. Und die Mitteallianz aus Sozialdemokraten und Liberalen ist noch nicht stark genug, um zu halten, was sie verspricht: die Gestalt der britischen Politik zu brechen.

In einem Jahr kann sich noch einiges ändern. Weltrezession und monetäre Heilungskur aus der Thatcher-Apotheke haben die

Wirtschaft des Landes in die schwerste Krise nach dem Krieg gestürzt. Die Arbeitslosigkeit steht auf Rekordhöhe ebenso wie die Zahl der Unternehmen, die in den Bankrott getrieben werden.

Meinungsumfragen können zum Trugschluß führen, daß die erschreckenden Negativa Größbritanniens unter der Tory-Herr-schaft durch die positiven Elemente aufgewogen werden. Je näher der Wahltermin rückt, umso stärker schwindet der sogenannte Falkland-Faktor.

Der Wahltermin bringt möglicherweise auch zuwege, was drei Jahre in der Opposition nicht vermocht haben: daß sich Labour auf die eigentliche Aufgabe besinnt, gegen die Tories zu kämpfen statt die eigene Partei in ein chaotisches Schlachtfeld widerstreitender Auffassungen zu verwandeln.

Auch die Regierungspartei kann sich nicht der bitteren Erkenntnis verschließen, das bislang nur ein Bruchteil dessen eingelöst worden ist, was 1979 im Wahlmanifest versprochen worden ist.

Damals haben die Konservativen wohl nicht vorausgesehen, daß die Arbeitslosigkeit im Zuge der Inflationsbekämpfung und des handfesten Bestrebens, die Wirtschaft des. Landes effektiver zu gestalten, auf das Doppelte ansteigen werde. Der Rückgang der industriellen Produktion um zwanzig Prozent in drei Jahren Thatcherismus ist eine Katastrophe, die wohl jede andere Regierung zu Fall gebracht hätte.

Nach Schatzkanzler Howes Worten sind dies die Opfer auf dem Weg, die Geldentwertung zu hemmen und die Ökonomie konkurrenzfähig zu machen. Die Inflation, Anfang 1981 noch auf über 20 Prozent stehend, ist substantiell eingedämmt und verspricht am Ende des Jahres auf etwa sechs Prozent zu stehen, immer noch deutlich höher als in den USA, in Japan, Westdeutschland oder Österreich. Die Produktivität stsigt, aber reicht nicht aus, um den großen Industrienationen pari bieten zu können.

Briten enttäuscht und ohne Hoffnung

Was Wunder, daß Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit auf der Insel einen gefährlichen Grad erreicht. Der große Aktivposten der Konservativen liegt freilich in ihrer Führerin. Sie wirkt ehrlich und überzeugend. Der sogenannte Falkland-Faktor ist schließlich nichts anders als Ausdruck des Vertrauens, daß Thatchers Fähigkeit, dem Eindringling die Stirn zu bieten, einen Feldzug bis zum Sieg durchzuziehen, auch in der Wirtschaft zu greifen beginnt.

Thatchers Ehrlichkeit: Erstmals lehnte sie es ab, Wahlen schon jetzt auszurufen und im Sog des Sieges auch politisch die Oberhand zu behalten. Auch jetzt widersteht sie der Versuchung, die Chancen durch Steuergeschenke und provisorische Maßnahmen zu verbessern. Sie bleibt bei ihrer Strategie, die da heißt: Erst Schaffung „gesunden Geldes”, darauf Erholung der Wirtschaft, die dann allmählich die freigewordenen Arbeitskräfte absorbieren kann.

Ein langer und schmerzlicher Prozeß, doch eine „schnellwirkende Lösung”, von Labour und vorangegangenen Tory-Regie-rungen wiederholt angeboten, aber ohne Erfolg eingesetzt, kann nicht präsentiert werden. Die Premierministerin unterläßt es denn auch, den Zeitpunkt vorauszusagen, wann es wieder aufwärts geht. Es käme einem Vabanque-Spiel gleich, mit drei Millionen Beschäftigungslosen in den Wahlkampf zu gehen, ohne die Befürchtungen wenigstens durch Versprechen zu beseitigen.

Die Tories setzen auf die Einsicht der Bevölkerung, daß es letzten Endes keine plausible Alternative zum Tory-Programm gibt. Ob diese Spekulation auf den gesunden Menschenverstand aufgeht, wird sich im Oktober 1983 zeigen.

Die Partei jedenfalls hat Thatcher fest im Griff. Die Kritik der Massen, derer, die nur zögernd dem Thatcher-Kurs folgen, ist merklich leiser geworden, obwohl die Dringlichkeit ihrer Argumentation an Aktualität eher zugenommen hat: Die Sorge um die menschlichen Opfer der Rezession.

Keine Alternative zum Tory-Programm

Die Rezepte, die von den Oppositionsparteien angeboten werden, sind so neu nicht: Reflation, finanzieller Anstoß des Staates zum Aufschwung der Konjunktur. Die Premierministerin scheint die Beispiele aus der Vergangenheit auf ihrer Seite zu haben. Staatsinvestitionen beseitigen das Übel nicht, schieben es bestenfalls auf.

Das Labour-Programm am Parteitag in Blackpool in der Woche vor dem Tory-Kongreß spiegelt denn auch die alte Malaise der britischen Wirtschaft wider: Die eine Partei revidiert, was die Vorgänger in der Downing Street entworfen haben.

So ist die Arbeiterpartei für massive Ankurbelung der Wirtschaft. Die Parteilinke ist durch das extremste Programm zufriedengestellt, obwohl die Rechte im geschäftsführenden Gremium eine deutliche Oberhand erhalten hat; darüber hinaus Auszug aus der Europäischen Gemeinschaft, Verstaatlichung im größtmöglichen Ausmaß, unilaterale Abrüstung.

Obwohl in der britischen Politik nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde — will heißen: obwohl sich auch Labourregierungen nie in vollem Maße an Parteiprogramme halten —, zeigt sich doch die verderbliche politische Spirale.

Mitteallianz als Zünglein an der Waage?

Hand in Hand damit geht die Aufwertung der Gewerkschaften, falls der auf dem Kongreß sichtlich erstarkte Parteiführer in die Downing Street einziehen kann. Dann erhalten die Verbände ihr Mitspracherecht in politischen Fragen zurück, das ihnen Thatcher rigoros ausgeschlagen hat.

Die Geschichte lehrt Verhängnisvolles: niemals haben die Gewerkschaften für Machtgewinne durch Ruhe an der Lohnfront bezahlt. Genau das aber braucht Föot, will er die nächsten Wahlen gewinnen. Einkommenspolitik, unbedingte Voraussetzung, um aufsteigender Inflation zu begegnen, ist für die Verbände Anathema.

Erhält nun die Mitteallianz jenen Anklang bei der Wählerschaft zurück, den sie in den letzten Monaten verloren hat? Mag sein, obwohl ihr Programm keinesfalls so taufrisch und neu ist, um die politische Szenerie radikal zu ändern. Aber selbst Optimisten sagen ihr kaum mehr zu als die Fähigkeit, die politische Balance zu halten, das Zünglein an der Waage zu bilden.

Nicht von ungefähr stand nicht Labour, sondern die Mitteallianz im Zentrum der Tory-Attacken. Liberale und Sozialdemokraten nehmen vor allem der Regierungspartei Wählerstimmen weg, ohne in die Labour-Phalanx einzubrechen. Das könnte der Arbeiterpartei zugute kommen.

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