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Titos Entmythologisierung

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Nicht zuletzt wegen der anhal- 1^1 tenden Wirtschaftskrise in Jugoslawien, die immer tiefgreifendere und sogar systemändernde Eingriffe erfordert, beginnt auch der Mythos von Josip Broz Tito zu zerbröckeln.

In den ungezählten Artikeln der jugoslawischen Massenmedien über die ökonomische Misere, bei den Nachforschungen über die tieferen Wurzeln der Krise, findet sich nun immer häufiger der Hinweis, daß die meisten gegenwärtigen Übel in Entscheidungen ihren Ursprung haben, die schon Jahre zurückliegen.

Auch die resolute Regierungschefin des Vielvölkerstaates, die

Anfang Juli auf einer zweitägigen Parlamentssitzung zum Thema „Regulierung der jugoslawischen Auslandsschulden“ das Wort ergriff, macht da nun keine Ausnahme mehr. Milka Planine erklärte: „In der richtigen Einschätzung unserer wirtschaftlichen Lage und in der richtigen Politik kommen wir schon Jahr e zu spät.“ Damals aber, das war jedem Zuhörer klar, auch wenn es Milka Planine nicht sagte, regierte noch Josip Broz Tito.

Die Erkenntnis, daß der nahezu vergöttlichte Josip Broz ein gerütteltes Maß an historischer Schuld für die sich auftürmenden Schwierigkeiten in Jugoslawien von heute hat, beginnt sich nun allmählich im Volke durchzusetzen.

Anfangs waren viele ja geneigt, die nach dem Tode Titos auftretenden Krisensymptome — etwa die Versorgungsprobleme — mit dem Abgang des „stari“, des Alten, in Verbindung zu bringen. Man war allzurasch für den leichtfertigen und auch offenkundig scheinenden Schluß bereit: „Das hätte es unter Tito nicht gegeben.“ Man lastete alles den Erben Titos an — anstatt die Wirtschaftsproblematik als Erbe Titos zu sehen.

Dabei besteht heute (in internationalen Wirtschaftspublikationen wie auch bei den Experten in Jugoslawien selbst und im „inneren Zirkel“ der Macht) kein Zweifel mehr daran, daß Tito der Hauptkoch jener Suppe war, die die Jugoslawen heute auslöffeln müssen.

Tito, der sich nach seinem eigenen Bekenntnis nie sonderlich für ökonomische Fragen interessiert hat, hat strukturelle Probleme der jugoslawischen Wirtschaft nie wirklich gelöst und bei auftauchenden Engpässen und Finanzierungsschwierigkeiten stets — dank seines internationalen Ansehens — Kredite aus Ost und West erhalten. Heute erzwingt der großteils von Tito angesammelte Schuldenberg von mehr als 19 Milliarden Dollar jene „Blut-und-Trä-

nen-Politik“ der jugoslawischen Führung, die Opfer und Restriktionen von jedem Staatsbürger verlangen.

Die Entmythologisierung Titos, sicherlich durch die Wirtschaftskrise ausgelöst, zieht aber bereits — wenn man bereit ist, unter die Oberfläche zu tauchen — schon viel weitere Kreise.’

Daß Bildergalerien, Straßennamen und Städte — wie jüngst Vrba in der Wojwodina — den Namen des jugoslawischen1 Staatsschöpfers bekommen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Personenkult um den Toten zunehmend auch parteioffiziell unter Beschuß gerät.

Bei den diesjährigen Feiern zum „Tag der Jugend“ am 25. Mai war im Armeestadion in Belgrad eine neun Meter hohe Titofigur aus Aluminium errichtet worden, die in blaues Licht und wallende Nebel gehüllt wurde. Dazu ließ sich nachher Ex-Staatspräsident Cvijetin Mijatovic vernehmen: „Das war peinlich.“

Auch am persönlichen Lebensstil des „sozialistischen Monarchen“ Tito und seiner Nationalitätenpolitik keimt — offenbar von Parteikreisen auch geduldete — Kritik auf.

In dem — immerhin vom Verlag der Partisanenkämpfer - heraus gegebenen Roman „Wie man Belgrad vernichtet“ des Satirikers Radomir Smiljanič, wird von Tito als „dickem Mannequin, dem wir alles zu verdanken haben, etwa die Brüderlichkeit und Einheit, die man jetzt in Kosovo sieht“, gesprochen.

Dies alles sind unübersehbare Anzeichen einer Entmythologisierung Titos, die eigentlich politisch „gesund“ ist.

Je mehr Jugoslawiens gegenwärtige Führung „ent-titoisiert“, umso eher wird sie zumindest jene Probleme in den Griff bekommen, deren Entstehung großteils auf Tito zurückzuführen ist.

Zum Teil unter dem Druck der Auflagen des Internationalen Währungsfonds, zum Teil aus wirtschaftlichen Sachzwängen, hat Jugoslawien in zahlreichen Bereichen mit der praktischen „Ent-Titoisierung“ begonnen.

Ein signifikantes Beispiel dafür: Als 1971 die kroatische Krise auch deswegen ausbrach, weil es um die Verfügungsgewalt der verdienten Devisen ging, zerschlug Tito zwar die „nationalistische“ Massenbewegung.

Gleichzeitig aber wurde später ein neues Devisengesetz erlassen. Es legte fest, daß - nach Abgabe an die Belgrader Zentrale - die Devisen in jener Republik bleiben sollten, die sie durch Exporte und Dienstleistungen (etwa im Tourismus) auch selbst verdient hatte.

Das führte dazu, daß der Vielvölkerstaat in völlig unterschiedliche Märkte zerfiel und auch im innerjugoslawischen Zahlungsverkehr die harte Fremdwährung den Dinar fast vollständig ablöste. So wurde 1982 das Devisengesetz Titos abgeändert, die Einzelrepubliken als Hüterinnen der eigenen Devisen entmachtet. Anfang Juli 1983 mußte dann in einer dramatischen Nachtsitzung des Belgrader Parlamentes eine weitere Stärkung der gesamtjugoslawischen Nationalbank beschlossen werden.

Auch die beschlossene zentrale Vergabe der Investitionsmittel ist eine Abkehr vom „titoistischen“ System, das Jugoslawien ja zu einer Gemeinschaft formen wollte, die auf „gesellschaftlichen Absprachen“ autonomer Einzelrepubliken, Gemeinden und Betrieben beruhte und in paritätisch zusammengesetzten Gremien Beschlüsse einstimmig fassen sollte.

Auch der Bericht der — nach ihrem Vorsitzenden so genannten — Krajgher-Kommission enthüllt einige „ideologisch umstürzende“ Bemerkungen zur Wirtschaftspolitik. Noch hat der Mazedonier Kiro Gligorov recht, wenn er meint, die Kommission habe verabsäumt neben dem wirtschaftlichen Reformprogramm auch eine Änderung des politischen Systems auszuarbeiten.

Aber was nicht ist, kann noch werden.

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