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Thomas Bernhard furchte

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Ein Beschimpfungsvirtuose war Thomas Bernhard nicht nur in seiner Prosa und in den unverkennbaren Monologen seiner Stücke, sondern auch als seltener Festredner und häufiger Schreiber von Leserbriefen. Keiner hatte so häufig mit den Gerichten zu tun wie er, und durch sein Testament hat er sie über seinen Tod hinaus beschäftigt. Jüngster Anlaßfall ist eine Sammlung von Leserbriefen von und über ihn. Das Buch „Sehr geschätzte Redaktion" darf zwar noch verkauft, aber nicht mehr ausgeliefert oder neu aufgelegt werden.

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Ein Beschimpfungsvirtuose war Thomas Bernhard nicht nur in seiner Prosa und in den unverkennbaren Monologen seiner Stücke, sondern auch als seltener Festredner und häufiger Schreiber von Leserbriefen. Keiner hatte so häufig mit den Gerichten zu tun wie er, und durch sein Testament hat er sie über seinen Tod hinaus beschäftigt. Jüngster Anlaßfall ist eine Sammlung von Leserbriefen von und über ihn. Das Buch „Sehr geschätzte Redaktion" darf zwar noch verkauft, aber nicht mehr ausgeliefert oder neu aufgelegt werden.

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Die Reihe der Leserbriefe, Skandale und Prozesse beginnt mit einem Artikel von Thomas Bernhard in der FURCHE. Unter dem Titel „Salzburg wartet auf ein Theaterstück" zog er am 4. Dezember 1955 gegen das Salzburger Landestheater vom Leder. „Thomas Bernhard furchte" war dann auch der energische Widerspruch im „Salzburger Volksblatt" überschrieben, der mit den Worten begann: „Was mag nur in den guten Jungen gefahren sein?" Die Ehrenbeleidigungsklage wurde nach zwei Berufungen 1959 zurückgezogen, es kam zu einem Vergleich.

1969 hätte die FURCHE selbst, wäre sie ähnlich empfindlich gewesen, eine Klage anstrengen können: Bernhard erinnerte sich in „Theater heute" an seinen früheren Artikel und bezeichnete dabei die FURCHE als „Quadratur des perversen katholischnazistischen Stumpfsinns". Seine globalen Vorwürfe waren selten um Beweise bemüht.

Zweifellos konnte Bernhard verbal dreinschlagen, aggressiv und ungerecht: Elias Canetti nannte er 1976 in der „Zeit" „Aphorismusagent der Jetztzeit", „Aushilfsprophet" und „eine Art Schmalkant und Kleinschopenhauer", seine „Blendung" eine „Talentprobe". Als sich die Grazer Autoren Versammlung 1986 um einen Professorentitel für Bernhard bemühte - in der Tat ein groteskes Unterfangen bezeichnete er sie als „eine Versammlung von untalentierten Arschlöchern". Was Thomas Bernhard zu Bruno Kreisky einfiel, ist ohnedies noch in Erinnerung.

Die Lektüre der Leserbriefe läßt alle Bernhard-Skandale Revue passieren: seine Rede bei der Staatspreisverleihung, den Dauerkrach mit den Salzburger Festspielen, den Prozeß um „Onkel Franz" in der „Ursache" und die Lampersberg-Geschichte in „Holzfällen", die „Heldenplatz"-Auseinandersetzungen. Das letzte Kapitel ist der „Entdeckung" gewidmet, Bernhard sei von 1974-87 ÖVP-Bauembund-Mitglied gewesen.

Aber die spannende Zusammenstellung des ausgewiesenen Bernhard-Spezialisten Jens Dittmar macht auch literarische Auseinandersetzungen sichtbar: Wie Herbert Eisenreich in einer Rezension der „Verstörung" (1967 im „Spiegel") Bernhard nicht wirklich zur Kenntnis nimmt, weil er ihn an Doderers Romankonzept mißt, beleuchtet schlaglichtartig das Kulturklima Österreichs in jenen Jahren. Die Diskussion in der „Zeit", ob die Radikalität von Bernhards Werk sich mit dem Ritual einer Büchnerpreis-Verleihung vertrage, spricht Grundfragen der Rezeption dieses Autors an.

