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Theorie und Praxis der alten Musik

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Die „Ambraser Schloßkonzerte“, seit Jahren als musikalische Attraktion des Innsbrucker Sommers von äußeren und inneren! Erfolgen begleitet, haben nun auch den Anstoß zur Gründung der „Internationalen Sommerakademie für alte Musik“ auf Schloß Ambras gegeben. Sie steht am Ende einer Substanz- und resonanzreichen Folge von Konzerten, die sich heuer — in dezenter Anlehnung an den olympischen Gedanken — „Europäische Musik aus Renaissance und Barock“ zum Generalthema erwählt hatte.

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Die „Ambraser Schloßkonzerte“, seit Jahren als musikalische Attraktion des Innsbrucker Sommers von äußeren und inneren! Erfolgen begleitet, haben nun auch den Anstoß zur Gründung der „Internationalen Sommerakademie für alte Musik“ auf Schloß Ambras gegeben. Sie steht am Ende einer Substanz- und resonanzreichen Folge von Konzerten, die sich heuer — in dezenter Anlehnung an den olympischen Gedanken — „Europäische Musik aus Renaissance und Barock“ zum Generalthema erwählt hatte.

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Im prachtvollen Renaissancebau des Spanischen Saales vermittelten drei österreichische und fünf ausländische Ensembles von hohem Rang die mannigfaltigsten Eindrücke von den reichen Möglichkeiten der Repertoirebildung, der Besetzung, des Vortragsstils und der Klangpalette früherer Jahrhunderte. „Les Mene-strels“ hatten sich dabei mit Gesängen und Tänzen aus Spanien und Italien den ältesten Programmteil erwählt, griffen sie doch auf „Cantd-gas“ aus dem 13., auf „Ballatte“ und Madrigale aus dem 14. Jahrhundert zurück, nicht ohne das Erblühen vokaler und instrumentaler Formen im 15. und 16. Jahrhundert auszukosten. Aus Liederbüchern der Renaissance musizierte der Kammermusikkreis Conrad (Hannover) mit dem deutschen Tenor Theo Altmayer, zu dem wenige Wochen später der englische Meistersinger Nigel Rogers mit virtuoser Kehlfertigkeit einen glänzenden Kontrapunkt setzte, begleitet und auf das Ebenbürtigste ergänzt von Colin Tilney, dem exquisiten Cembalisten. Der Londoner Kontratenor James Bowman und das „Consort of Musicke“ komplettierten das britische Angebot mit Lautenund Gambenmusik aus England und den Niederlanden.

Barockmusik der verschiedensten Provenienz und Interpretationsauffassung bekam man einerseits von den vorzüglichen österreichischen Ensembles wie der von Eduard Mel-kus geführten Capella Academica und dem von Nikolaus Harnoncourt souverän geleiteten Concentus Mu-sicus zu hören, die sich zuerst österreichischer und deutscher, dann französischer und englischer Meister des 17. und 18. Jahrhunderts annahmen, anderseits vom renommierten Alarius-Ensemble aus Brügge, das mit seiner eigenwilligen Schwelldynamik in Grenznähe eines gewissen Manierismus geriet. Das virtuose Holländertrio Frans Brüggen (Blockflöte), Gustav Leonhardt (Cembalo) und Anner Buijlsma (Cello) rundete mit ebenso individueller wie überlegener Spielweise das barocke Panorama bis zu den Vorfeldern des galanten Stils.

Nicht logischer hätte sich die Daseinsberechtigung der „Internationalen Sommerakademie für alte Musik“ manifestieren können, als im Anschluß an diese Konzerte. Fünf Professoren von so hohem Rang wie Luigi Ferdinando Tagliavini von den Universitäten Bologna und Fri-bourg, Alan Curtis von der Univer-sity of California, Berkeley, Hans-Martin Linde aus Basel, Wieland Kuijken aus Brüssel und Michael Schaeffer von der Musikhochschule Köln übernahmen die Meisterkurse für Orgel, Cembalo, Blockflöte, Gambe und Laute sowie die Leitung über die gemeinsamen Seminare für Stilkunde und Aufführungspraxis, Consortspiel, Consortleitung und Generalbaßspiel. Das attraktive Lehrerangebot lockte nicht weniger als 95 Teilnehmer aus 18 Nationen an, darunter neben aktiven Musikern und Universitätslehrern aus vielen europäischen Ländern auch Amerikaner und Kanadier, Japaner und Australier. Das Thema der Seminare war die Musik der ausgehenden Renaissance und des Frühbarocks, also jenes Zeitraumes von etwa 1550 bis 1650, in dem die Hofkapelle Ferdinands II. in Innsbruck besonderes Ansehen genoß. Man knüpfte also ganz bewußt an die traditionsreiche Musikkultur Tirols an, die gerade im ehrwürdigen Hochschloß Ambras bei Innsbruck eine wichtige Heimstätte hatte; seine reiche Musikinstrumentensammlung bildet einen wichtigen Bestandteil des heute im Kunsthistorischen Museum vereinten historischen Instrumentariums.

Gerade im Hinblick auf die alten Instrumente und ihre getreuen Nachbildungen haben sich ja die „Ambraser Schloßkonzerte“ im Laufe der Jahre zu Pionieren eines Authentizitätsbewußtseins nicht nur bei den ausübenden Musikern, sondern sogar schon bei einem großen Teil des Publikums gemacht. Natürlich gehen auch die Tendenzen der Sommerakademie ganz in diese Richtung. Gerade hier haben sich erst in den letzten Jahrzehnten so wichtige Erkenntnisse Bahn gebrochen, daß der Akademie in ihrer sowohl wissenschaftlich als auch praktisch orientierten Verarbeitung einzigartige Bedeutung zukommt.

Nach den Instrumentalkursen und Seminaren traf sich das gesamte Team der Akademie jeweils abends im Spanischen Saal, um die erarbeiteten Werke aufzuführen und zu diskutieren. Hier nun wurden in glücklichster Weise Theorie und Praxis verbunden. Das hohe spieltechnische Niveau der Teilnehmer, mitunter verstärkt durch die Mitwirkung des einen oder anderen der Professoren auf dem Podium, trug ebenso zur Ergiebigkeit des Vermittelten bei wie die sich daraus ergebenden Diskussionen über die vielfältigen Belange der Spielweise.

Ein Schlußkonzert, an dem sich die kunstfertigsten der 95 Teilnehmer in den verschiedensten Besetzungskombinationen mit Musik des hier zum Thema gestellten Zeitraumes von 1550 bis 1650 beteiligten, lockte ein letztes Mal in diesem Sommer die Zuhörerscharen in den ausverkauften Spanischen Saal und dokumentierte nicht nur auf das überzeugendste den pädagogischen Wert der erfolgreich verlaufenen 1. Sommerakademie, sondern auch die erstaunlich lebhafte Anteilnahme des Innsbrucker Publikums an den musikalischen Ereignissen im Schloß Ambras. So nimmt es nicht wunder, daß der Spiritus rector und künstlerische Leiter der Akademie wie der Schloßkonzerte, Prof. Otto Ulf, schon konkrete Pläne für die zweite Sommerakademie im Jahr 1973 hat, die nicht nur die fünf bewährten Kapazitäten wieder einladen, sondern sie um zwei weitere Meisterklassen für Gesang und Barockvioline komplettieren will.

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