6912792-1981_15_03.jpg
Digital In Arbeit

Therapie wie bei einer Familie

Werbung
Werbung
Werbung

In dem berühmten Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud „Warum Krieg?“ ringt sich Freud (1932) eine vage Hoffnung ab, daß eine fortschreitende Kulturentwicklung und die berechtigte Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges „dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen“ werde.

Wir alle wissen, was seither bis heute geschehen ist. Und trotzdem bleibt unsere vielleicht utopische Hoffnung auf die gleiche Stärkung der Vernunft und des Gefühles der Liebe gerichtet wie vor fünfzig Jahren.

Der Klub von Rom hat in seinem letzten Bericht darauf hingewiesen, daß eine solche Entwicklung nur durch eine neue Form des sozialen Lernens erreicht werden könne. Während das traditionelle Lernen nur systemerhaltend wirke, müßte eine partizipatorische, in- novatorische, zukunftsgerichtete Form kommen, die es ermöglicht, alle jene Einstellungsänderungen zu erreichen, die ein Überleben gestatten.

Bis jetzt sind solche Einstellungsänderungen fast nur als ein Ergebnis eines „Lernens durch Schock“, eines erschütternden Stoßes in das System, bekannt. Da heute ein solcher Schock (etwa ein Atomkrieg) wohl für uns alle tödlich wäre, ist dieser Weg nicht mehr gangbar.

Die neue Form des Lernens, die gefordert wird, deckt sich weitgehend mit einer psychoanalytischen Pädagogik, wie sie durch Aichhorn, Zulliger und Anna Freud entwickelt und neuerdings durch gruppendynamische Erfahrungen bereichert wurde.

Wir sind im Augenblick mit einer Zunahme des Narzißmus konfrontiert, das heißt mit einem Rückzug libidinö- ser Objektbeziehungen auf das Selbst, wodurch gesellschaftliche Bestrebungen zu einer neuen Solidarität erschwert werden. Das Studium dieses Phänomens durch Psychoanalytiker wie Kohut und Kernberg mag helfen, dieser Entwicklung therapeutisch und vor allem prophylaktisch entgegenzuwirken.

Es scheint mir auch wesentlich, daß wir eine wichtige Strategie zur Konfliktlösung, den Kompromiß, aus seiner Abwertung als feig und opportunistisch herauslösen - ist er doch einerseits das Prinzip einer funktionierenden Demokratie, aber andererseits auch das Geheimnis einer gesunden Persönlichkeit.

Das „Ich“ im psychoanalytischen Sinn, als Vertreter einer Identität, wie Erikson sie auffaßt, muß ja ständig durch Kompromisse Triebansprüchen gegenüber Über-Ich-Verhalten ausgleichen. Wir müssen also lernen, konstruktive Kompromisse zu erarbeiten, was nur durch ein besseres Verständnis und durch eine Akzeptierungdes Wertes einer solchen Strategie erreicht werden kanp. Daß auch ein Kompromiß Grenzen haben muß, ist dabei selbstverständlich.

Es gibt mehrere Analogien zwischen Versuchen, Frieden zwischen Konfliktparteien herzustellen, und der Familientherapie. Hier wie dort wird ein Vermittler verwendet, nur wird er dort

als Familientherapeut bezeichnet, der aber auch mit allen Mitgliedern der Familie arbeitet.

Der erste Weg ist die Kommunikationsverbesserung. Eine große Zahl von Schwierigkeiten kommt einfach daher, daß ein oder beide Partner sich einfach nicht mitteilen können. Das kann viele Ursachen haben, ich möchte nur die eine anführen, daß man Angst vor den Konsequenzen hat, wenn man über seine Ängste und Wünsche spräche.

Das zweite Prinzip ist die unparteiliche, gleichmäßige Zuwendung, die Allparteilichkeit des Familientherapeuten zu allen Betroffenen, die eine einseitige

„Es scheint mir auch wesentlich, den Kompromiß aus seiner Abwertung als feig und opportunistisch herauslösen . . J’

Sündenbockrolle verhindert. Eine solche Haltung wird im soziologischen Zusammenhang natürlich nur dort möglich sein, wo Vermittlerdienste in Anspruch genommen werden.

Überblickt man aber die Konfliktfälle der letzten Jahrzehnte, dann ist dies überraschend oft der Fall; ich erinnere nur an viele Arbeitskonflikte, die Zypern- und Israelfrage, etc.

Der dritte Weg, die Deutung unbewußter Kollusionen zwischen den Personen, wird etwas schwieriger sein, aber ich halte ihn trotzdem für beschränkt anwendbar. Man versteht darunter das Phänomen, daß zwischen zwei oder tpehr Personen sich gegenseitig ergänzende oder aufschaukelnde, unbewußte Beziehungen bestehen.

Das klassische Beispiel dafür sind sadomasochistische Beziehungen. Gewisse Anklänge dazu zeigten meines Erachtens die österreichisch-italienischen Beziehungen (wegen Südtirols), ebenso die deutsch-französischen, wo es in beiden Fällen gelang,, das Problem weitgehend zu lösen. Ich könnte mir vorstellen, daß die Konfliktlage in Nordirland ähnlich ist.

Vielleicht hätte eine massive Unterstützung der dortigen Frauenbewegung für den Frieden (vor allem durch die Kirchen, die dort offenbar versagt haben) Sm Sinne einer Bewußtmachung der Irrationalität geholfen?

Das nächste Prinzip ist noch schwerer anzuwenden. Es handelt sich um das Aufarbeiten jener gegenseitigen Verdienste und Verschuldungen innerhalb einer Familie, die Boszormenyi-Nagy die „unsichtbaren Loyalitäten“ genannt hat.

Ich kann mir auch als Psychoanalytiker, wo man jedes aktive Eingreifen zu minimalisieren lernt, nur vorstellen, daß eine autonom^ Entscheidung der Partner im Sinn von Souveränitätsverzichten wertvoller ist als eine Reglementierung durch eine anonyme Macht wie etwa eine starke Weltregierung mit Polizeikräften. Auch hier sind ja bereits Ansätze vermerkbar.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Tiefenpsychologie und Psychotherapie der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung