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Thatchers Kampf gegen die Abrüster

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In Zusammenhang mit der NATO-Nachrüstungsde-batte hat die britische Friedensbewegung wieder einen kräftigen Aufschwung genommen. Die Regierung Thatcher hat jetzt zum Gegenangriff geblasen.

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In Zusammenhang mit der NATO-Nachrüstungsde-batte hat die britische Friedensbewegung wieder einen kräftigen Aufschwung genommen. Die Regierung Thatcher hat jetzt zum Gegenangriff geblasen.

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Auf den neuen Plakaten ist die Druckerschwärze noch nicht trok-ken: eine Pistole richtet sich auf den Beschauer und die Schrift erklärt: „Russisches Roulette. Lassen Sie CND nicht mit dem Frieden spielen!" CND ist die Abkürzung für die größte aller britischen Friedensbewegungen: „Kampagne für nukleare Abrüstung", die zwei Geistliche an ih-

rer Spitze hat. Generalsekretär ist der katholische Monsignore Bruce Kent, sein Stellvertreter der anglikanische Theologe Paul Ostreicher.

Ein anderer Poster zeigt Hammer und Sichel im Friedenssymbol von CND und die Aufschrift: „Kommunisten! Neutralisten! Defaitisten!". Wieder ein anderes Plakat Friedensnaärsche der dreißiger, sechziger į und achtziger Jahre. Breschnew flüstert Hitler ins Ohr: „Lernen denn diese Briten nichts, Adolf?"

Solche und andere Konterfeis sind Attribute der vehement einsetzenden Kampagne der britischen Regierungspartei gegen Unilateralisten und Friedenskämpfer, an die hundert Organisationen, die in den letzten Jahren wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schössen. Diese Bewegungen und ihr Bekenntnis nehmen im kommenden Wahlkampf den zentralen Platz in der Argumentation für und gegen die Konservativen ein — neben dem Disput um Wirksamkeit oder Versagen des Thatcher-Rezeptes zur Gesundung der Wirtschaft.

Was die Situation noch prekärer macht: Die Vorstellungen der größten Oppositionspartei Labour über Atomwaffen in britischem Besitz beziehungsweise über Marschflugkörper aus Ubersee, die auf der Insel ab Dezember stationiert werden sollen, decken sich haargenau mit dem Programm der Friedensbewegungen unter Federführung von CND.

Diese Tatsache veranlaßte den neuen Verteidigungsminister Michael Heseltine zur Bemerkung, Andropow im Kreml könne kein schöneres und billigeres Geschenk in den Schoß fallen als Labourführer Michael Foots Einzug in die Downing Street bei den nächsten Wahlen. Foot und sein linker Parteigenosse Tony Benn haben versprochen, im Falle eines Wahlsieges den Amerikanern ihre Atomwaffen zurückzugeben, das Trident-Raketen-Programm abzubestellen und die gegenwärtig installierten Polaris-U-Boot-Rj^eten einzumotten. Nichts anderes wünschen sich die Friedensbewegungen im Lande.

Eine Station der NATO-Rake-ten ist Greenham Common in Berkshire, Schauplatz der größten Demonstration gegen Thatchers atomare Strategie, getragen von Frauen, die nur zu oft über die Stränge schlagen - selbst Verteidigungsminister Heseltine hat bei einem Besuch blaue Flecken abbekommen — und dann als Märtyrer ein oder zwei Wochen hinter Gitter wandern.

Lebensangst im Angesicht der wachsenden Waffenarsenale hat zur Bildung dieser Bewegungen, wie des „Friedenslagers" in Greenham Common geführt. Der dramatische Zulauf setzte in dem Augenblick ein, als sich die Diskussion um Marschflugkörper Polaris, Trident und Pershing verschärfte. Abschreckung — es gibt sie nicht, jede Atomwaffe ist für den Angriff bestimmt. Wird die Insel von diesen Waffen leergefegt, so CND und Labour, dann verschwindet auch die Gefahr Großbritanniens als Angriffsziel.

Naive Vorstellungen, daß das Beispiel der Abrüstung auch im Kreml ziehen würde, sind auch hier zu finden. Der Idealist im Priesterkleid, Kent, führt einen Kreuzzug gegen Nuklearwaffen auf britischem Boden. Er beruft sich auf Ginhöheres Gesetz, eine höhere Moralität", beschreibt sein Anliegen als zutiefst christlich, obwohl 15.000 Kommunisten der CND angehören.

Streitbare Frauen und Religionsdiener, Kommunisten oder einfach Sympathisanten, die ihre Steuern nicht für Atomwaffen aufgewendet wissen wollen. Jugendliche mit dem Friedenssymbol zeigen ein gemeinsames Bestreben: die Regierung zu einer Kehrtwendung zu bewegen, Verzicht auf Atomwaffen, denn „die Sowjets haben von sich aus keine aggressiven Pläne" (ein hoher CND-Funktionär).

Premierministerin Margaret Thatcher aber hat bereits den Startschuß zur Gegenaktion gegeben. Sie hält ihre Strategie — feste Bindung an NATO, Verteidigung durch eigene Atomwaffen und solche aus US-Produktion — für die wahlgewinnende Argumentation: Abschreckung wirkt, wie die Nachkriegsgeschichte beweist, Gleichgewicht der militärischen Blöcke auf dem Kontinent garantiert allein den Frieden. Den die Menschenrechte ignorierenden Herren im Kreml dürfe nicht das atomare Monopol eingeräumt werden, um die Menschheit daraufhin zu erpressen.

Obwohl sich in den letzten Meinungsumfragen gezeigt hat, daß nur jeder fünfte Brite mit Unilateralisten und Pazifisten konform geht, ist die Tory-Attacke auf die Friedenskämpfer doch schon lange fällig. Verteidigungsminister Heseltine führt die Aufklärung der Öffentlichkeit im Sinne der Partei. Er ist ein ausgezeichneter Redner und ihm sind die Hände nicht wie seinem Vorgänger Nott durch einen militärischen Konflikt gebunden. Er hat allerdings mit einer gewissen antiamerikanischen Stimmung zu rechnen, die in der Opposition gegen die US-Raketen auf der Insel - nach den letzten Meinungsumfragen sind mehr als die Hälfte der Bürger gegen die Stationierung - ihren Ausdruck findet.

In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Problematik der Kontrolle Gewicht: Theoretisch könnten die Amerikaner einen Nuklearkrieg von der Insel aus entfachen. Premierministerin Thatcher allerdings zeigt volles Vertrauen in die Kontrolle durch das Weiße Haus, das im Ernstfall die Downing Street nicht übergehen werde.

Im Kampf Thatchers gegen die Antinuklear-Bewegung könnten freilich Entwicklungen außerhalb der Grenzen sehr hilfreich sein: Etwa wenn die Sowjets Hartnäckigkeit in Genf zeigen und der Schwarze Peter nicht, wie dies bisher geschehen ist, Washington zugespielt wird. Oder wenn bei den Märzwahlen in der Bundesrepublik Deutschland Kanzler Helmut Kohl den Sieg davonträgt und die Grünen nicht über die Fünfprozentschwelle können.

Als letztes Mittel haben Kent und Co. das Mittel „zivilen Ungehorsams " angekündigt. Ein zweischneidiges Schwert, das den Friedenskämpfern Anhang kosten könnte. So ist ja auch die tätliche Attacke auf den Verteidigungsminister durch „Friedensfrauen" in England eher auf Unverständnis gestoßen.

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