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Theatertag - fehlinszeniert

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Der österreichische Theatertag ist eine junge, aber liebgewordene Einrichtung. Ein Treffen der Direktoren und ihrer „zweiten Männer“, der Dramaturgen und Kultuijournalisten. Auch deutsche Intendanten in voller Lebensgröße, bekannte Regisseure und Schauspieler pflegen anzureisen, aber nur stückweise und für Stunden.

Selbstverständlich hat jeder österreichische Theatertag ein Generalthema. Der vierte österreichische Theatertag, der heuer an zwei Tagen in Salzburg über die grüngedeckten Tische ging, behandelte „Theater und Presse - Information, Interpretation, Kritik“.

Ein wichtiges und interessantes Thema, über das durchaus manches Wichtige und Interessante gesagt wurde. Wobei ich die Vermutung hege, daß das, was die Theaterleute über ihr Verhältnis zur Presse im allgemeinen und zur Kritik im besonderen zu sagen hatten, nicht nur für die anwesenden Kritiker, sondern auch für die Theaterleute selbst interessanter war als das meiste, was den Kritikern über ihr eigenes Metier einfiel. Dabei kam nämlich ein die eigene Rolle idealisierendes und die eigenen Arbeitsbedingungen beschönigendes Bild heraus, mehr eine Idealvorstellung als Darstellung der Wirklichkeit.

Kein Schauspieler, sondern ein Kritiker war's, der die Forderung erhob, man müsse mindestens eintausend Aufführungen auf eigene Kosten gesehen haben, um eine Tätigkeit als Kritiker beginnen zu dürfen. Und kein Kritiker, sondern ein berühmter Regisseur erzählte beim Mittagessen schmunzelnd, er habe mit 17 Jahren seine ersten Kritiken geschrieben und sogleich den Intendanten seiner Heimatstadt zum Totalversager erklärt.

Die Kritik setzt ihre Opfer bekanntlich manchem kalten Guß aus. Die kritisierten Kritiker kamen mit wechselwarmen Bädern davon. Da von den besonders gehaßliebten Kritikern keiner da war, sondern eher eine Auswahl der freundlicheren Leute, wurden ihnen keine Theaterdolche in die Brust gerannt. August Everding etwa bescheinigte der schlechten Kritik eine Wirkung von 14 Tagen, „bei ernsten Stük-ken etwas länger“, und Oscar Fritz Schuh gab unumwunden zu, daß der Theatermensch die Presse gar nicht so sehr wegen ihrer Wirkung auf das Pu-

blikum braucht, wie als Hilfe im Clinch mit den eigenen, übergeordneten „Gremien“. Klaus Maria Brandauer gab sich maßvoll, zurückhaltend, besonnen; Annemarie Düringer temperamentvoll, engagiert, streitbar, Ein Kernpunkt ihrer Ausführungen (die wir auszugsweise demnächst zu veröffentlichen gedenken) war die Forderung, mehr über die Stücke zu schreiben und weniger über die Darsteller.

Da ein paar saftige Verrisse kaum die Karriere eines Schauspielers, auch nicht so leicht die eines jungen, aber ohne weiteres den Weg eines neuen Theaterstückes abrupt zu beenden vermögen, wäre es eigentlich logisch gewesen, auch einen kritikerfahrenen Autor über seine Erfahrungen mit der Presse reden zu lassen. Leider war kein Autor sichtbar. Autoren sind wohl keine vom gegenwärtigen Theater besonders wichtig genommenen Persönlichkeiten.

Manches Wichtige wurde nur am Rande gestreift. Zum Beispiel der Plan, die Wiener Dramaturgie, die den

Theatertag veranstaltet, zu einer österreichischen Dramaturgie zu erweitern und ein gesamtösterreichisches Theaterkonzept zu schaffen.

