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Theatralische Antipoden

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Im Haupthaus des Burgtheaters gab es erst jetzt, mehr als zwei Monate nach Beginn der neuen Spielzeit, eine Premiere: „Die Trilogie der Sommerfrische“ von Carlo Goldoni. Giorgio Strehler hatte fiesem Werk eine Bühnenfassung für einen Abend gegeben und sie im Burgtheater bereits vor neunzehn Jahren mit der Truppe des Mailänder Piccolo Teatro dargeboten, nun inszenierte er sie mit hauseigenen Kräften als erste Regicarbeit in Wien. . /

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Im Haupthaus des Burgtheaters gab es erst jetzt, mehr als zwei Monate nach Beginn der neuen Spielzeit, eine Premiere: „Die Trilogie der Sommerfrische“ von Carlo Goldoni. Giorgio Strehler hatte fiesem Werk eine Bühnenfassung für einen Abend gegeben und sie im Burgtheater bereits vor neunzehn Jahren mit der Truppe des Mailänder Piccolo Teatro dargeboten, nun inszenierte er sie mit hauseigenen Kräften als erste Regicarbeit in Wien. . /

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Der Reiz dieser Trilogie besteht in einem subtilen Realismus, wobei man geradezu an Tschechow denkt. Das überraschte seinerzeit bei Goldoni. Wir sehen da, wie Städter zum Landaufenthalt rüsten, wie sie die Zeit in der Sommerfrische verbringen und welche Folgen sich nach der Rückkehr ergeben. Dabei wird die Verschwendungssucht derer dargetan, die es den Reichen nachtun wollen, und wie Konventionen bei den jungen Leuten die Liebe abwürgen. Kritik also, aber liebenswürdig serviert.

Nun erklärte Strehler, er wolle zeigen, was Goldoni „gegen die Commedia dell’arte geschrieben hat“. Dem entgegen setzt er sofort mit einem sich geradezu überkollernden Tempo ein und nützt jede Gelegenheit zu Klamauk. Wider Erwarten mäßigt er diese Ansätze im Stück nicht, sondern steigert sie sogar. Nur im zweiten Teil gibt es besinnlichere Szenen, psychologische Zartheit und vor allem Stimmungshaftes vom vorzüglichen Bühnenbild her, das Ezio Frigerio entworfen hat. Die ausschließliche Verwendung von Seitenlicht, auch in den Innenräumen, modelliert eindrucksam die Szene. Haupteinwand gegen die Aufführung: Der Vorwurf würde allenfalls eine Spieldauer von drei Stunden rechtfertigen, aber nicht von fünf. Strehler fehlt das Maß. Vorzügliche Übersetzung von Piero Rismondo.

Zwei junge Paare beherrschen die Szene: die reizvolle Andrea Jonasson und Frank Hoffmann, die quieck- lebendige Gertraud Jesserer und Rudolf Melichar. Gut gezeichnete Gestalten bieten Manfred Inger, Otto Tausig, Johannes Schauer und Susi Nicoletti. Ein Schmarotzer wird durch Michael Heltau fast zum Hanswurst. Karl Paryla exaltiert abermals unerträglich in einer kleinen Rolle.

Es ist ein Verdienst, wieder einmal Strindbergs „Totentanz“ zu spielen und nicht die arge, fast ärgerliche Verflachung dieses Stückes durch Dürrenmatt unter dem Titel „Play Strindberg“. Eine Tourneeaufführung brachte an einem Abend im Theater in der Josefstadt das zweiteilige Bühnenwerk, das der Regisseur der Wiedergabe, Rudolf Noelte, der auch die deutsche Fassung besorgte, „Der Todestanz“ benannte, um es von der Vorstellung mittelalterlicher Totentänze abzuheben. Das starke Erlebnis dieses Abends bestand darin, daß diese Euphorie des Geschlechterhasses, in der aber nicht eine Frau wie sonst bei Strindberg, sondern der Mann, Kapitän Edgar, vampyrhafte Züge aufweist, con sordino gespielt wird. Es gibt kaum ein lautes Wort, das Perfide ist fast als ein Belangloses immer wieder in Schweigen gebettet. Die Wirkung der Einsamkeit, des Lastenden, des Getriebenseins wird dadurch gesteigert. Daß sich diese Dichte aber gegen Schluß verringert, ist durch das Streichen sehr notwendiger Exaltationen des Verhaltens — etwa das erzwungene Küssen des Fußes der Frau — bedingt. Noelte meidet nicht nur das laute Wort, auch das laute Tun. Bernard Minetti hat in aller Gelassenheit die steinerne Härte dieses „Vampyrs“, eine großartige Leistung. Giftgesättigt und doch auch beherrscht wirkt Elfriede Rückert als seine Frau Alice. Dem Quarantänemeister gibt Paul Edwin Roth glaubhaft eine etwas umgängigere Wesensart. Intensität spürt man bei Christiane Schröder als Edgars Tochter. Nur das erste der beiden Bühnenbilder von Walter Dörfler vermittelt das Beklemmende des Stückes.

