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Tier- oder Menschenversuche?

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Ich bitte alle, die schlimme Lage dieser unserer Brüder und Schwestern (AIDS-erkrankte Mitmenschen, Anm. d. Autors) mitzutragen, und während ich ihnen Anteilnahme und Mitgefühl bekunde, ermutige ich Wissenschaftler und Forscher zu Vermehrter Anstrengung, um eine wirksame Therapie gegen dieses geheimnisvolle Übel zu finden. Wissenschaft und Nächstenliebe, eng miteinander verbunden, mö-

gen bald in der Lage sein, das ersehnte Heilmittel zu entdecken: Dies ist mein Segenswunsch, den ich an der Krippe des neugeborenen Heilands niederlege.“ (L’Osservatore Romano Nr. 1/89)

Mit dieser eindringlichen Weih- nachtsbotschaft rief Papst Johannes Paul II. die Forscher aller Welt zu vermehrten Anstrengungen auf.

Es stellt sich die Frage, ob Wissenschaft mit Nächstenliebe eng miteinander verbunden — wie es der Papst wünscht — überhaupt möglich ist, wenn den Forderungen der militanten Tierversuchsgegner nach Abschaffung aller Tierversuche gefolgt.wird?

Wenn nämlich in unserem Land die Tierversuchsgegner ein Gesetz durchdrücken, das die For-

schungs- und Entwicklungsarbeit an einem wirksamen AIDS-Impf- stoff praktisch unmöglich macht, bleibt die Wissenschaft und damit auch die Nächstenliebe auf der Strecke. Den Schaden haben die Menschen, die unter dieser Seuche leiden und keine Uberlebenschance erhalten.

Angesichts dieser drohenden Gefahren bekommt das Wort „Nächstenliebe“ bei den Tierver- suchsgegnem einen gefährlichen Beigeschmack. Man erkennt den ethischen Standard einer menschlichen Gemeinschaft nämlich daran, mit welcher Achtung und mit welchem Verantwortungsbewußtsein der Wert des menschlichen Lebens, nicht nur das von Tieren und Pflanzen Beachtung findet. Bei den militanten Tierversuchsgegnern hat letztlich das menschliche Leben weniger Wert als das Leben von Tieren. Folgerichtig wird der Menschenversuch anstatt des Tierversuchs von ihnen gefordert (zahlreiche öffentliche Äußerungen von Tier- versuchsgegnem belegen das).

In der Vergangenheit waren die größten medizinischen Erfolge nur anhand von Tierversuchen möglich, und dies wird sich in überschaubarer Zukunft auch nicht ändern.

Bei fast allen schweren Krankheiten, die das Leben gegenwärtig noch bedrohen und wo dringend Arzneimittel erwartet werden, ist der Tierversuch unumgänglich, denn die Alternative wäre nur der Menschenversuch.

Im Fall von AIDS und Hepatitis gibt es überhaupt nur ein einziges sinnvolles „Tiermodell“, mit dem ein wirksamer Impfstoff entwik- kelt werden kann, nämlich den Schimpansen, der dem Menschen am ähnlichsten ist. Nur bei Schimpansen sind Infektionen und Abwehrreaktionen beobachtbar, ohne Leben und Gesundheit dieser Tiere zu gefährden, im Gegensatz zum Menschen.

Ein neues Tierversuchsgesetz könnte durchaus wünschenswerte Verbesserungen bringen, etwa den bürokratischen Ablauf von Genehmigungen zu beschleunigen, Mehrfachversuche nicht mehr vorschreiben und andere bislang vorgeschriebene Qualitätskontrollen bei Arzneimitteln auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.

Für den Forschungsbereich hätte es jedoch fatale Folgen, wenn nur Einzelgenehmigungen bei Tierversuchen vorgeschrieben werden, weil damit jedwede Forschung im medizinischen Neuland verhindert werden würde. Ein Beispiel dafür ist die AIDS- Forschung: Laufend müssen die Versuchsserien den neuesten Forschungsergebnissen angepaßt werden. Dafür sind oft neue Versuche erforderlich, die von Beginn an nicht vorhersehbar waren.

Wäre für jeden einzelnen Versuch eine Genehmigung von einer Kommission erforderlich — in der noch dazu Tierversuchsgegner jeden Antrag verzögern können —, dann gäbe es diese Forschung von heute auf morgen nicht mehr. Diese Gefahr droht beim gegenwärtigen Stand der Diskussion tun ein neues Tierversuchsgesetz. Wie die Tierversuchsgegner das vor ihrem menschlichen Gewissen rechtfertigen, ist eine Sache; wie jedoch die Politiker das den Menschen, von denen sie gewählt werden, erklären wollen - auch den Umstand, daß dann große Unternehmen gezwungen wären, aus unserem Land auszuziehen —, eine weit schwererwiegende.

Der Autor ist Finnensprecher der Imrauno

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