Manches Kuriose geriet unabsichtlich ins Rampenlicht. So zum Beispiel die seit mehr als zehn Jahren bestehende gewerkschaftliche Vereinbarung, wonach der ORF für jeden maximal drei Minuten langen (oder vielmehr kurzen) Probenausschnitt unter dem Titel des Leistungsschutzes 2700 Schilling in die Betriebsratskasse des künstlerischen Personals des betreffenden Theaters einzuzahlen hat. (In der Oper mehr.) Ein ORF-Mann wollte die Tatsache, daß in einem Teil der Theater während der Proben gratis gefilmt werden kann, den Gewerkschaftlern als schwarzen Peter zuspielen. Er bekam einen noch schwärzeren Peter zurück, nämlich herzlichen Dank für die Information und das Versprechen, dies werde man abstellen.

Manches wurde so schnell über die Bühne gejagt, daß man besser gar nicht damit angefangen hätte. Um den

Kreis der behandelten Themen noch mehr auszuweiten (was nur auf Kosten gründlicher Erörterung der anderen möglich war), wurden Franz Endler und Rene Knapp nach Salzburg gebeten, um über die Opernkritik zu sprechen. Ein Thema, das einen eigenen Theatertag wert wäre. Oder wenigstens einen ganzen Tag eines Theatertages. Und über das man so, wie die Sache ablief (zwei Kurzreferate, ein paar Fragen und Antworten unter den gestrengen Augen eines zur Eile mahnenden Vorsitzenden), nichts Wesentliches erfuhr.

Aber wirklich ausdiskutiert wurde ja kein Aspekt des Generalthemas. Dazu war die Zeit zu kurz und die Tagesordnung zu lang. Man war gekommen, um miteinander zu reden - angeblich. Aber man kam nicht ins Gespräch miteinander. Echte Gespräche in kleinen Gruppen waren an diesen beiden Tagen Rarität. Die Norm waren Monologe. In vielen Fällen bestand nicht einmal die Möglichkeit, kunstvoll aneinander vorbeizureden, weil der eine dder andere Referent, auf dessen Ausführungen der eine oder andere Teilnehmer zurückkam, zu diesem Zeitpunkt längst wieder abgereist war.

Daran krankt der österreichische Theatertag nicht zum ersten Mal. Aber ich empfand es in Salzburg noch krasser als im vergangenen Jahr in Wien. Da sprechen, an einem Vormittag mit sechs (!) Referenten, deren Ausführungen diskutiert werden sollen, hintereinander die Schauspieler Klaus Maria Brandauer und Annemarie Düringer, gefolgt von Staatsintendant Everding und dem künstlerischen Leiter des Theaters der Jugend, Edwin Zbonek. Jeder von ihnen hat Dinge zu sagen, über die man in Ruhe reden müßte. Aber der Vorsitzende sitzt auf Nadeln und kürzt die Diskussionen, weil er fürchtet, das vorgesehene Programm bis zum Mittagessen nicht durchzubringen. Die beiden Darsteller sitzen auf Nadeln, weil sie am Abend in Wien auftreten müssen. Everding ist auch auf dem Sprung. Am Nachmittag haben die Theaterkritiker das Wort. Aber ihre wichtigsten Gesprächspartner sind über alle Berge.

Man sollte künftig nur Referenten heranziehen, die bereit und in der Lage sind, an der ganzen Tagung teilzunehmen. Man könnte jeweils zwei profilierte Persönlichkeiten gegensätzliche Standpunkte austragen lassen. Man könnte, wenn der Theatertag am Sitz eines Landestheaters stattfindet, die Teilnehmer über dessen Probleme informieren (aber der Salzburger Intendant Haberland war auch nicht da, sondern in Berlin). Und man könnte an den Abenden informell weiterreden. Denn das am ersten Abend gemeinsam besuchte Marionettentheater kannten die meisten. Und die am zweiten Abend gemeinsam besuchte Operette war dem Vernehmen nach unter jeder Kritik. Organisatorische Einfälle zur Verlebendigung des österreichischen Theatertages wären also jedenfalls nötig.

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