In dem großen Zelt mit 300 Sitzplätzen, das die Gruppe „Werkstatt“ vor dem Wiener Rathaus errichtete, sieht man derzeit eine Art intellektuelle Show „Wir waren zarte und schöne Kinder, rein, unschuldig und loyal oder Eugenie & Co.“, deren Text Regisseur Hans Gratzer und seine Leute nach einem Stück des 39jährigen Elsässers Renė Ehni erarbeiteten. Von „Barbaren“ auf eine Insel verdrängt, versucht Eugenie als Vertreterin überzüchteter abendländischer Menschheit, zur Königin erkoren, deren Kultur zu retten und sie den Barbaren zu vermitteln. Es gelingt nicht, die wilden wie auch die Vertreterin des neuen abendländischen Menschen weisen sie zurück. Dies soll ein Fanal unserer Situation sein, kein Agitprop für irgendeine politische Heilslehre. Doch bestehen die Szenen ausschließlich aus plakathaften, mitunter banalen Denkaussagen, was sich für die Bühendar- stellung kaum eignet. Gratzer gelingt es aber, dies szenisch effektvoll umzusetzen. Die Gestalten, Träger bestimmter Ideenbereiche, bewegen sich in prunkvollen Gewändern auf einem erhöhten kreisförmigen Podium, von dem Stege zu noch höheren Podesten führen, wobei sich wieder der Ausstatter Peter Giljum bewährt. Ein Ballett ist eingesetzt, eine Gruppe Pinguine tritt auf, Songs gibt es, die Musik von Ingrid Fessler akzentuiert die Vorgänge. Unter den Darstellern hebt sich Ingrid Burkhard als Eugenie heraus. Welt-Interpretation wird als optisch-akustisches Spektakel geboten.

Das vor zwei Jahren in Hamburg u rauf geführte Stück „Stallerhof“, das derzeit im Akademietheater zu sehen ist, hat die maßgebliche bundesdeutsche Kritik ganz besonders gelobt. Mit Recht? In diesem Stück wird die von ihren Eltern verachtete vierzehnjährige, schwachsinnige Bauerntochter Beppi von dem am Hof tätigen älteren, gutmütig-primitiven Knecht, der bei den Weibern nirgends ankam, geschwängert. Der Bauer tötet aus Rache das Hündchen des Knechts. Das führt Kroetz in zahlreichen rasch wechselnden Szenen von meist nur zwei, drei Dialogzeilen vor. Was soil’s? Derlei Zustände kann man weder der Gesellschaft, noch der Weltordnung anlasten, als Einblick in niedrigste Lebensbereiche ergibt sich wenig, Mitleid regt sich gegenüber Schwachsinnigen kaum. Und um die Kroetzsche Spezialität, die Kümmermenschen, die sich nicht ausdrücken können, vorgesetzt zu erhalten, soll man ins Theater gehen? Trefflicher Einfall der Regie von Erhard Pauer und Peter Janisch im Verein mit dem Bühnenbildner Günther Tayrich: Da fast mehr umgebaut als gespielt wird, gibt es in den vielen Pausen auf einer durchsichtigen Netzbespannung des Proszeniums Projektionen der jeweiligen Positionen der Darsteller. Man sieht also die Szene nacheinander im bühnenhohen Photo auf dem Vorhang und in natura durch ihn hindurch. Der krude Naturalismus wird damit gebrochen. Heidi Hagl ist als Beppi von beklemmender Echtheit, Walter Scheuer glaubt man nicht recht das primitv Dumpfe des Knechts, Franz Waldeck und Lizzi Steiner überzeugen als Beppis bäuerliche Eltern.

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