Die Leserbriefe über Thomas Bernhard erheben stereotype Vorwürfe, nicht selten erschreckt die latente Gewalttätigkeit der Abwehrmechanismen. Arroganz und Empfindlichkeit, Undifferenziertheit, Skandalinszenierung als wirksame Eigenreklame -vieles könnte man Thomas Bernhard vorwerfen. Sind seine leidenschaftlichen Schmähungen verbale Rundumschläge, die nirgends wirklich treffen? Vor der „falschen Einseitigkeit" und der „partiellen Wahrheit" seiner Romane war schon vor 20 Jahren die Rede.

Auf jeden Fall hat Bernhard demaskiert. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zum Beispiel: Sie rechtfertigte die Aufnahme des Politikers Walter Scheel - Anlaß für Bernhards Austritt - damit, daß er fleißig an Sitzungen teilgenommen und die Akademie gefördert hätte; Bernhard hingegen kenne die Satzungen nicht und verunglimpfe als Österreicher Persönlichkeiten der Bundesrepublik. Wenn Bernhard verbal handelte, wurde die Umgebung meist zur Theaterbühne. Am Schluß, bei „Heldenplatz", hatte es den Anschein, er inszeniere ganz Österreich. Oft haben sich die Gegner seinem Stil angenähert, waren vom „Bernhard-Virus" angesteckt.

Demaskiert hat Bernhard auch österreichische Politiker: nicht in seinen Attacken, sondern durch die Äußerungen, zu denen sie sich hinreißen ließen. Wenn es um Bernhard ging, bekam auch Franz Vranitzkys Liberalität Sprünge. Und Erhard Busek hat sich selbst demaskiert: Nach Herbert Moritz' Entgleisung gegen Bernhard forderte er eine Entschuldigung der Regierung, aber als Wiener OVP-Chef rief er zum Boykott von „Heldenplatz" auf und verlangte den Rücktritt der zuständigen Ministerin.

Erfolgreich war Bernhard aber auch in seinen Mystifikationen: ßelbst Lexikonartikel erwähnen bis heute seine Abschlußarbeit am Mozarteum über „Bert Brecht und Antonin Ar-taud". Ein Artikel in den „Salzburger Nachrichten" versuchte, Licht ins Dunkel um die unauffindbare Arbeit zu bringen. Aber da sind alle Hypothesen umsonst: Diese „Arbeit" haben Thomas Bernhard und sein Freund Wieland Schmied sich einfallen lassen, um dem Autor von „Frost" etwas mehr Biographie zu geben; Bernhard hatte damals keine Zeile von Artaud gelesen. Dieses Geheimnis konnte auch Dittmars Buch nicht lüften.

Leserbriefe von und über Thomas Bernhard - diese Sammlung ist kein Kuriositätenkabinett, sondern ein unentbehrliches Dokument der Wirkung dieses Autors. Das Verbot der Neuauflage ist grotesk, zumal ausdrücklich (auch veröffentlichte) Privatbriefe nicht aufgenommen wurden. Kann ein Testament den nochmaligen Abdruck von Leserbriefen verbieten?

Glücklicherweise ist das Buch nun einmal erschienen. Denn die Wortmaschine des Leserbriefschreibers ist auch ein Schlüssel zum Autor Thomas Bernhard und seinem Schreibimpuls: „Der einzelne / ist er noch so im Recht / verliert jeden Prozeß", heißt es in „Minetti". Die Gerichtsprozesse hat Bernhard nicht verloren, sondern durch Vergleiche beendet. Im Schreibprozeß hat er lebenslang seinen Kampf um Anerkennung und Identität inszeniert. Am 12. Februar sind es drei Jahre, daß sein Körper den Kampf aufgegeben hat.

SEHR GESCHÄTZTE REDAKTION. Leserbriefe von und über Thomas Bernhard. Herausgegeben von Jens Dittmar. Edition S, Wien 1991.244 Seiten, öS 278,-.

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