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Thomas Klestil ist kein Notnagel

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Ein ,.Phantasieschub" ist an dieser Stelle vor einer Woche angemahnt worden, damit sich die Partei(en)misere bei der Bundespräsidentenwahl 1992 nicht fortsetze. Fast sieht es so aus, als hätte es zumindest ein echtes Schüberl gegeben.

Rudolf Streicher ist an dieser Stelle am 24. Oktober als fixer Kandidat vorausgesagt worden. Er hat ein bisserl so getan, als wäre das alles ganz überraschend in vier Tagen zu entscheiden gewesen, aber in Wahrheit waren die Weichen doch geraume Zeit gestellt. Der zweite Teil der damaligen Prophezeiung „Foregger kontra Streicher" hat sich als falsch erwiesen.

Der einstige Justizminister hatte eine allzu dünne Haut und scherte nach den ersten Attacken aus. Jörg Haider hat durch seine brutale Vereinnahmungspolitik das Seine dazu beigetragen. Also gut, kein gemeinsamer ÖVP/FPÖ-Bewerber.

Daß, als dies feststand, die SPÖ sofort mit Streicher herausrückte, setzte die ÖVP unter Zugzwang. Nun mußte ein eigener Kandidat der Volkspartei her, dem neunmalgescheite Propheten noch vor seiner Bekanntgabe voraussagten, er werde wahrscheinlich nach einer möglichen FPÖ-Kandidatin Heide Schmidt als dritter durchs Ziel gehen. In der Tat waren einige der genannten Bewerber von einem solchen Schicksal bedroht.

Echte Chancen hätte derzeit wirklich nur der in der Volksgunst erfreulich gewachsene Alois Mock gehabt. Daß man ihm die ungeliebte Tortur ersparte, war menschlich und politisch richtig. Hemmungslose Gegner hätten ja doch früher oder später wieder den Fernsehfilm vom Wahlabend 1986 hervorgeholt: „Seht, so sieht er in der Krise aus..."

Nach oder statt Mock die beste Wahl war wirklich Thomas Klestil. Er ist ein gewiegter Diplomat, hat gesunden Ehrgeiz und kann dank moderner Medien den Bekanntheitsrückstand rasch aufholen. Daß ÖVP-Obmann Erhard Busek ihn nicht als Verlegenheitslösung aufbieten mußte, sondern ihn dem Kanzler schon im Sommer als Gemeinschaftskandidaten empfohlen hatte, ist glaubwürdig: Ein graues Diplomatenmauerblümchen ist Klestil nie gewesen. Um noch einmal diese Kolumne zu zitieren: „Warum nicht Klestil?" wurde hier schon bei der ÖVP-Obmanndiskussion 1989 gefragt. Jetzt hat es ihn bei einer anderen Suchaktion erwischt.

Man wird ihm, sobald der politische Kampf eskaliert, noch einmal Säumigkeit bei der Weiterleitung von Warndepeschen zum Thema Waffenexporte anzulasten versuchen. Aber damit dürfte er kaum „aufzumachen" sein.

Der gläubige Christ Thomas Klestil mit grundsätzlicher, aber durchaus kritischer ÖVP-Bindung gegen den loyalen, aber geradlini-gain, tüchtigen Sozialdemokraten Rudolf Streicher, allenfalls mit der achtbaren FPÖ-Kandidatin Heide Schmidt als Mitbewerberin: Wer immer da gewinnt, sollte uns keine schlaflose Nacht bescheren.

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